Kommentar
14:05 Uhr, 20.10.2006

Gute Chancen trotz schwächeren US-Immobilienmarkts

Noch vor sieben Monaten bereiteten mir die Bewertungen einiges Kopfzerbrechen. Grund war weniger die Performance (die stellte überhaupt kein Problem dar), sondern die kurzfristigen Perspektiven eines ausgereizten Marktes. Inzwischen hat sich das Szenario grundlegend geändert: Die Konjunkturdaten sind rückläufig und die Gewinnspannen haben ihren Höhepunkt bereits hinter sich. Ändert das unsere Herangehensweise an das Portfoliomanagement? Durchaus nicht. Aber es beeinflusst unsere Einzeltitelauswahl.

Es besteht kein Zweifel daran, dass sich die US-Konjunktur abkühlt. Der Immobilienmarkt hat an Dynamik verloren und die Verbraucher spüren jetzt die Folgen früherer Zinserhöhungen, anhaltend hoher Energiepreise und der historisch niedrigsten Sparquote. Bisher haben die steigenden Immobilienwerte den privaten Konsum gestützt. Da sie jetzt ins Stocken geraten sind, sollte dies auch die weitere Entwicklung des frei verfügbaren Einkommens bremsen. Am stärksten trifft das Einzelhandelswerte, und hier vor allem dem Immobiliensektor nachgelagerte Unternehmen, z. B. Baumärkte und Haushaltsgerätehersteller. Aber auch andere Unternehmen, deren Erträge von der Konsumlust der amerikanischen Verbraucher abhängen, müssen mit Einbußen rechnen.

Die treibende Kraft des jüngsten Bullenmarktes war weniger eine Verbesserung des Kurs-Gewinn-Verhältnisses als vielmehr das Gewinnwachstum. Infolge strafferer Kostendisziplin sowie teilweise gestärkter Preismacht hatten die Gewinnspannen in zahlreichen Branchen zugelegt. Dadurch konnten einige Unternehmen die steigenden Kosten weitgehend ohne Beeinträchtigung ihrer Gewinnsituation auffangen. Inzwischen sind Anleger gut beraten, jene Aktienkurse mit Argwohn zu betrachten, die auf hohe, im gegenwärtigen Umfeld nur schwerlich zu erreichende Gewinnspannen hindeuten.

Was bedeutet dies für einen Investor, der bei der Titelauswahl nach einem Bottom-up-Ansatz vorgeht? Obwohl ich jeden Titel auf Basis seiner individuellen Vorzüge auswähle, berücksichtige ich dabei auch das wirtschaftliche und handelstechnische Umfeld, in dem das Unternehmen tätig ist. So sorgen die alternden Baby-Boomer für einen erheblichen Nachfrageschub auf Nischenmärkten des Gesundheitssektors. Da die meisten Ausgaben für medizinische Versorgung konjunkturunabhängig sind, wird die rückläufige Konjunktur sich nur begrenzt auf die Nachfrageentwicklung auswirken. Zudem sind die Ausgaben für diagnostische Leistungen und Pharma-Forschung in der Regel höher. Hier setzen wir auf Unternehmen wie Invitrogen mit einem Anteil von rund 30 Prozent am Markt für Life-Science-Technologie. Unserer Auffassung nach werden sich die Investitionen des Unternehmens in Forschung und Entwicklung bald für seine Anleger auszahlen. Auch von Medicis Pharmaceutical sind wir recht angetan. Das Unternehmen ist auf Produkte zur Behandlung von Hautkrankheiten spezialisiert und verfügt über eine attraktive Pharma-Pipeline. Viele der sich derzeit in Entwicklung befindlichen Produkte werden wohl innerhalb der nächsten drei Jahre zugelassen.

Aber auch in anderen Sektoren gibt es Titel mit guten Entwicklungsaussichten. Strafvollzugsanstalten sind in den meisten Portfolios zwar kaum vertreten, es ist jedoch eine ebenso bedauerliche wie unumgängliche Tatsache, dass die Zahl der Insassen und damit der Bedarf an zusätzlicher Kapazität steigen. Die Lage der öffentlichen Haushalte ist angespannt und die Mittel für den Bau neuer Gefängnisse sind knapp. Dies gilt umso mehr, wenn eine Zuweisung von Mitteln zu Lasten des Budgets für Gesundheitswesen oder Bildung geht oder mit Steuererhöhungen verbunden ist. Wir bevorzugen die Aktie der Corrections Corporation of America, einem der größten privaten Betreiber von Haftanstalten in den USA. Das Unternehmen befindet sich in einer idealen Position, um von der anhaltenden Privatisierung des Strafvollzugs zu profitieren.

Ein weiterer von uns favorisierter defensiver Titel ist Constellation Brands. Der Getränkehersteller konzentriert sich zwar in erster Linie auf das untere Ende des Weinmarktes, hat aber erst kürzlich den kanadischen Weinproduzenten Vincor übernommen. Mit diesem Deal eröffnete sich der Konzern einen neuen Markt und damit die Gelegenheit, seinen Durchschnittspreis pro Flasche und so seine Profitabilität zu steigern. Ich bleibe dabei, dass auch in Zukunft diejenigen Unternehmen mit den leistungsfähigsten Geschäftsmodellen die besten Anlagechancen bieten werden. Im Gegensatz zu den letzten Jahren ziehen wir jetzt allerdings Unternehmen vor, die auch dann noch kräftige Erträge generieren, wenn der Verbraucher weniger gut bei Kasse ist. Wir revidieren unsere Herangehensweise an die Titelauswahl also durchaus nicht, sondern passen lediglich den Auswahlprozess den veränderten Rahmenbedingungen an.

Quelle: Schroders

Die Schroders-Gruppe ist eine führende internationale Vermögensverwaltungsgesellschaft, die 1804 gegründet wurde. Schroders verwaltet Anlagen für Pensionsfonds, Regierungsbehörden, Wohltätigkeitsorganisationen, Körperschaften, Familienunternehmen und vermögende Privatpersonen weltweit und ist ein führender Verwalter von Investmentfonds. Schroders bietet Anlagen in allen wichtigen Vermögenskategorien in entwickelten Ländern und Schwellenländern an: Aktien, Schuldtitel, Geldmarktinstrumente, Beteiligungen und Immobilien. Das weltweit verwaltete Vermögen betrug zum 31. März 2006 rund 184,2 Mrd. Euro.

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Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

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