Kommentar
00:09 Uhr, 23.01.2025

Interview: „Wir bleiben positiv in Bezug auf Aktienanlagen“

Zahlreiche Aktienindizes erreichten im Jahr 2024 neue Höchststände. Viele Anlegerinnen und Anleger konnten an dieser Entwicklung partizipieren. Ob es 2025 so weitergeht, bleibt abzuwarten. Trotz der Sympathie der Finanzmärkte für Donald Trump birgt seine Politik auch Risiken, die geopolitischen Brennpunkte werden nicht weniger und die europäische Wirtschaft schwächelt.

Philip Gisdakis, Chief Investment Officer Germany der UniCredit Bank GmbH, analysiert im Interview mit der onemarkets Redaktion die aktuelle Lage, gibt eine Einschätzung für die kommenden Monate und verrät, warum auch professionelle Investoren auf Fonds und ETFs setzen.

onemarkets: Ein ausgesprochen positives Jahr ist für die Finanzmärkte zu Ende gegangen. Was hat Sie am meisten überrascht?

Philip Gisdakis: Das reale Wachstum in den USA war sicherlich eine positive Überraschung, die sich anschließend in Form einer Kettenreaktion auf die Unternehmensergebnisse und die Performance an der Wall Street ausgewirkt hat.

Ein weiteres Element war die besonnene Reaktion der Märkte auf die verschiedenen Eskalationen geopolitischer Krisen, die das Jahr 2024 belasteten. Die Aufmerksamkeit der Investorinnen und Investoren blieb in diesem Fall auf mögliche langfristige, dauerhafte Auswirkungen gerichtet. Die Risiken wurden weitgehend als vorübergehend eingestuft und der Markt war in der Lage darüber hinwegzusehen und einen konstruktiven Kurs beizubehalten.

Negativ überraschte hingegen die Tokioter Börse, die Anfang August eine zweistellige Korrektur verzeichnete, bevor sie sich teilweise wieder erholte. Unsere Überzeugung bezüglich der fundamentalen Qualität einer Investition in Japan bleibt unverändert, aber wir verfolgen die Entwicklung weiterhin mit großer Aufmerksamkeit, um gegebenenfalls rasch auf erhöhte Marktvolatilität reagieren zu können.

onemarkets: Was erwarten Sie von der Geldpolitik der Fed und der EZB in diesem Jahr? Was sind die Erwartungen in Bezug auf die Aktienmärkte?

Gisdakis: Die Aussichten für die Geldpolitik im Jahr 2025 sind schwer einzuschätzen und hängen vor allem davon ab, inwieweit Trump seine Wahlversprechen umsetzen kann (oder will). In den USA stehen umfangreiche Steuersenkungen, Zollerhöhungen und eine Verschärfung der Einwanderungspolitik an, was das Wirtschaftswachstum über Potenzial und die Inflation über dem Zielwert der Fed von 2 Prozent halten dürfte. Vor diesem Hintergrund wird die Fed ihre Geldpolitik nur zögerlich lockern. Wir gehen davon aus, dass die Fed die Zinsen in der ersten Jahreshälfte 2025 nur um weitere 50 Basispunkte senken und bei 4 Prozent stoppen wird, was wir immer noch für restriktiv halten.

In der Eurozone hingegen erscheint das Wachstumsumfeld schwieriger. Die voraussichtliche Ausweitung der ­US-Zölle wird die Exporte in die USA belasten und sich negativ auf das Vertrauen der Unternehmen auswirken, insbesondere im verarbeitenden Gewerbe. Dies könnte negative Folgen für Investitionen und Beschäftigung haben. Die EZB wird voraussichtlich mit einem schwächeren Wachstum und einem sehr begrenzten inflationären Einfluss konfrontiert sein. Die geldpolitische Lockerung hat noch einen weiten Weg vor sich und wir rechnen damit, dass die EZB-Zinsen bis Ende dieses Jahres von derzeit 3 Prozent auf 1,75 Prozent sinken könnten.

Wir bleiben konstruktiv in Bezug auf Aktienanlagen. Die Unternehmen haben in den letzten Jahren bewiesen, dass sie in der Lage sind, sich an das veränderte internationale Umfeld anzupassen, und es objektiv betrachtet sogar geschafft haben, Herausforderungen in Chancen zu verwandeln. Sicherlich ist die Entwicklung der Aktienkurse nicht linear und Konsolidierungs- bzw. Korrekturphasen sind ganz normal. Aber es gibt keine andere Anlageklasse, die über einen hinreichend langen Zeitraum ein vergleichbares Renditepotenzial bietet wie Aktien.

onemarkets: Wie groß ist die Unsicherheit, die Trump für die Märkte darstellt? Besteht die Gefahr, dass wachstumsfördernde Maßnahmen zu einer weiteren Verschlechterung der öffentlichen Finanzen in den USA führen? Welche Konsequenzen könnte das haben?

Gisdakis: Eine weitere Verschlechterung der öffentlichen Finanzen in den USA ist wahrscheinlich. Trump hat im Wahlkampf umfangreiche Steuersenkungen versprochen und angesichts eines Kongresses mit republikanischer Mehrheit bietet sich ihm ein günstiges Umfeld, um zumindest einen Teil seiner finanzpolitischen Agenda umzusetzen. Zudem halten wir das Ziel, die Staatsausgaben in den nächsten Jahren um 2 Bio. US-Dollar zu senken, für ambitioniert und eine Umsetzung für unwahrscheinlich. Wir gehen eher davon aus, dass das Haushaltsdefizit von derzeit rund 7 Prozent im Jahr 2025 weiter steigen könnte. Das wäre eine nicht nachhaltige und unangemessene Entwicklung der öffentlichen Finanzen für eine Wirtschaft, die mit über 2 Prozent wächst und mit einer (Quasi-)Vollbeschäftigung aufwarten kann. Dennoch halten wir es für unwahrscheinlich, dass internationale Investorinnen und Investoren das Vertrauen in US-Staatsanleihen und den US-Dollar verlieren werden. Der US-Dollar bleibt nach wie vor die wichtigste globale Reservewährung.

onemarkets: Wie wird die Europäische Union auf ein zunehmend auf sich selbst fokussiertes Amerika reagieren?

Gisdakis: In seinem jüngsten Bericht über die Wettbewerbsfähigkeit Europas warnte Mario Draghi, dass die EU ohne ein fundamentales Umsteuern Gefahr laufe, „langsam zu verhungern“. Eine zweite Trump-Regierung könnte Europa dazu bringen, einige seiner strukturellen Probleme anzugehen – von der Innovationslücke und dem Mangel an grenzüberschreitender Infrastruktur bis hin zu einem unvollständigen Binnenmarkt und einer unzureichenden Governance-Struktur. Das politische Umfeld auf dem Kontinent scheint jedoch nicht besonders günstig für einen solchen Wandel zu sein, da die strategischen Prioritäten der einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich sind und euroskeptische Kräfte auf dem Vormarsch sind.

Ich sehe aber auch einige positive Signale. Die Neuwahlen in der Bundesrepublik könnten eine Pattsituation beenden, die zum großen Teil durch die zu starre Haltung der Liberalen in Bezug auf öffentliche Investitionen verursacht wurde. Ich erwarte, dass die Bundesregierung möglicherweise das starre Festhalten an der Schuldenbremse überdenken wird, die derzeit die Möglichkeit stark einschränkt, in neue strategische Prioritäten des Landes zu investieren. Darüber hinaus scheint es einen stärkeren Impuls für einen übernationalen Plan für Verteidigungsinvestitionen zu geben, der durch die Ausgabe gemeinsamer Anleihen finanziert werden soll.

onemarkets: Wie schützen Sie Ihre Portfolios in einem Jahr, das von zahlreichen Unsicherheiten und zusätzlich geopolitischen Risiken geprägt sein wird?

Gisdakis: Der Aufbau eines Anlageportfolios ist in der Regel mit der Übernahme eines gewissen Risikos verbunden. Dieses Risiko muss im Einklang mit den Anlagezielen stehen. Wenn wir von Schutz sprechen, geht es daher um Methoden zur Risikominderung, also darum sicherzustellen, dass man eine angemessene „Reisegeschwindigkeit“ beibehält, ohne waghalsige Überholmanöver zu versuchen!

Philip Gisdakis, Chief Investment Officer Germany, UniCredit Bank GmbH / HypoVereinsbank

Die Diversifizierung bleibt eine ­tragende Säule der Anlagestrategie und sollte je nach Anlageklasse durch geeignete Finanz­instrumente ergänzt werden. Bei einigen Anlageklassen wie beispielsweise Staatsanleihen kann das richtige Maß an Diversifikation auch durch direkte Investments erreicht werden. Für andere Anlageklassen, z. B. Anleihen aus Schwellenländern oder sogenannte High-Yield-Anleihen, also hochverzinsliche Unternehmensanleihen, nutzen selbst wir als professionelle Investoren kollektive Anlagevehikel wie Fonds und ETFs. Der Vorteil der Diversifikation übersteigt in diesen Fällen bei Weitem die Kosten des Vehikels.

In einem zunehmend prekären geopolitischen Umfeld ist zudem eine sorgfältige geografische Allokation und ein tiefes Verständnis der Märkte sowie der Konzentrationsrisiken erforderlich. So sind beispielsweise die Aktienmärkte der Schwellenländer stark auf Asien und insbesondere auf China konzentriert. Bei Schwellenländeranleihen hingegen ist die geografische Zusammensetzung mit bedeutenden Anteilen in Lateinamerika und Osteuropa wesentlich ausgewogener.

Ein weiteres Element zur Risikominderung, insbesondere bei Aktien, ist ein schrittweiser Aufbau des Portfolios. Dies ist vor allem in der Anfangsphase sinnvoll, um das Risiko unvorteilhafter Einstiegszeitpunkte zu reduzieren.

onemarkets: Herr Gisdakis, haben Sie vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg im neuen Jahr!

Bildnachweis: UniCredit Bank GmbH