Kommentar
10:22 Uhr, 04.05.2007

Fin de Carry Trade? Die langfristige Sicht

Mehr oder weniger regelmäßig werden nach unvorhergesehenen Ereignissen plötzlich viele Carry Trades aufgelöst. Und immer wieder wird dann das Ende der mit billigen Yen-Krediten finanzierten Wertpapierkäufe ausgerufen. Wir haben untersucht, wie lange Carry Trades noch interessant sind, wann sich das ändern könnte und was das für die Märkte bedeutet.

Eine kurze Geschichte des Carry Trade

Früher wurden Carry Trades üblicherweise von Geschäftsbanken aufgesetzt. Sie liehen sich an ihrem Heimatmarkt zinsgünstig Geld mit kurzer Laufzeit und verliehen es langfristig – und zwar ebenfalls an ihrem Heimatmarkt. Dazu vergaben sie Kredite an Unternehmen oder Privatkunden oder kauften Staats- und Unternehmensanleihen. Die Differenz zwischen kurzfristigen und langfristigen Zinsen machte diese Form der Kreditschöpfung so attraktiv. Dieser, auch Fristentransformation genannte Prozess spielte eine wichtige Rolle bei der Geldschöpfung. Zu Beginn eines Konjunkturzyklus, wenn die Kurzfristzinsen in der Regel niedriger sind als die Langfristzinsen, zogen Geldmengenund Kreditwachstum stets an. Um das Geldmengenwachstum bei steigender Inflation zu begrenzen, erhöhten die Zentralbanken die Kurzfristzinsen so lange, bis die Zinsstrukturkurve flach oder invers wurde.

Seit einigen Jahren betreiben aber nicht mehr nur Inlandsbanken Fristentransformation, sondern auch eine Vielzahl international tätiger Finanzinstitute weltweit. Zwei Faktoren haben dazu beigetragen, dass internationale Carry Trades – die sogenannten Cross-Currency Carry Trades – entstehen konnten:

Zum einen sind die Kreditmärkte effizienter geworden. Grund ist die Entwicklung von Informationssystemen und Risikomanagementtechniken, insbesondere von computergestützten Handelssystemen mit automatischen Stop-Loss-Mechanismen und einer Vielzahl von Absicherungstechniken mittels Terminkontrakten. Für institutionelle Investoren und selbst für mittelgroße und kleine Anleger sind Carry Trades deshalb heute kein Tabu mehr. Infolgedessen steht, sobald es einen spürbaren Unterschied zwischen den Kurzfristzinsen in einem Land und den Langfristzinsen in einem anderen gibt, sofort eine Vielzahl verschiedener Investoren bereit (Investmentbanken, Währungsabteilungen von Geschäftsbanken, Versicherungen, Hedgefonds, Daytrader und sogar Pensionsfonds), um diese Zinsdifferenz für sich zu nutzen.

Und je stabiler das Marktumfeld ist, desto größer ist der Leverage, mit dem diese Transaktionen versehen werden.

Der andere wichtige Faktor ist deshalb die spürbare Verstetigung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung („Great Moderation“1) aufgrund der verbesserten Geld- und Fiskalpolitik in den letzten fünfzehn Jahren. Sie hat zu einem Rückgang der Volatilität einer Reihe von Märkten geführt, was wiederum Investoren dazu veranlasst hat, in Assetklassen zu investieren, die sie aufgrund von Risikoüberlegungen früher gar nicht erst in Erwägung gezogen hätten. Ein frühes und berühmtes Beispiel für einen erfolglosen internationalen Carry Trade ist der Fall von Hutchison Whampoa: Mitte der Siebziger nahm Hutchison ein große Summe Schweizer Franken auf, weil die Schweizer Zinsen niedrig waren, und investierte das Geld in britische Staatsanleihen. Die Verluste, die Hutchison Whampoa aufgrund der Aufwertung des Schweizer Franken gegenüber dem Pfund entstanden sind, waren um ein Vielfaches höher als jeder Zinsdifferenzgewinn. Sie trugen entscheidend zum Zusammenbruch des Unternehmens im Jahr 1975 bei, das schließlich von HSBC gerettet wurde.

Wann funktioniert ein Carry Trade?

Infolge der Normalisierung der Geldpolitik in den letzten zwei bis drei Jahren sind die Zinsstrukturkurven in den meisten wichtigen Volkswirtschaften heute entweder flach oder invers und unterscheiden sich nur noch vergleichsweise wenig voneinander – mit zwei bemerkenswerten Ausnahmen: der Schweiz und Japan. Carry Trades werden deshalb heute nur mit Krediten in japanischen Yen oder Schweizer Franken finanziert.

Es stellt sich die Frage, ob sich solche Transaktionen lohnen und wann mit ihrer Auflösung zu rechnen ist.

Carry Trades sind so lange interessant, wie die Kurse der erworbenen Wertpapiere steigen, nicht aber die dazu aufgenommenen Verbindlichkeiten (gemessen in lokaler Währung). Aufgrund des mit internationalen Carry Trades verbundenen Risikos – auf beiden Seiten der Bilanz – müssen diese erworbenen Wertpapiere sehr liquide sein. Deshalb sind Aktien, Anleihen, Rohstoffe und höherverzinsliche Währungen wichtige Zielobjekte für Carry Trader, Immobilien und Private Equity hingegen üblicherweise nicht.

Die Preise bzw. Kurse der für Carry Trades geeigneten Assetklassen steigen in der Regel in der ersten Hälfte des Konjunkturzyklus deutlich. Mit fortschreitendem Zyklus verringert sich ihre Performance in der Regel. Anleihen sind zugegebenermaßen ein etwas anderer Fall, da ihre Kurse in der mittleren bis späten Phase eines Konjunkturzyklus steigen. Aber sie können auch ausschließlich wegen der Zinsen gekauft werden – und das sogar in späteren Phasen eines Aufschwungs, so lange keine zu starken Kursverluste drohen.

Auf der Verbindlichkeitenseite besteht die Aufgabe lediglich darin, Geld in einer beliebigen, großen, liquiden und niedrigverzinslichen Währung zu leihen. Am besten geeignet sind hierfür, wie bereits erwähnt, der japanische Yen und der Schweizer Franken.

Seit 2003 sind die internationalen Aktien- und Rohstoffmärkte vor allem aufgrund konjunktureller Faktoren gestiegen. Erstens war die Geldpolitik im Allgemeinen expansiv, was sich in den niedrigen Realzinsen und Zinsstrukturkurven mit positiver Steigung widerspiegelt (auch wenn sich dies in den USA im letzten Jahr geändert hat). Zweitens hat das stärkere Wachstum der Unternehmensgewinne zum Anstieg der Aktienkurse beigetragen. Drittens hat die weltweit stärkere Nachfrage die Rohstoffpreise nach oben getrieben. Hinzu kommt, dass jetzt mehr institutionelle Marktteilnehmer an den Rohstoffmärkten aktiv sind und die Rohstoffpreise in höherem Maße spekulationsbestimmt sind als früher. So haben Spekulanten durch die Einführung von ETFs (Exchange Traded Funds) einen besseren Zugang zu den Rohstoffmärkten.

Grob gesagt, wird es den internationalen Carry Trade solange geben, wie man (1) in niedrig verzinslichen Währungen Kredite zu seiner Finanzierung aufnehmen kann, (2) die Konjunktur als noch immer im Aufschwung befindlich wahrgenommen wird und (3) die Volatilität niedrig bleibt.

Rein in den Carry Trade – raus aus dem Carry Trade

Die Voraussetzung für all dies sind aber ruhige Zeiten, also Stabilität und weitgehend unveränderte Erwartungen. Doch die Erwartungen können sich ändern, und manchmal ändern sie sich drastisch. In der Vergangenheit hat das häufig zu einer plötzlichen und vorübergehenden Auflösung der internationalen Carry Trades geführt.

So war der Ausverkauf an den Aktien- und Rohstoffmärkten bei gleichzeitiger Auflösung des Yen-Carry-Trade im Mai und im Juni 2006 die Folge einer solchen Änderung der Erwartungen:

• Erstens hatte die Bank of Japan im März 2006 das bevorstehende Ende ihrer sehr expansiven Geldpolitik (Quantitative Easing) bekannt gegeben und ab Anfang April tatsächlich begonnen, dem Markt gut 20 Billionen Yen an Liquidität zu entziehen.

• Zweitens war der Ölpreis ab dem Frühjahr sehr stark gestiegen, was zu Inflationsängsten in den USA führte. In Folge dessen bildete sich die Meinung, dass die Fed möglicherweise gezwungen sei, die Zinsen über den Sommer hinweg weiter anzuheben, anstatt (wie bis dahin allgemein erwartet) eine Pause einzulegen.

Das Zusammenfallen dieser beiden völlig unerwarteten Ereignisse veranlasste die Carry Trader, ihre risikoreicheren Assets abzustoßen und die geliehenen Yen zurückzuzahlen. Erst als die Investoren erkannten, dass (1) der internationale Konjunkturaufschwung noch immer intakt war, (2) die Änderung der japanischen Geldpolitik keine extreme Verbesserung der japanischen Konjunktur signalisierte (und deshalb auch nicht der Beginn eines Anstiegs der japanischen Zinsen war) und (3) die Fed ihren Zinserhöhungszyklus beendeten würde (im Juli 2006), begannen sich die risikoreicheren Assetklassen zu erholen. Diese Erholung hielt bis zum Februar 2007 an.

Auch der Ausverkauf risikoreicherer Assets Ende Februar/Anfang März 2007 und die damit einhergehende Auflösung der Yen-Carry-Trades war die Folge einer plötzlichen Änderung der Erwartungen. Dieses Mal war der Auslöser eine kleine Turbulenz in China, die sich auf die Märkte der Industrieländer übertrug. Möglich wurde dies vor allem aufgrund von Wachstumssorgen in den USA: Auch wegen des ungewöhnlich warmen Winters waren die Konjunkturdaten lange Zeit sehr gut gewesen, doch Ende Januar verschlechterten sie sich, und der frühere Fed-Vorsitzende Alan Greenspan ließ sich dazu hinreißen, von der „Möglichkeit“ einer Rezession im Jahr 2007 zu sprechen. Diese Aussage verstärkte er eine Woche später noch; jetzt bezifferte er die Rezessionswahrscheinlichkeit mit 1 zu 3. Hinzu kam, dass die Krise am Markt für zweitklassige Hypotheken einige Investoren veranlasste, ihre Erwartungen für die USA nach unten zu revidieren. Die Serie schwächerer Konjunkturdaten ließ derartige pessimistische Szenarien glaubwürdig erscheinen (zumindest bis am 9. März die Arbeitsmarktdaten veröffentlicht wurden).

Wie im Mai und Juni 2006 wird auch der jüngste Rückgang nicht lange anhalten. Bald wird das Umfeld wieder geeignet sein für einen neuen Aufschwung – vorausgesetzt, dass es (1) noch immer niedrig verzinsliche Währungen gibt, um den Carry Trade zu finanzieren, man (2) von einer Fortsetzung des Konjunkturaufschwungs ausgeht und (3) die Volatilität wieder zurückgeht.

Wann ist Schluss mit dem Carry Trade?

Zwar wurden die japanischen BIP-Daten für das 4. Quartal 2006 auf 5,5% nach oben revidiert, doch ist dieser Wert lediglich eine Erholung nach den im 3. Quartal sehr schlechten Daten. Es ist unwahrscheinlich, dass Japan 2007 auch nur annähernd so stark wächst wie im 4. Quartal 2006. Hinzu kommt, dass die jüngsten japanischen Inflationsdaten viel niedriger waren als zuvor und sogar eine mögliche Rückkehr in die Deflation signalisieren. Dies hätte zur Folge, dass die Bank of Japan die Zinsen in absehbarer Zeit nicht anheben kann. Deshalb wird der Yen schwach bleiben und für weitere ein bis zwei Jahre eine attraktive Währung zur Finanzierung internationaler Carry Trades sein.

Gleichzeitig sind wir der Meinung, dass die USKonjunktur trotz der Probleme am Markt für zweitklassige Hypotheken weder in diesem noch im nächsten Jahr in einen Abschwung gerät. Wir halten es für das wahrscheinlichste Szenario, dass Investoren und Carry Trader schon in wenigen Wochen wieder beginnen werden, von einer Erholung des realen BIP-Wachstums auf nur wenig unterhalb des Potentialwachstums von 3% bei niedriger Inflation auszugehen. Kurz gesagt: Der Ausverkauf Anfang März wird eine ähnliche Episode bleiben wie der im Mai und im Juni 2006.

Früher oder später wird sich die japanische Konjunktur aber erholen. Die Zinsen dürften im Laufe der nächsten zwei bis drei Jahre auf ein normales Niveau steigen. Dann wird der Yen keine gute Finanzierungsquelle für Carry Trades mehr sein. Bis dahin wird der weltweite (also insbesondere der amerikanische) Konjunkturzyklus weit fortgeschritten sein, und das Risiko von Aktien- oder Rohstoffinvestitionen wird höher sein als in jeder anderen Phase des Konjunkturzyklus. Das gilt insbesondere für kreditfinanzierte Positionen.

Auch in den kommenden ein bis zwei Jahren dürfte es immer wieder deutliche Korrekturen der Assetpreise geben, die mit plötzlichen Auflösungen internationaler Carry Trades einhergehen. Danach wird die Attraktivität von Carry Trades aber nachlassen. Die Schocks, die das System dann – also gegen Ende des Konjunkturzyklus – erschüttern, werden echte und ernsthafte Bedrohungen sein (Inflation oder Rezession) – und nicht nur die Folge plötzlicher und vorübergehender Versuche fremdfinanzierter Marktteilnehmer, das Risiko in ihren Portfolios zu vermindern.

Quelle: INVESCO

INVESCO zählt als Teil der AMVESCAP Gruppe zu den führenden Asset Managern weltweit – mit über 380 Mrd. US-Dollar (per 30. September 2005) verwaltetem Vermögen. Über 5.900 Mitarbeiter, darunter rund 500 Investmentspezialisten, sind in 20 Ländern im Einsatz.

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Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

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