Fundamentale Nachricht
17:47 Uhr, 28.07.2023

Immer mehr und immer ältere Autos in Deutschland

Der Pkw-Bestand in Deutschland ist in den letzten Jahren stetig gestiegen und zeigt den Deutsche-Bank-Analysten Eric Heymann und Jule Mau zufolge, dass – trotz Klimadebatte, verstopfter Innenstädte und der vermeintlich autokritischen Generation Z – von Automüdigkeit in Deutschland nicht die Rede sein kann.

Deutschland ist ein Land der Autofahrer. Mit einer Pkw-Dichte von 578 Autos pro 1.000 Einwohner besitzt in Deutschland mehr als jeder Zweite ein Auto (Kinder und Hochbetagte eingerechnet). Der Pkw-Bestand ist in den letzten Jahren stetig gestiegen. Während er Anfang 2014 noch bei 43,9 Mio. lag, erreichte er Anfang 2023 48,8 Mio. Fahrzeuge, ein Zuwachs von 11%. Der Anstieg des Pkw-Bestands zeigt, dass – trotz Klimadebatte, verstopfter Innenstädte und der vermeintlich autokritischen Generation Z – von Automüdigkeit in Deutschland nicht die Rede sein kann.

Das Auto ist weiterhin mit großem Abstand das wichtigste Verkehrsmittel im Personenverkehr. Laut aktuellem DAT-Report ist für 77% der Befragten das eigene Auto unverzichtbar, um die Mobilität im Alltag sicherstellen zu können. Im Jahr 2021 entfielen knapp 87% der gesamten Verkehrsleistung im Personenverkehr auf den sogenannten motorisierten Individualverkehr (MIV; überwiegend Pkw). Dieser hohe Anteil ist zwar auch durch die Corona-Krise zu erklären, weil einige Menschen wegen der Ansteckungsgefahr öffentliche Verkehrsmittel gemieden haben. Aber schon vor Corona kam der MIV auf einen Anteil an der Verkehrsleistung von mehr als 78% (2019). Der ÖPNV erreichte damals einen Anteil von 9,8% an der Verkehrsleistung. Dies zeigt, dass der ÖPNV (gerade im ländlichen Raum) nur sehr begrenzt in der Lage wäre, große Teile der Verkehrsleistung des MIV aufzunehmen.

Pkw werden im Durchschnitt immer älter

Nichtnur die Zahl der Autos in Deutschland steigt an. Zugleich werden sie im Durchschnitt immer älter. Anfang 2023 lag das Durchschnittsalter der Pkw im Bestand laut Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) bei 10 Jahren.[1] Dies ist ein neuer Rekordwert. Seit 2014 hat sich das Durchschnittsalter um 2,7 Jahre (+20,5%) erhöht.

Knappes Angebot – höhere Preise

Das steigende Durchschnittsalter ist hinsichtlich der Qualität und Haltbarkeit der Fahrzeuge ein äußerst positives Zeichen. Allerdings gibt es weitere Gründe für diese Entwicklung. Auf der Angebotsseite haben die Engpässe bei Vorprodukten (z.B. Halbleiter) und andere Störungen der Lieferkette (z.B. Krieg in der Ukraine) massiv das Produktionsniveau gedrückt. Von 1998 bis einschließlich 2018 lag die stückzahlmäßige Pkw-Fertigung in Deutschland (mit Ausnahme von 2009) stets über der Marke von 5 Mio. Einheiten. In den Jahren 2020 bis 2022 liefen im Durchschnitt jedoch nur knapp 3,4 Mio. Autos pro Jahr von den Fertigungsbändern (Tiefpunkt 2021 mit 3,1 Mio. Pkw). Auch in der EU insgesamt wurde die Automobilproduktion durch die Schocks in Mitleidenschaft gezogen. Bei einem derart deutlichen Rückgang des Angebots müssen potenzielle Autokäufer zwangsläufig länger auf Neuwagen warten und ihre bisherigen Fahrzeuge länger nutzen.

Das knappe Angebot der letzten Jahre spiegelt sich auch in den Preisen für Neu- und Gebrauchtwagen wider. Im 1. Halbjahr von 2023 lagen die Preise für neue Pkw laut Statistischem Bundesamt um knapp 16% über dem durchschnittlichen Niveau von 2020. Bei Gebrauchtwagen waren es sogar 33,5%, denn auch hier sorgt die gesunkene Pkw-Produktion indirekt für Knappheiten. In der Folge fielen 2022 die Pkw-Besitzumschreibungen um 15,8% auf 5,6 Mio. Dies ist ein neuer Tiefstand im wiedervereinigten Deutschland.

Der Preisanstieg bei Autos ist auch in absoluten Zahlen beeindruckend: Laut DAT-Report stieg der Durchschnittspreis für neue Pkw zwischen 2013 und 2022 von EUR 27.030 auf EUR 42.790 (+58%). Bei Gebrauchtwagen lag der Durchschnittspreis 2013 bei EUR 9.420. Im letzten Jahr waren schon EUR 18.800 zu berappen (+100%). Noch im Jahr 2019 waren 44% aller gehandelten Gebrauchtwagen im

Preissegment bis EUR 10.000 angesiedelt. 2022 waren es nur noch 23%.

Hohe Preise, steigende Zinsen und Unsicherheit dämpfen Nachfrage

Bei der skizzierten Preisentwicklung und Knappheiten beim Angebot ist es wenig verwunderlich, dass auch die Autonachfrage gedämpft wurde. Zu den höheren Anschaffungspreisen gesellen sich seit einigen Quartalen auch steigende Zinsen hinzu. Private Haushalte sind bei ihren Konsumentscheidungen zudem durch die höheren Energiekosten und eine allgemeine wirtschaftliche Unsicherheit beeinträchtigt, die sich negativ auf die Anschaffungsneigung auswirkt. Dies spiegelt sich in den Pkw-Neuzulassungen in Deutschland wider, die sich 2022 mit einem Plus von lediglich 1% kaum von den beiden Rückgängen der Jahre 2020 (-19%) und 2021 (-10%) erholten. Wenn weniger neue Autos zugelassen werden, begünstigt dies ein steigendes Durchschnittsalter im Bestand. Immerhin nahmen die Pkw-Neuzulassungen im 1. Halbjahr 2023 zu (+13% gg. Vj.).

Weiter steigende Kosten/Preise zu erwarten

Regulatorische Rahmenbedingungen dürften in den kommenden Jahren bei Autos mit Verbrennungsmotor zu weiteren Preisaufschlägen führen. Die für 2025 geplante Euro-7-Abgasnorm wird die Produktionskosten pro Auto erhöhen. Laut einer Studie von Frontier Economics im Auftrag des europäischen Automobilverbands ACEA liegen die zusätzlichen Produktionskosten bei etwa EUR 2.000 für Pkw (höherer Kostenaufschlag bei Diesel-Pkw, niedriger bei Benzinern). Diese Zahlen übersteigen die Berechnungen der EU-Kommission um den Faktor 4 bis 10. Im Volumensegment dürfte der relative Kostenaufschlag pro Fahrzeug besonders ins Gewicht fallen. Den Preis für sauberere Autos müssen am Ende die Autofahrer zahlen. Auf der Kostenseite kommen die angekündigten Erhöhungen der CO2-Abgabe in Deutschland hinzu, die den Verbrauch von Benzin und Diesel verteuern werden.

Eingeschränktes Angebot durch Trend zu Elektromobilität

Das Angebot ist nicht ausschließlich aufgrund der Störungen von Lieferketten und anderer externer Schocks geschrumpft. Auch mit dem Trend zur Elektromobilität sinkt allmählich das Angebot an Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor. Manche Verbrenner werden aus dem Programm genommen oder nicht mehr in der gewünschten Motorisierung angeboten. Zugleich ist für viele Autofahrer der Umstieg auf Elektroautos in der Praxis noch nicht machbar, weil die Ladeinfrastruktur als nicht ausreichend empfunden wird, die Ladezeiten zu lang sind, die Reichweite zu gering ist, die individuellen Anforderungen an den eigenen Pkw nicht von einem E-Auto erfüllt werden können oder schlicht der Preis zu hoch ist. Laut DAT-Report sind vor allem die Reichweite, der hohe Anschaffungspreis und die Ladezeit Gründe gegen einen Kauf eines Elektroautos. Insofern verringert sich das potenzielle Angebot für einige potenzielle Autokäufer noch weiter, weshalb das existierende Auto länger genutzt wird. Ersatzentscheidungen könnten teilweise auch mit der Hoffnung, dass sich diese Probleme absehbar verringern, aufgeschoben werden.

Strukturelle Verfestigung durch Knappheit im Volumensegment?

Die Knappheit beim Autoangebot könnte sich in den kommenden Jahren im Volumensegment bzw. bei preisgünstigen Gebrauchtwagen strukturell verfestigen. Da die Renditen pro Fahrzeug im Premiumsegment in der Regel lukrativer sind, könnten sich Hersteller zumindest teilweise aus dem Volumensegment zurückziehen. Schon in unserem Bericht zur „Zukunft des Automobilstandorts Deutschland“ von 2021 hatten wir ausgeführt, dass die Produktion von „Autos für den Durchschnittsbürger“ in Hochlohnländern unter Druck geraten kann.

Daher kann es für Haushalte mit geringem Einkommen künftig schwierig werden, günstige Gebrauchtwagen zu finden. Das aktuelle Fahrzeug würde länger gefahren und das Angebot an Gebrauchtwagen somit weiter beschränkt. Angesichts der hohen Bedeutung des Autos für den Alltag der Menschen und wegen der begrenzten Leistungsfähigkeit der Alternativen im Personenverkehr (vor allem im ländlichen Raum) wird aus wirtschafts- und sozialpolitischer Sicht zunehmend davon ausgegangen, dass das Auto nicht (noch mehr) zu einem Luxusgut werden soll. Offen ist, wie das Volumensegment künftig bedient werden könnte, wobei einige Diskussionen darauf hindeuten, dass Importe aus Ländern mit geringeren Produktionskosten eine Option sind.

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