Faktor Mensch, wie wird mit Dir gerechnet?
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Predigt von Prof. Dr. Max Otte auf dem deutschen evangelischen Kirchentag in Bremen am 22. Mai 2009
Liebe Gemeinde in Christo,
In diesen Tagen wird mit großen Zahlen gerechnet:
102 Milliarden Euro oder 1.220 Euro für jeden Menschen in der Bundes-republik kostete bislang die Rettung der Hypo Real Estate Bank.
60 Millionen Euro pro Jahr verdiente Gerhard Bruckermann in der kleinen DePfa Bank, weil er diese in hochspekulative Derivategeschäfte gestürzt hatte. Damit war er zeitweilig der bestbezahlte Manager Deutschlands. Kurz vor dem Absturz verkaufte er die DePfa Bank an die Hypo Real Estate unter Georg Funke und verabschiedete sich schnell aus dem Vorstand.
Zwölf Millionen Euro will ex-Hypo-Real-Estate Vorstand Georg Funke nun vor Gericht erstreiten, weil er sich seinen Anstellungsvertrag und seine Pensionsansprüche voll auszahlen lassen möchte. Auch der Ex-Vorstandschef der IKB Bank in Düsseldorf, Stefan Ortseifen, geht gegen seine Kündigung vor. Die IKB hat den Steuerzahler 12 Milliarden gekostet.
Fünf Billionen Dollar sind weltweit bislang an Garantien und Stützungsmaßnahmen für das Bankensystem aufgewandt worden. Das entspricht ungefähr der jährlichen Wirtschaftsleistung Deutschlands.
Um insgesamt unvorstellbare 50 Billionen Dollar sind die Vermögenswerte auf der Welt geschrumpft – das entspricht der Höhe eines Weltsozialprodukts. Wenn alle Menschen dieser Welt ein Jahr arbeiten und ihr gesamtes Einkommen sparen würden, wäre dieser Vermögensverlust wieder ausgeglichen.
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Soweit die Finanzen. Und der Mensch?
Der Mensch ist Produktionsfaktor geworden – in den Maquiladoras in Nicaragua und den Fabriken in Shenzen. Aber genauso in Bochum, Eisenach, Kaiserslautern und Rüsselsheim.
15, 20, ja 25 Prozent Rendite müsse das eingesetzte Kapital bringen, haben wir immer wieder zu hören bekommen. Für das Kapital gab es einen Mindestlohn – für die meisten Menschen nicht.
Wir erkennen, wie das Handeln vieler von rein fiktiven Werten bestimmt wurde: seien es die Preise amerikanischer Häuser, die Kurse von Technologieaktien oder undurchsichtige und hochkomplexe Anleihen. Die Finanzwelt ist zu einem esoterischen Raum geworden, der immer weniger Verbindung mit der Realität hat.
Aber wir sehen die Profiteure dieses Spiels, die manchmal hunderte von Million Dollar, zum Teil sogar Milliarden pro Jahr verdienten, und die Opfer: die Entlassenen, die kleinen Selbständigen, die Menschen in der Dritten Welt.
Dieses Jahr werden in Deutschland eine Million Menschen in die Arbeitslosigkeit entlassen.
351 Euro zuzüglich Wohngeld ist der Hartz-IV-Mindestsatz. Das sind 12 Euro pro Tag für Essen, Kleidung, Verkehr, Bildung, Kultur.
Von der bislang für die Rettung der Hypo Real Estate aufgewandte Summe könnten 24 Millionen Menschen ein Jahr lang Hartz IV empfangen, mit allen Nebenleistungen immer noch über 10 Millionen Menschen.
Im Zuge der Finanzkrise wanken viele als sicher geglaubte irdische Schätze und irdische Gewissheiten. Gigantische Finanzvermögen lösen sich in Luft auf. Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel. Jahrzehnte eines zum Teil recht naiven Fortschritts- und Globalisierungsglaubens enden. Die Angst geht um.
Wir merken, dass wir von vielen Dingen den Preis kennen, von wenigen aber den Wert.
Der Wert einer Beziehung, einer Arbeit, eines Kunstwerkes ist mit Geld eben nicht zu messen. Wer von allen Dingen den Preis kennt, kennt von nichts den Wert.
Wert heißt Sinn, heißt himmlisches Wirken in die Welt hinein. Insofern kann der Dienst am Nächsten, die sorgfältig ausgeführte Handwerkerarbeit, die Liebe, das Kunstwerk einen Wert haben, ein Bankkonto: niemals.
Werte lassen sich eben nicht in Zahlen ausdrücken.
Finde DEINEN Schatz
Was aber sind dann diese Werte im Leben? Oder zugespitzter noch: Was macht das (eigene) Leben wirklich wertvoll, was macht es lebenswert? Mit dieser Grundsatzfrage beschäftigt sich das Neue Testament in den Gleichnissen vom Schatz und der Perle, die Jesus in Matthäus 13: 44-46 erzählt.
Das Himmelreich gleicht einem Schatz, den ein Mensch fand und verbarg. Es gleicht einem Kaufmann, der Perlen suchte. Als der Mensch den Schatz und der Kaufmann eine besonders kostbare Perle gefunden hatten, verkauften Sie alles, was sie besaßen, und erwarben ihre Schätze.
Matthäus 13 ist voll von Gleichnissen. Im Gleichnis vom Sämann oder dem Gleichnis vom Unkraut geht es um die Kinder des Reichs und die Kinder des Bösen, Gut und Böse, Frucht und Verdorren. Die Gleichnisse vom Senfkorn und vom Sauerteig zeigen, wie aus etwas scheinbar Kleinem etwas ganz Großes wird.
Diese Gleichnisse sind alle aus der Perspektive des Sämanns, des Sohns Gottes, erzählt.
In den Gleichnissen vom Schatz und von der Perle geht es aber um Dich und mich, um uns Menschen. Es geht darum, wie das Himmelreich durch Dich und mich wirken kann und was WIR tun können.
Der Theologe Eduard Schweizer schreibt hierzu: Was an den Gleichnissen vom Schatz im Acker und der kostbaren Perle überzeugt ist die unerhörte, alles überbietende Entdeckung, der gegenüber man einfach hingeht und alles andere aufgibt. Die wirklich Handelnden sind Schatz und Perle, also das, was von außen gesehen rein passiv „gefunden“ wird. Von ihnen geht alle Kraft aus … Dennoch schließen beide Gleichnisse „….und kaufte ihn“ – aus dem Handeln des Himmelreichs folgt das Handeln des Menschen… durch die Entscheidung des Einzelnen wirkt es in die Welt.
Soweit Eduard Schweizer.
Jesus will, dass Du suchst. Du bist nicht NUR das Samenkorn, das zufällig auf felsigen Boden oder auf den Weg fällt oder vielleicht auf fruchtbaren Boden. Du selber sollst aktiv werden.
Sein Versprechen (Matth. 7,8) (an uns) lautet: „Wer da sucht, der findet.“
Wir wissen nicht, wie lange die Suche dauert, wie beschwerlich sie wird und was uns auf unserem Weg erwartet. Aber wir haben das Wort Christi.
Und so auch in diesem Gleichnis: Der Mensch fand seinen Schatz, der Kaufmann fand seine besonders kostbare Perle.
„Um diese aber zu erwerben, verkauften Sie ALLES, was sie hatten.“
Ja, beide hatten gesucht, und beide hatten gefunden. Damit ist das Gleichnis aber noch nicht zu Ende. Sie trennten sich von allem, was sie besaßen, um ihren Schatz bergen zu können. Sie handelten.
Diese Radikalität der Entscheidung für die Nachfolge Christi begegnet uns an vielen Stellen im Neuen Testament:
Als Jesus seine Mutter und Brüder abweist, die mit ihm reden wollen, die Hand über seine Jünger ausstreckt und spricht: „Siehe da, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder! Denn wer den Willen tut meines Vater im Himmel, der ist mir Bruder und Schwester und Mutter (Matth. 12:47-50).“
Als Jesus spricht: „Folge Du mir, und lass die Toten ihre Toten begraben (Matth. 8:22).“
Es reicht nicht, zu suchen und zu finden. Wir müssen den Schatz auch bergen. Und das heißt: sich entscheiden, vieles aufgeben. Neue Wege finden.
Unser Schatz kann uns in vielfacher Form über den Weg laufen:
Wir finden den Partner, mit dem wir unser Leben verbringen wollen.
Wir finden eine Arbeit, die uns wirklich erfüllt.
Eine Aufgabe wird an uns herangetragen, an der wir wachsen.
Solche Funde sind unermesslich kostbar. Sie kommen vielleicht nur einmal im Leben daher. Sie sind nicht beliebig oder jederzeit auffindbar. Wir müssen vielleicht viel hergeben, um den Fund annehmen zu können: Lieb gewonnene Freizeit, Hobbys, Menschen, Geld und Einkommen. Wir müssen bereit sein für den Schatz des Himmelreichs. Das erfordert manchmal schmerzhafte Einschnitte.
Aber wenn wir wissen, dass wir eine besondere Perle gefunden haben und diese annehmen, dann sind wir auf dem Weg Gottes.
Dann zählen nicht mehr die Zwänge der Welt sondern der einzigartige Wert, den diese Beziehung, diese Arbeit, diese Aufgabe für Dich und Deine Umgebung haben.
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Ich möchte Ihnen eine persönliche Erfahrung berichten. Vor etwas mehr als zehn Jahren wusste ich plötzlich, was ich beruflich für den Rest meines Lebens machen wollte. Es war die Zeit des Internetbooms. In den USA entdeckte ich eine Internetseite, die frisch und un-konventionell, aber ehrlich und mit pädagogischem Anspruch über die Welt der Finanzen aufklärte. Dieses Konzept wollte ich nach Deutschland bringen. Aus meiner Sicht war diese Tätigkeit auch gesellschaftlich sinnvoll. Alles kam zusammen – mein Interesse für Finanzen, für Publizistik, für das Internet. Ich scheue das Wort „Eingebung“, aber es war schon ein besonderer Moment. Plötzlich war alles klar.
Vorher hatte ich die verschiedensten Dinge gemacht. Dabei waren sicherlich spannende Projekte. Aber ich hatte mich von den Gelegenheiten leiten lassen, die sich mir boten, nicht von meiner inneren Stimme. Nun wusste ich, welchen Weg ich gehen musste.
Ich kündigte meine Lebensstellung an einer amerikanischen Universität und begann mit meinem Vorhaben. Nach verschiedensten Widrigkeiten konnte das Unterfangen Ende 2000 starten. Schnell kam es knüppeldick – eine Insolvenz, gefährliche und hartnäckige Rechtsstreitigkeiten, die zwei große und bekannte Unternehmen mit mir anfingen. Ich stand kurz vor dem endgültigen Aus. Ich verkaufte buchstäblich fast alles, um an meiner Perle festhalten zu können. Ich verkaufte sogar meine geliebten Gitarren, um über die Runden zu kommen. Ich konnte gar nicht anders.
Heute weiß ich: Es hat sich gelohnt. Das Konzept musste ich oftmals anpassen, damit das Unternehmen überleben konnte, aber den Grundgedanken konnte ich verwirklichen. Es gibt sicher Aufgaben mit einer höheren Vergütung. Es gibt sicher Aufgaben, die leichter zu bewältigen sind. Aber keine davon wäre mir so viel wert wie das, was ich jetzt mache. Heute weiß ich: Gott hat seine Hand im Spiel gehabt. Ich habe meine Aufgabe gefunden.
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Was aber können wir alle als Christen tun angesichts zügelloser Finanzmärkte und eines globalen Hyperkapitalismus, der außer Kontrolle geraten ist?
Bereits jetzt beginnt die Empörung über den systematischen Betrug, der in der Finanzkrise mündete, nachzulassen. Viele Menschen sagen mir: „Ich kann das Thema Finanzkrise nicht mehr hören.“ Dabei ist die Politik dringend gefordert. Hierzu ein Beispiel: Für Feuerwaffen benötigt man einen Waffenschein, aber jeder geschäftsfähige Mensch kann Finanzderivate und Zertifikate erwerben, Instrumente, die der amerikanische Investor Warren Buffett als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“ bezeichnet hat.
Ich sehe nicht, dass sich das ändern wird. Derzeit sieht es so aus, als ob das Versprechen von Steuersenkungen die wichtigste politische Konsequenz der Finanzkrise ist. Machen wir uns nichts vor: die Politik hat uns weitgehend gelassen.
Wir leben weiter im Rautierkapitalismus. „Wenn die Krise vorbei ist, regiert wieder das Kapital“, schreiben meine Kollegen Philipp Genschel und Frank Nullmeier in der ZEIT.
Umso wichtiger ist es, dass wir das Feld nicht den Raubtieren überlassen. Wie oft höre ich: „Von Finanzen verstehe ich nichts!“ Das kann nicht die Antwort sein. Beschäftigen Sie sich mit dem Thema Finanzen und Finanzmärkte! Finanzkompetenz tut uns gut – persönlich, in den Gemeinden, auf die gewaltige Herausforderungen zukommen und für die Gesellschaft.
Deutschland ist der zweitgrößte Kapitalexporteur der Welt. Dieses Potential verpufft – mal in Technologieaktien, mal in Medienfonds, mal in Subprime-Papieren und mal in der Europäischen Union. Woher kommt dieses Kapital, das wir exportieren? Ich darf Ihnen sagen: Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist es nicht das Kapital der Konzerne - es sind fast ausschließlich Ihre eigenen Spareinlagen, die Sie der Wirtschaft auf die eine oder andere Art zur Verfügung stellen!
Im Gleichnis von den Talenten (Matth. 25: 14-30) sagt Jesus: „So solltest Du nun mein Geld den Wechslern gegeben haben, und wenn ich kam, hätte ich das meine mit Zinsen erhalten.“
Beschäftigen Sie sich mit dem Thema Kapitalanlagen. Legen Sie Ihr Geld nur in Anlagen an, die Sie verstehen. Meiden Sie komplexe Produkte der Finanzbranche. Fragen Sie Ihren Bankberater, ob in dem Produkt, das er Ihnen anbietet, Finanzderivate – also Wetten - versteckt sind. Fragen Sie hartnäckig. Wenn ja, lehnen Sie ab. Nehmen Sie immer einen Zeugen zum Beratungsgespräch mit.
Bringen Sie Ihr Geld zu genossenschaftlich oder öffentlich-rechtlich organisierten Banken – die gibt es in ganz Deutschland. Hier sind noch halbwegs verantwortungsvolle Strukturen gegeben.
Gottes Reich ist nicht von dieser Welt. Aber wir leben in dieser Welt. Von einem radikalen Umbau dieser Gesellschaft können wir träumen. Aber kleine Schritte bringen uns auch weiter. Dazu benötigen wir Sachkompetenz. Ich kann Sie nur ermutigen, sich mit dem Thema zu befassen.
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In den Gleichnissen stutzte ich kurz: Einmal war das Himmelreich ein Schatz und dann war es der Kaufmann. Scheinbar eine Ungereimtheit. Aber nur scheinbar. Der Schatz ist nicht von dem Menschen zu trennen, der ihn sucht. Was für Dich ein Stück Himmel und göttliches Wirken auf Erden sein kann, ist es zunächst für Dich und für Dich allein.
Nur Du selbst, Mensch, kannst Gottes Willen erkennen. Nur Du kannst suchen und finden, was Gott für Dich bestimmt hat.
Wenn Du es aber gefunden und angenommen hast, dann ist es, als ob der Heilige Geist selber durch Dich wirkt.
Wenn dann Gott ruft:
„Mensch, wo bist Du?“
dann kannst Du antworten.
„Hier, hier bin ich.“
Hier an meinem Platz, an den Du mich gestellt hast.
Ich weiß von der Beschränktheit meiner menschlichen Existenz. Ich weiß um die Grenzen meiner Fähigkeiten. Ich weiß, dass ich nackt bin. Aber ich schäme mich nicht mehr. Ich habe alles gegeben, um hier an meinen Platz, den Du für mich bestimmt hast, Deinen Willen zu erfüllen.
Amen.
Anmerkung: Es handelt sich um die persönliche Meinung von Max Otte, nicht um Aussagen des PRIVATINVESTOR. Der PRIVATINVESTOR ist selbstverständlich nicht konfessionell gebunden und ausschließlich der Wertpapieranalyse und Kapitalanlage verpflichtet.
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