Kommentar
10:07 Uhr, 03.06.2013

Gier, Spekulation, Moral

Wer sich heutzutage moralisch profilieren will, wettert gegen Spekulanten. In Deutschland wird die Bundestagswahl diesbezüglich noch den einen oder anderen Versuch der Profilierung hervorbringen. Während der Großteil dieser Versuche als populistisches Geschwätz abgetan werden kann ist unbestritten, dass es tatsächlich dramatische Schattenseiten in der Welt der Spekulation gibt. Davon redet aber niemand. Stattdessen wird Spekulation synonym für Investments in den Aktien-, Währungs-, Anleihen- und Rohstoffmarkt verwendet. Das geht am Thema vollkommen vorbei und führt nicht zur Lösung von Problemen. Ganz im Gegenteil. Der Antispekulations-Populismus schwächt das Vertrauen. Ausländische, aber auch inländische Investoren überlegen sich genau, ob sie in eine Wirtschaft investieren, die Stabilität und Sicherheit bietet oder die Gefahr einer Politik der Willkür. In einigen Ländern Südamerikas muss man als Investor auf eine Enteignung vorbereitet sein. In Europa schien das bis vor kurzem noch ausgeschlossen. Seit Zypern müssen wir uns auch hier fürchten, Opfer von Verstaatlichung und Enteignung zu werden. Unter dem Deckmantel der Gerechtigkeit ist Spekulation zum Feindbild geworden. Für die politischen Fehler der Vergangenheit muss sie als Sündenbock herhalten. Das ist bedauerlich, denn – wie gesagt – das geht am eigentlichen Problem vollkommen vorbei.

So sehr man sich als Bürger, Investor oder Anleger über die vorherrschende Rhetorik echauffieren kann - das soll das gar nicht Thema des Artikels sein. Vielmehr möchte ich einige Aufsehen erregende Beispiele von Spekulation zeigen, die wirklich als verwerflich bezeichnet werden können. Es sind diese Fälle, die politische Aufmerksamkeit bräuchten.

„Heuschrecken“

Traut man den Politikern, so war in der gesamten Menschheitsgeschichte Spekulation noch nie so wild wie jetzt. In Deutschland fing die breite Debatte um den Raubtierkapitalismus bereits 2005 an. Damals erholte sich Deutschland erst langsam von jahrelanger Stagnation, hoher Arbeitslosigkeit und viel zu hohen Haushaltsdefiziten. Jeder Rückschlag auf dem Weg der Genesung Deutschlands – immerhin damals als der kranke Mann Europas bezeichnet – wurde von Gepolter begleitet. Deutschland ging es nicht so gut wie verdient, weil es eben Heuschrecken gab. Der Ausdruck, welcher von Franz Müntefering eingeführt wurde, hat es inzwischen zu einem „Fachbegriff“ gebracht. Am Pranger standen Investoren, die schwache Unternehmen kauften, um sie später gewinnbringend wieder zu veräußern. Um aus einem von der Insolvenz bedrohten Unternehmen Gewinn zu schlagen, bedarf es erheblicher Anstrengungen. Diese Anstrengungen wurden scharf kritisiert. Dabei darf man nicht vergessen, dass Sanierungen generell keine Lottogewinne sind, unabhängig davon, wer die Sanierung letztlich durchführt.

Heuschrecken wurde zu hoher Renditehunger vorgeworfen, der darin mündet, dass Sanierungen mit sozialer Kälte durchgeführt werden. Ist eine Firma von der Insolvenz bedroht, müssen oft Mitarbeiter entlassen und Unternehmensteile verkauft werden. Etwas lapidar möchte ich sagen: das ist der Lauf der Dinge. So sehr ich persönlich versuche mir vorzustellen, wie es möglich ist, ein Unternehmen ohne Veränderung wieder auf Vordermann zu bringen – es mag mir einfach nicht gelingen. Ich will damit sagen: ein Unternehmen kann man nicht retten, indem man nichts verändert, schließlich hat ja der Status quo dazu geführt, dass das Unternehmen überhaupt erst in die missliche Lage gekommen ist.

Ob in diesen Situationen immer möglichst sozialverträglich gehandelt wird, wage ich gar nicht zu beurteilen. Die Kürzungen scheinen meistens rabiat. Sie müssen auch drastisch sein, denn letztlich wollen Investoren mit der Sanierung Geld verdienen. Ist das moralisch verwerflich? Intuitiv werden das viele bejahen. Man sollte sich allerdings die Alternativen vor Augen führen. Die meisten Unternehmen würden ohne Heuschrecken in den Bankrott gehen. Damit stünden dann nicht 10, 20 oder 50% der Mitarbeiter auf der Straße, sondern 100%. Das ist ein berechtigter Einwand. Aber müssen Investoren trotzdem immer exorbitante Renditen verlangen? Die kurze Antwort darauf lautet: Ja. Dieser Affront gegen das soziale Gewissen lässt sich begründen.

In ein de facto insolventes Unternehmen zu investieren ist riskant. Neben dem Kaufpreis muss zunächst weiteres Geld in das Unternehmen fließen, um notwendige Modernisierungen durchzuführen, sei es in Forschung und Entwicklung oder Investitionen in Verkaufsräume etc. Ein Investor geht damit ein erhebliches Risiko ein. Für das Risiko möchte ein Investor entsprechend kompensiert werden. Die Renditeerwartung orientiert sich am Risiko. Das Risiko liegt bei einem Totalverlust, denn nicht jede Sanierung gelingt. Damit relativieren sich Renditeerwartungen wieder. Zudem kann sich jeder die Frage stellen, ob man selbst ein solches Risiko eingehen möchte. Würden Sie momentan 200 Mio. EUR in Solarworld investieren und lediglich 2% Rendite verlangen?

Inzwischen hat sich das Schreckgespenst von Heuschrecken verflüchtigt. Statt Heuschrecken sind es heute die Spekulanten, die die Schuld tragen. Vielleicht liegt der Wechsel in der Terminologie auch daran, dass unsere Politiker selbst zu Heuschrecken geworden sind. Kein Euro-Rettungspaket ohne sozial schmerzliche Einschnitte in den Staatshaushalten, Massenentlassungen von Staatsbediensteten, kürzen ohnehin geringer Renten usw.

Ich denke, dass wir uns beim Thema Heuschrecken in einer Grauzone bewegen. Nicht jeder Investor ist schlecht und nicht jeder ist gut. Die Methoden sind teils fragwürdig. Dennoch erfüllen sie auch eine wichtige Funktion. Viele Unternehmen erhalten durch Heuschrecken erst eine zweite Chance. Es hört aber nicht bei den Heuschrecken auf. Es gibt eine drastische Steigerung dazu, die nicht mehr in den Graubereich fällt.

Geier

Die Steigerung von Heuschrecke ist Geier. Sogenannte Vulture(Geier)-Fonds sind Fonds, die wie Aasgeier darauf warten, dass ein Unternehmen oder Staat zahlungsunfähig wird. Kurz vor oder nach der Zahlungsunfähigkeit werden Schulden zu hohen Discounts aufgekauft. Die Investoren gehen davon aus, dass Unternehmensteile bzw. Besitz wie Immobilien letztlich zu einem höheren Preis verwertet werden können. Ein solches Vorgehen schafft bei Unternehmensschulden immerhin ein wenig Liquidität in einem sonst vollkommen toten Markt. In der Kritik steht allerdings auch viel mehr der Aufkauf von Staatsschulden denn von Unternehmensschulden und die Methode, wie diese Schulden eingetrieben werden.

Für die Fonds selbst kann das Geschäft sehr lukrativ sein. Die folgende Grafik zeigt eine Auswahl von spektakulären Fällen. Der Kaufpreis der Schulden liegt häufig drastisch unter dem Marktwert. In der Demokratischen Republik Kongo kaufte ein Fonds Schulden im Wert von 30 Mio. zu einem Preis von 3 Mio. Gefordert wurden 100 Mio. Das entspricht einer Performance von 3.233%. Der Fall geht bis in die 1980er Jahre zurück, als sich das Land unter Mobutu bei einem bosnischen Energieunternehmen 30 Mio. Dollar lieh. Der Vulture-Fonds kaufte diese Schulden vor einigen Jahren für 3 Mio. Ob dieser Verkauf überhaupt legal war, ist eine der nebulösen Hintergründe des Falls. Nichtsdestotrotz klagte der Fonds die volle Höhe der Schulden, inkl. Zinsen ein. Zunächst wurde vom Gericht tatsächlich die Zahlung von 100 Mio. festgelegt. Überraschend kam es dann Mitte 2012 zu einer Revision des Urteils. In diesem Fall hatte die DRC einfach Glück. Es gibt aber genügend andere Fälle, bei denen exorbitante Forderungen nachgekommen werden musste. Um die Jahrtausendwende kaufte ein anderer Vulture-Fonds Schulden zu 800 TSD Dollar mit einem Nominalwert von 8 Mio. Ein Gericht sprach dem Fonds die 8 Mio. zu, die auch tatsächlich gezahlt wurden.

Jetzt kann man sich fragen, wieso bitterarme Länder wie der Kongo den Urteilssprüchen von Gerichten z.B. auf den Jersey Inseln nachkommen. Hier wird die Sache etwas komplizierter. Vulture-Fonds klagen die Schulden meist dort ein, wo Vermögen der betroffenen Länder liegen. In dem ersten geschilderten Fall lag das Vermögen eines kongolesischen Minenunternehmens auf den Jersey Inseln. Der Fonds wollte Teile dieses Vermögen des Unternehmens, an dem der kongolesische Staat 20% hält, beschlagnahmen. Dieses Vorgehen ist nicht unbekannt und kennt viele Ausprägungen. Zentralbanken halten teils Vermögen wie Gold nicht nur im eigenen Land, um ggf. Gold im Ausland in andere Währung tauschen zu können. Bei der Fed in New York lagern viele Zentralbanken einen Teil ihrer Goldbestände. Vulture Funds versuchen regelmäßig auf diese Bestände zuzugreifen, wenn ein Land seine Schulden nicht begleicht. Vergangenes Jahr wurde eine argentinische Fregatte in Ghana (äquivalent zur deutschen Gorch Fock) beschlagnahmt. Ein Fonds wollte so Argentinien zwingen, die Schulden zu begleichen. Ein Gericht entschied später, dass die Fregatte wieder freizugeben sei.

Für Staaten wie den Kongo ist es keine Option, die Forderungen einfach zu ignorieren. Zum einen kann Vermögen überall auf der Welt plötzlich eingefroren oder beschlagnahmt werden. Zum anderen handelt es sich rein rechtlich bei den Forderungen um legitime Anliegen. Schulden müssen beglichen werden. Werden sie nicht beglichen, so liegt ein Default (Zahlungsausfall) vor und das können sich die meisten Länder einfach nicht leisten. Sie sind auf internationale Kreditgeber angewiesen. Werden Schulden nicht beglichen, gleich welcher Anleihe oder Zeit, führt das zu einem sofortigen Austrocknen sämtlicher, internationaler Geldquellen. Damit verschärft sich die wirtschaftliche Situation in den ohnehin armen Ländern noch mehr.

Jetzt kann man natürlich sagen: Schulden sind Schulden und müssen beglichen werden. Das ist richtig, allerdings kreieren Vulture-Fonds erst absurde Szenarien, um hohe Gewinne einzufahren. So wurden etwa argentinische Anleihen nach dem Default mit einem Discount von bis zu 80% gekauft. Argentinien wurde umgeschuldet. Eine solche Umschuldung ist allerdings nicht notwendigerweise für alle Gläubiger gültig. Oft können Gläubiger freiwillig mitziehen. Die meisten tun dies auch, um noch einen Teil des Geldes zu retten. Vulture-Fonds widersetzen sich jedoch absichtlich jeder Umschuldung. Sie harren aus, um nach Jahren dann 100% inkl. Zinsen zurückzufordern. Damit wird versucht, den eigentlichen Default zu umgehen.

In anderen Fällen versuchen diese Fonds wie Trüffelschweine sehr alte Schuldverpflichtungen aufzuspüren. 2009 wurde Liberia auf Zahlung vereklagt – für einen Kredit aus dem Jahr 1978 bei einer US Bank. Man fragt sich schon, wie ein solcher Kredit bei einem Vulture-Fonds landet, 30 Jahre nach Kreditaufnahme. Der Kredit wurde von der US Chemical Bank vergeben (heute J.P. Morgan) und in Tranchen weiterverkauft, die dann irgendwie zu einem Vulture Fonds kamen. Dieser klagte auf 20 Mio. Dollar, was 10% des Staatsbudgets entspricht.

Auch wenn das Vorgehen der Fonds grundsätzlich legal ist, stellt man sich hier wirklich die Frage, ob das sein muss. Es werden jahrzehntealte Schulden ausgegraben, häufig aus Zeiten des Bürgerkrieges und Diktatur. Umschuldungen werden absichtlich nicht mitgemacht. Das Vorgehen gefährdet Vermögen in der ganzen Welt. Arme Länder können sich weder solche Beschlagnahmungen leisten noch einen Kreditausfall, da sie sonst vom Kapitalmarkt abgeschnitten sind. Das ist Spekulation, der man das Handwerk legen sollte. Stattdessen wird jeder an den Pranger gestellt und als Spekulant tituliert, der mehr als drei Euro auf dem Konto hat.

Beste Grüße

Clemens Schmale

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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