Geldpolitik am Scheideweg: Das Schmerzmittel "Liquidität" absetzen – aber wann?
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Zürich (BoerseGo.de) - Man ist sich mittlerweile einig, vom Chefredakteur einer Kulturzeitschrift bis hin zum Kolumnisten einer Wirtschaftszeitung: Der amerikanische Notenbankchef Bernanke druckt viel zu viel Geld und hat noch nicht verstanden, dass dies außer einer Hyperinflation nichts bringt. Manche Kommentatoren gehen noch weiter: Es sei sogar die Absicht der US-Geldpolitik, eine Hyperinflation herbeizuführen, denn nur so könne der Schuldenberg abgetragen werden.
Leider werde hierbei vergessen, dass es sich bei der Krise seit 2007 um eine Finanzkrise handelt, so die Experten der Vontobel-Gruppe in einem aktuellen Marktkommentar. Das sei wichtig festzustellen, denn Finanzkrisen wirken deflationär. "Andere Wirtschaftskrisen wie etwa das Platzen der Dotcom-Blase 2000 oder die Rezession aufgrund der Ölkrise der 1970er Jahre waren keine Finanzkrisen und hatten somit auch keine deflationären Auswirkungen", erklärt Dr. Thomas Steinemann, Chefstratege der Vontobel-Gruppe. Das bekannteste Beispiel einer zu Deflation führenden Finanzkrise sei die japanische Misere seit Ende der 1980er Jahre, die bis heute andauere. "Finanzkrisen haben deshalb keine inflationären Auswirkungen, weil sie in der Regel zu einer Bilanzschrumpfung im privaten Sektor führen. Oder anders ausgedrückt: Wenn mein Haus heute nur noch zwei Drittel seines ursprünglichen Wertes hat, muss ich auch einen bedeutenden Teil meiner Hypothek zurückzahlen", so Steinemann. Das zwinge zum Sparen und die Bürger haben dadurch weniger Geld für andere Ausgaben. Insgesamt führe dies dazu, dass die Kreditnachfrage des Privatsektors bei den Banken zurückgeht. Dies sei in der aktuellen Krise der entscheidende Punkt: "Zurzeit weist nach wie vor nichts darauf hin, dass die von der Zentralbank geschaffene Liquidität in einem bedeutenden Ausmaß in die Wirtschaft fließt. Vielmehr bleibt die Liquidität zu einem großen Teil auf den Konten der Banken bei der Zentralbank liegen", so Steinemann.
Aus diesem Grund geht der Vontobel-Experte davon aus, dass die amerikanische Geldpolitik vorerst noch expansiv und der Leitzins tief bleiben dürfte. Die zunehmend robustere Konjunktur und der sich über den Erwartungen verbessernde US-Arbeitsmarkt weisen laut Steinemann aber darauf hin, dass auch in den USA bald einmal die Zinswende angezeigt ist. Er erwartet dies im ersten Quartal des kommenden Jahres. In Europa ist dies bereits geschehen.
Um die Geldpolitik Bernankes abschließend beurteilen zu können, müsse abgewartet werden, ob er das Schmerzmittel "Liquidität" rechtzeitig wieder absetzt. Dass er es überhaupt verwendet hat, war für Steinemann aber richtig.
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