Kommentar
18:02 Uhr, 29.06.2005

Interview mit Dr. Van K. Tharp

Dr. Van K. Tharp ist seit über 15 Jahren als Investment- und Trading-Berater tätig. Während dieser Zeit hat er mehr als 4000 unterschiedliche Anlegertypen genauestens kennengelernt, was ihn zum unumstrittenen Nummer 1 Coach innerhalb der Fachwelt werden ließ. Er ist gefragter Redner und bietet Großbanken, Fonds und Handelshäusern weltweit zielführende Trading-Seminare an. Zusätzlich verfasst er einen wöchentlichen Newsletter, der sich mit den psychologischen Hindernissen des Tradings auseinandersetzt. Selbstverständlich ist er auch bekannter Buchautor und brachte Werke wie „Clever Traden Mit System“ auf den Markt. Das Team von TradersJournal interviewte den Altmeister des Tradings.

FRAGE: In Ihren Publikationen schreiben Sie, dass die Handelsmethodik, sprich das System, für den erfolgreichen Handel an der Börse nur sekundärer Natur ist. An erster Stelle steht das richtige Risiko- und Money-Management. Welche Grundregeln verfolgen Sie bei der Risikokontrolle?

VT: Das ist so nicht ganz richtig. An erster Stelle kommt in jedem Fall die Psychologie. Erst an zweiter Stelle das Position-Sizing, und als letztes die Handelsmethodik. Die alte Verteilung war 60% Psychologie, 30% Money Management und zu 10% der Handelsansatz. Grundregeln für das Money-Management gibt es meiner Meinung nicht, denn jede Risikokontrolle hängt von der persönlichen Zielsetzung eines Traders ab. Erst wenn das Ziel definiert ist kann man auch definieren wie hoch das Risiko zu wählen ist. Jedoch sollte eine Position niemals größer als 20% des Depotwertes sein und das Risiko einer einzelnen Position sollte zu keinem Zeitpunkt 2% des Portfolios übersteigen.

FRAGE: Wenn Sie von einer „alten Verteilung“ sprechen – was meinen Sie damit? Wie sieht die neue Verteilung aus?

VT: Im Laufe der Jahre habe ich erkannt und gelernt, dass die Psychologie weit mehr als 60% ausmacht. Ich würde Sie fast bei 90%, in Extremfällen sogar 100% ansiedeln.

FRAGE: Würden Sie sagen, dass programmierte Handelssysteme besser sind als diskretionäre Trader? Oder ist es genau umgekehrt?

VT: Ich würde sagen es ist ein wenig von beidem. Ein Anfänger wird mit einem programmierten Handelssystem überfordert sein, da er kein Gespür für die Märkte bekommt. Man lernt als diskretionärer Trader die Märkte von der Pieke auf – und das in einem Höllentempo. Erst wenn der Trader genug Erfahrung gesammelt hat sollte er auf automatisierte Systeme umsatteln. Denn der Schlüssel zum Erfolg beim automatisierten Handel liegt darin begraben, dass man weiß, wann man die Regeln zu brechen hat.

FRAGE: Wie ist Ihre Meinung zu den Standardindikatoren wie dem MACD, RSI oder Stochastik? Diese Indikatoren sind meistens bereits älter als 30 Jahre. Sind neue Indikatoren besser – sprich generieren diese weniger Fehlsignale?

VT: Indikatoren sind so eine Sache für sich. Jeder Indikator funktioniert nur in einer bestimmten Marktphase. Persönliche benutze ich nur sehr wenige Indikatoren, denn umso näher man am Preis ist, umso besser. Indikatoren können nur auf Basis des Kurses berechnet werden. Der Chart hält alle Informationen bereit.

FRAGE: Außer dem Volumen! Achten Sie auf Volumenindikatoren?
VT: Ja, auf diese achte ich schon. Jedoch darf man das Volumen auch nicht übergewichten. In Rohstoff- oder Währungsmärkten spielt es kaum eine Rolle. In Aktienmärkten sollte man es jedoch nicht verachten.

FRAGE: Worauf achten Sie bei dem Volumen?

VT: Wenn es zu einem Break-Out kommt muss dieser Ausbruch mit einem steigenden Volumen einhergehen. Bei fallenden Kursen ist das Volumen eher zu verachten, da meistens das Volumen rückläufig ist.

FRAGE: Erachten Sie trendolgende oder antizyklische Strategien für risikoärmer und damit ertragreicher?

VT: Das kommt vollkommen auf das Marktumfeld an. Man kann die unterschiedlichen Marktphasen in sechs Kategorien teilen. Die Kurse können steigen, fallen oder seitwärts tendieren. Jede dieser drei Marktphasen lässt sich noch in zwei Subkategorien unterordnen. Nämlich ob sie mit geringer oder hoher Volatilität einhergehen. In Trendmärkten sollte man logischerweise natürlich diesen folgen. In volatilen Seitwärtsphasen lässt sich wahrscheinlich nur mit einem antizyklischen Ansatz Geld verdienen. Jeder Trader benötigt eigene Filter, die ihm anzeigen, in welcher Phase sich der beobachtete Markt befindet. Dieses Unterfangen kann mathematisch oder charttechnisch erfolgen.

FRAGE: Rein psychologisch gesprochen: Ist es besser einen vollständig technischen Ansatz zu verfolgen, oder würden Sie die Charttechnik stets mit Fundamentalanalyse verbinden? Die Fundamentalanalyse erlaubt, wie ja weitläufig bekannt ist, einen breiten Interpretationsspielraum – und damit birgt sie doch die Gefahr der kognitiven Dissonanz in sich, oder?

VT: Ich denke, dass es intelligent ist auch die fundamentale Seite des Marktes zu betrachten. Ein fundamentaler Trend ist immer nachhaltiger (und damit ertragreicher) als eine technische Bewegung. Wobei man aber auch sagen muss, dass es vielen fundamentalen Humbug gibt. Insbesondere Bankanalysten leisten Arbeit, die knapp an der Nutzlosigkeit vorbeischrammt. Das erwartete Ertragspotential eines Unternehmens ist eine solche unnütze fundamentale Bewertungskennzahl. Wird das Ertragspotential nicht erreicht, so wird einfach die Zeitspanne um zwei oder gar fünf Jahre aufgestockt. Mit solchen Methodiken kann man natürlich kein Geld an den Märkten verdienen.

FRAGE: Auf welche fundamentalen Methoden kann man dann zurückgreifen, ohne sich die Finger zu verbrennen?

VT: Wenn man eine Value-Strategie verfolgt kann man sehr erfolgreich an den Märkten agieren. Dabei finde ich den Ansatz von Benjamin Graham sehr nutzvoll. Die Formel lautet folgendermaßen: (Current Assets – Total Liabilities) / Number of Shares. Die zu dividierende Zahl muss positiv sein, sonst ist die Division mit der Anzahl der Aktien hinfällig. Wenn das Ergebnis der vollständigen Berechnung zwei Drittel vom Aktienwert ausmacht, so hat man es mit einer unterbewerteten Aktie zu tun – oder auf gut English: Einem „no-brainer investment“. (Anm. der Red.: Eine deppensichere Investition).

FRAGE: Sie haben mit einer Vielzahl von Tradern zusammen gearbeitet. Was ist der am weitesten verbreitete Trading-Fehler?

VT: Der landläufigste Fehler ist psychologischer Natur – man will die Verantwortung für sein Handeln an den Märkten nicht übernehmen. CNBC (Anm. d. Red.: US-Fernsehsender der mit n-tv oder Bloomberg zu vergleichen ist) hat 2002 eine Umfrage gemacht. Die Frage lautete: „Was war der Grund warum Sie ihr angehäuftes Kapital aus den 90er Jahren wieder verloren haben?“. Die Antworten waren breit gefächert: der Bärenmarkt, unehrliches Management oder der Broker war schuld. Niemand sagte es davon, dass sie keinen Investmentplan, keine Money Management Regeln, Disziplinlosigkeit oder fehlende Erfahrung hatten. Der erste Schritt zum Erfolg ist die Verantwortung zu übernehmen.

FRAGE: Und wie kann man dieses Manko beheben?

VT: Die Leute müssen realisieren, dass sie für Ihr Tun und Handeln selbst verantwortlich sind. Einen Bärenmarkt kann man auch shorten und so gutes Geld verdienen. Doch diese Überzeugung muss von innen kommen.

FRAGE: Was halten Sie von dem Einsatz eines Hebels? Ist es ratsam auf Margin zu handeln, oder ist es finanzieller Selbstmord?

VT: Solange man sich an sein Money Management hält ist der Hebel ein gutes Werkzeug. Wenn ich pro Position nur 1% meines Portfolios riskiere ist gegen die Verwendung eines Hebels nichts einzuwenden. Allerdings spielt beim Handel auf Margin die Disziplin, will sagen das Einhalten von Stopps, eine noch größere und wichtigere Rolle.

FRAGE: Wie groß sollte ein Depot mindestens sein, um nicht von Transaktionskosten und Slippage aus dem Markt geworfen zu werden?

VT: In diesem Fall ist das Pferd von hinten aufzusäumen. Die Frage sollte lauten: Wie groß muss mein Depot sein, dass ich nur 1% riskieren muss und Transaktionskosten nicht ins Gewicht fallen? Die Transaktionskosten sind in den letzten Jahren massiv gesunken – man kann Aktienpositionen in den USA schon für $6.99 eingehen. Also ergibt eine Rückrechnung eine minimale Portfoliogröße von $25.000 oder $30.000.

Dr. Van K. Tharp, wir danken für das Gespräch!

Das Gespräch führte Pierre M. Daeubner.

Weiterführende Literatur

Dr. Van K. Tharp – Clever Traden mit System
€ 44,90
ISBN: 3-932114-43-4, Erscheinungsjahr: 2002

Benjamin Graham – Intelligent Investieren
€ 39,90
ISBN: 3-89879-064-9, Erscheinungsjahr: 2005

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