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10:19 Uhr, 04.09.2024

IfW nimmt Prognosen für 2024 und 2025 deutlich zurück

Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones) - Das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) hat seine Erwartungen für das deutsche Wirtschaftswachstum in diesem und im kommenden Jahr deutlich nach unten revidiert. "Die deutsche Wirtschaftsleistung dürfte 2024 erneut schrumpfen, nachdem sie bereits im Vorjahr gesunken war", erklärte das Institut. In seiner neuen Herbstprognose rechnet das IfW nun 2024 mit einem Rückgang des Bruttoinlandsproduktes (BIP) um 0,1 Prozent, nachdem es in seiner Sommerprognose noch einen Zuwachs um 0,2 Prozent vorhergesagt hatte. "Positive Signale zur Jahresmitte haben sich nicht bekräftigt", betonte das Institut. Für 2025 stehe nur noch ein Plus von 0,5 Prozent in Aussicht, statt wie bislang erwartet 1,1 Prozent.

Im Jahr 2026 werde das BIP wohl um 1,1 Prozent steigen, auch gestützt von einer höheren Zahl an Arbeitstagen, die 0,3 Prozentpunkte zum Zuwachs beitragen würden. Die Inflation werde nach 2,2 Prozent in diesem Jahr in den kommenden beiden Jahren wohl bei 2 Prozent liegen. Die Arbeitslosenquote dürfte angesichts der schwachen Konjunktur von 5,7 Prozent im vergangenen Jahr auf 6,1 Prozent im Jahr 2025 steigen und 2026 wieder auf 5,9 Prozent zurückgehen. Die Zahl der Arbeitslosen sehen die Kieler Ökonomen dieses Jahr bei 2,780 Millionen, nächstes bei 2,849 Millionen und übernächstes bei 2,774 Millionen.

"Die Aufwärtssignale, die die Frühindikatoren noch im Sommer sendeten, haben sich nicht verfestigt", sagte IfW-Konjunkturchef Stefan Kooths. "Zugelegt haben zuletzt vor allem die staatlich stark beeinflussten Dienstleistungsbranchen. Insgesamt stottert die deutsche Wirtschaft in eine blutleere Erholung, auch weil die Wirtschaftspolitik keine verlässlichen Weichenstellungen vorzunehmen vermag." Für das laufende Jahr belaste insbesondere der schwache private Konsum die Aussichten, weil sich die Haushalte trotz steigender Realeinkommen zurückhielten. Erwartet werde ein Zuwachs der privaten Konsumausgaben um 0,4 Prozent im Jahr 2024, 0,6 Prozent 2025 und 0,8 Prozent 2026.

Ausrüstungsinvestitionen sinken deutlich

Hinzu komme, dass 2024 Industrie mit minus 2,7 Prozent und Bauwirtschaft mit minus 4,3 Prozent "tiefer in die Rezession driften". Investitionen litten unter hoher wirtschaftspolitischer Unsicherheit, die Ausrüstungsinvestitionen dürften dieses Jahr um 7,2 Prozent sinken, worauf Zuwächse um 1,4 Prozent 2025 und 5,0 Prozent 2026 folgen sollen. In den beiden Folgejahren nehme die deutsche Wirtschaft dank weiter steigender Realeinkommen, einer höheren Nachfrage aus dem Ausland und sinkender Zinsen wieder etwas Fahrt auf, betonte das IfW. Bis September 2025 dürfte die Europäische Zentralbank (EZB) nach Einschätzung der Ökonomen den Leitzins auf 2,25 Prozent gesenkt haben.

Das Budgetdefizit dürfte vor allem aufgrund der wegfallenden Preisbremsen von 2,6 Prozent des BIP im Jahr 2023 auf 1,7 Prozent im Jahr 2025 zurückgehen und 2026 auf diesem Niveau verharren. Die deutschen Exporte gehen nach der Prognose 2024 um 0,3 Prozent zurück und bleiben 2025 mit einem Zuwachs von 1,2 Prozent und 2026 mit einem Plus von 2,5 Prozent laut IfW "spürbar hinter der globalen Dynamik zurück". Für die Importe wird 2024 ein Rückgang um 1,5 Prozent, 2025 ein Zuwachs um 1,9 Prozent und 2026 eine Steigerung um 3,4 Prozent erwartet.

Die Erholung verlaufe allerdings nur schleppend, auch weil geschrumpfte Produktionskapazitäten nur noch geringe Zuwächse erlaubten. Dieser Befund sei infolge eines derzeit beschleunigten Strukturwandels allerdings mit besonderer Unsicherheit behaftet. "Die deutsche Wirtschaft steckt zunehmend in einer Krise, die nicht nur konjunktureller, sondern auch struktureller Natur ist", sagte IfW-Präsident Moritz Schularick. "Die Haushaltskürzungen der Ampelregierung belasten hier zusätzlich, und die Zinswende der EZB kommt für Deutschland zu spät." Hinzu komme, dass alte Kernindustrien "viel zu lange veränderungsresistent" gewesen seien und die Asyldebatte den Dialog über die wirtschaftlich notwendige Gewinnung von Fachkräften aus dem Ausland vergifte. "Solange das so bleibt, können wir zusehen, wie unser Wachstumspotenzial immer kleiner wird", warnte der Ökonom.

Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com

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