Kommentar
21:08 Uhr, 28.05.2021

Inflation: Warum immer mehr Notenbanker nervös werden

Fed-Chef Powell muss Nerven wie Drahtseile haben. Er wirkt gelassen, während immer mehr Mitglieder seines Teams nervös werden – aus gutem Grund.

Immer wieder gibt es Inflationsanstiege, die sich im Nachhinein als vorübergehend entpuppten. Das war direkt nach der Finanzkrise und 2017/18 der Fall. Aus diesem Grund will Powell die ultralockere Geldpolitik auch nicht zu früh beenden. Zu oft haben sich Anstiege als nicht nachhaltig erwiesen. Blickt man auf die Inflationsrate, ist diese mit 4,2 % in den USA hoch. Das Bild ist tatsächlich etwas verfälscht. Die Inflation war ja zu Pandemiebeginn besonders niedrig. Daher blicken viele inzwischen nicht mehr auf die Veränderung der Preise gegenüber dem Vorjahr, sondern gegenüber dem Vorvorjahr. Auf Sicht von zwei Jahren ist die Inflationsrate in den USA mit 2,2 % alles andere als hoch.


Wieso werden dann immer mehr Notenbanker nervös? Sie beziehen weitaus mehr Faktoren in ihre Betrachtung ein als nur die aktuelle Inflationsrate. Preisveränderungen sind eine Folge von Verschiebungen bei Angebot und Nachfrage. Derzeit ist die Nachfrage hoch, das Angebot aufgrund von Lieferengpässen aber knapp. Die Preise sind gestiegen.

Lieferengpässe werden irgendwann überwunden sein. Die große Frage ist, wie sich die Nachfrage verhalten wird. Nachfrage folgt dem verfügbaren Einkommen. Wer mehr Geld hat, kauft auch mehr. Die verfügbaren Einkommen sind in den USA dank staatlicher Unterstützung so schnell gestiegen wie noch nie. Grundsätzlich gehen Inflation und Einkommen (höhere Einkommen = höhere Nachfrage) Hand in Hand (Grafik 2).


Man muss davon ausgehen, dass die Nachfrage viele Quartale hoch bleiben wird. Konsumenten haben im Durchschnitt einfach zu viel Geld. Aus fundamentalen Gesichtspunkten kann die Inflation längere Zeit hoch bleiben. Das ist genau das, was die Notenbank will. Die Inflation soll ja durchschnittlich 2 % betragen. Da sie in den letzten Jahren tendenziell niedriger war, darf sie jetzt höher sein.

Damit ist die Sache aber nicht getan. Höhere Inflation führt dazu, dass sich die Inflationserwartungen verändern. Konsumenten erwarten in den nächsten 12 Monaten und fünf Jahren so hohe Werte wie lange nicht (Grafik 3). Lösen sich die Erwartungen vom Inflationsziel der Notenbank, ist das problematisch.


Inflationserwartungen sind eine sich selbsterfüllende Prophezeiung. Wer stark steigende Preise erwartet, handelt entsprechend. Vereinfacht wird Konsum vorverlagert und Löhne steigen stärker. Genau das führt zu Preisdruck.

Die Inflationserwartungen von Konsumenten sind volatil und nicht unbedingt verlässlich. Ist die Milch gerade heute im Supermarkt teurer, führt das gleich zu einem Anstieg der Erwartungen. Genauso schnell sinken sie wieder. Verlässlicher sind Unternehmen. Sie gehen weniger nach Gefühl und einem einmaligen Einkaufserlebnis.

Hier zeigt sich, dass die Erwartungen inzwischen bei 3 % liegen (Grafik 4). Das kann man schon fast nicht mehr als verankerte Inflationserwartungen bezeichnen. Höhere Inflation ist in Ordnung und gewollte, wenn die Erwartungen bei 2 % verankert bleiben. Ist das nicht der Fall, kann es langfristig zu ungewollten Konsequenzen kommen.


Es ist nicht gesichert, dass sich die Inflationserwartungen permanent lösen. Die Möglichkeit, dass es geschieht, macht Notenbanker nervös – vollkommen zu Recht.

Clemens Schmale


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  • mariahellwig
    mariahellwig

    Die Lieferengpässe werden länger dauern als viele vermuten. In einer Schlüsselbranche, der Halbleiterbranche, mindestens noch 3 Jahre.

    09:51 Uhr, 29.05.2021

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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