Kommentar
16:25 Uhr, 06.06.2005

Interview mit Thomas N. Bulkowski - Autor der „Enzyklopädie der Chart Muster“

Thomas N. Bulkowski ist Autor der „Enzyklopädie der Chart Muster“ – dem Standardwerk der technischen Analyse. Dieses Buch komprimiert jahrelange Forschungsarbeiten, Börsenerfahrung und geballtes Wissen zwischen zwei (weit auseinander liegenden) Buchrücken. TradersJournal sprach mit dem erfolgreichen US-Trader.

TJ: Herr Bulkowsi, Ihr erstes Buch wurde im Jahr 2000 in den USA publiziert. Wie hat sich diese Veröffentlichung auf die Märkte ausgewirkt? Sind die Chartmuster nun zuverlässiger, frei nach dem Prinzip der sich selbst erfüllenden Prophezeiung? Oder haben Ihre Forschungsarbeiten an Relevanz Einbußen hinnehmen müssen?

TB: Wissen Sie, Chartformation sind seit 1920 bekannt. Das sind mehr als 80 Jahre. Im Prinzip habe ich die Chartformationen nicht neu entdeckt, sondern sie nur untersucht. Die Ergebnisse, sprich die statistische Auswertung, habe ich veröffentlich. Die Märkte sind einfach zu komplex, es gibt zu viele Marktteilnehmer, als dass ein Buch den gesamten Markt ändern könnte.

TJ: Sind Sie stets auf der Suche nach neuen Chartformationen?

TB: Natürlich. Bei meinen Forschungsarbeiten entdeckte ich unter anderem die Pipe-Tops und die Pipe-Bottoms. Diese Muster werden erstmals in meinem Buch vorgestellt. Es ist mir eine Freude, meine Entdeckungen in dieser Hinsicht mit anderen Menschen zu teilen. Und die Pipe-Muster haben eine besonders hohe Trefferquote. Aber natürlich muss man sagen, dass ich nicht explizit nach neuen Formationen suche. Ich habe jetzt ein Arsenal von beinahe 50 verschiedenen Chartmustern, da steckt genügend Potential drinnen.

TJ: Die von Ihnen veröffentlichten Statistiken sind fast immer auf die Tagescharts bezogen. Denken Sie, dass die Ergebnisse auf Stunden-, Minuten-, oder sogar Tickcharts mit denen der Tagescharts zu vergleichen ist?

TB: Um ganz ehrlich zu sein: Ich weiß es nicht. Ich habe stets den Tageschart als Hauptzeitebene verwendet, schon aus rein technischen Gründen. Die Datenmenge wird bei einer Verkleinerung der Zeiteinheit einfach gigantisch und unüberschaubar.

TJ: Was sind Ihre Money Management Regeln? Wie viel riskieren Sie maximal pro Trade?

TB: Ich verfahre nach einem fixed fractional Ansatz. Jede Position erhält bei mir ein Gewicht von $15.000. Das Risiko pro Position beziffere ich in der Regel bei 5-10%. Wenn der Investmentzeithorizont bei Positionseröffnung etwas weiter gewählt wird, so kann es auch passieren, dass das Initialrisiko ein klein wenig höher ausfällt, da ich auch Dividendenzahlungen in die Risikorechnung mit einbeziehe.

TJ: Wie viele Dollar verdienen Sie pro riskierten Dollar? Sprich: Welches Risk-to-Return Ratio (RRR) haben Sie?

TB: Hmm, da bin ich jetzt überfragt. Aber lassen Sie mich kurz in meiner Tabellenkalkulation nachsehen.... (öffnet sein Handelsjournal am Computer). Derzeit komme ich auf ein RRR von 4,77 – schramme also knapp an 5 vorbei. Das heißt mit jedem Dollar den ich riskiere, verdiene ich ungefähr 5.

TJ: Eröffnen Sie Ihre Trades auch nur, wenn diese ein bestimmtes Chance/Risiko-Profil (CRP) aufweisen?

TB: Nein. Obwohl ich weiß, dass viele Trader in der Branche eine Position nur eingehen, wenn das CRP bei 2:1, 3:1 oder gar 4:1 liegt. Ich nehme von dieser Praxis Abstand. Wenn ich ein Kaufsignal habe, dann gehe ich dieses auch ein. Nur wenn das Risiko zu groß ist, sich also kein akzeptables Stopp-Loss Niveau findet, dann eröffne ich die Position nicht.

TJ: Was halten Sie von Software, die automatische Chartmustererkennung verspricht bzw. hat?

TB: Das ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite ist die Software sehr nützlich. Wenn ich mir beispielsweise einen Chart auf Tagesbasis ansehe, dann zeigt mir mein Programm automatisch an, welche Formationen beispielsweise im Wochenchart derzeit auftreten. So kann ich mir im Klaren sein, dass meine Trades auch mit dem Haupttrend übereinstimmen. Andererseits „übersieht“ die Software auch gerne manche Formationen. Es ist schwierig, jedes Muster in einen Algorithmus zu verpacken. Was mit freiem Auge beispielsweise eindeutig als Doppeltief erkannt werden kann, ist die Software nicht im Stande aufzuspüren. Sie ist ein kleines Helferlein, auf das ich nicht verzichten möchte. Chartformationen lassen sich aber keinesfalls vollständig systematisieren.

TJ: Sind Sie eher ein Trendfolger oder ein Reversal-Trader?

TB: Beides. Die Muster in den Kursverläufen geben mir Kauf- oder Verkaufssignale. In welche Richtung diese im Endeffekt zeigen, das ist mir relativ egal.

TJ: Wenn Sie einen Trendfolge-Trade eingehen, kaufen Sie gleich den Break-Out oder warten Sie ein Retracement ab?

TB: Ich stelle meine Stopp-Buy-Order prinzipiell vor dem Ausbruch aus einer Chartformation knapp über dem Widerstand in den Markt. Mit dieser Technik kann ich mir sicher sein, dass meine Order auch ausgeführt wird. Statistisch gesprochen ist es auch besser, wenn man den Ausbruch direkt handelt. Kommt es nämlich zu einem Retracement, so hat die folgende Kursbewegung nicht dasselbe Potential wie ein Ausbruch ohne Rücksetzer. Man verdient besser mit „direkten“ Ausbrüchen.

TJ: Wenn der Chart des Dow Jones Ihnen ein klares Kaufsignal liefert, und das eine Minute bevor Alan Greenspan öffentlich spricht, gehen Sie die Position dann auch ein?

TB: Nein, auf gar keinen Fall. Auch Aktien, die 2 oder 3 Wochen vor einer Hauptversammlung oder der Bilanzveröffentlichungen stehen, handle ich prinzipiell nicht. Dies birgt ein zu hohes Risiko, welches ich nicht bereit bin einzugehen.

TJ: Pyramidieren Sie? Tätigen Sie Teilverkäufe? Sprich: Bauen Sie Positionen langsam auf (scaling-in), oder gehen Sie Schritt für Schritt aus dem Markt (scaling-out)?

TB: Wenn ich ein zweites Kaufsignal für eine Aktie bekomme, so kann es leicht passieren, dass ich eine zweite Position für $15,000 eröffne. Ich verbillige jedoch niemals, ich wiederhole: niemals, meinen Einstandspreis. Nachkaufen ist für mich in dieser Hinsicht ein absolutes Tabu. Wenn mein Stopp getriggert wird, dann steige ich mit 100% aus dem Markt aus. Keine weiteren Debatten. Das scaling-out hat sich in meinen Tests als unprofitabel erwiesen.

TJ: Was halten Sie von dem Einsatz eines Hebels?

TB: Davon lasse ich prinzipiell meine Finger. Die Märkte sind auch ohne Hebel schwierig genug zu handeln. Da brauche ich keinen Katalysator, um mein Depot zu verkleinern. Deshalb habe ich meine Finger auch immer von Futures gelassen. Ab und an habe ich auch mit Optionen gehandelt, jedoch immer nur von Covered Calls gebraucht gemacht (Anm. d. Red.: Diese Strategie ähnelt stark dem Auszahlungsprofil von gecapten Zertifikaten). Ich verdiene auch ohne Hebel gut.

TJ: Welche Depotgröße empfehlen Sie einem angehenden Trader?

TB: Ich teile nicht die Mehrheitsmeinung, dass man mindestens $25,000 oder gar $50,000 benötigt. Ich selbst habe mit $2000 angefangen und mich 15 Jahre später zur Ruhe gesetzt.

TJ: Haben Sie nie mit einem Depot Schiffbruch erlitten?

TB: Nein, niemals. Ich habe mich langsam nach oben gearbeitet. Aus den $2000 wurden bald $10,000 – und daraus dann $20,000 oder $30,000. Man muss geduldig bleiben, und dem Geld langsam entgegen gehen. Das schnelle Geld gibt es auch an der Börse nicht. Deshalb rate ich auch von dem Einsatz eines Hebels vollständig ab.

TJ: Herr Bulkowski, wir danken für das Gespräch!

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