Kommentar
18:16 Uhr, 08.05.2020

EZB-Urteil: Die Folgen könnten dramatisch sein

Am Dienstag hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Anleihenkäufe der EZB gegen EU-Recht verstoßen. Doch statt für Klarheit sorgt das Urteil für noch mehr Unklarheit und Stirnrunzeln. Droht eine Verfassungskrise?

Normalerweise äußert sich der Europäische Gerichtshof nicht zu Urteilen nationaler Gerichte. Doch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom vergangenen Dienstag, wonach die EZB mit ihren Anleihenkäufen ihre Kompetenzen überschritten hat, ruft den Europäischen Gerichtshof nun doch auf den Plan.

In einer Pressemitteilung vom Freitag wirft der EuGH dem Bundesverfassungsgericht nun seinerseits vor, mit dem Urteil zu den EZB-Anleihekäufen seine Kompetenzen überschritten zu haben. Der EuGH hatte nach einer Vorlage des Bundesverfassungsgerichts nämlich bereits im Dezember 2018 entschieden, dass die EZB-Anleihenkäufe sehr wohl vom EZB-Mandat und dem EU-Recht gedeckt seien. Das Bundesverfassungsgericht setzte sich – erstmals überhaupt – aber über das EuGH-Urteil ausdrücklich hinweg. Das sei nicht zulässig, meint der EuGH nun und schreibt in seiner Pressemitteilung:

"Ganz generell kann auf die ständige EuGH-Rechtsprechung hingewiesen werden, wonach ein im Vorabentscheidungsverfahren ergangenes EuGH-Urteil für das vorlegende nationale Gericht bindend ist. Um die einheitliche Anwendung des Unionsrechts zu wahren, ist nur der zu diesem Zweck von den Mitgliedstaaten geschaffene EuGH befugt, festzustellen, dass eine Handlung eines Unionsorgans gegen Unionsrecht verstößt. Meinungsverschiedenheiten der mitgliedstaatlichen Gerichte über die Gültigkeit einer solchen Handlung wären nämlich geeignet, die Einheit der Unionsrechtsordnung aufs Spiel zu setzen und die Rechtssicherheit zu beeinträchtigen. Wie andere Träger öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten sind auch die nationalen Gerichte verpflichtet, die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu garantieren. Nur so bleibt die Gleichheit der Mitgliedstaaten in der von ihnen geschaffenen Union gewahrt."

Mit anderen Worten: Der EuGH wirft dem Bundesverfassungsgericht vor, mit dem Urteil die eigenen Kompetenzen überschritten zu haben. Die Urteile des EuGH zum "Unionsrecht" (also dem EU-Recht) seien nämlich für die nationalen Gerichte bindend. Genau das sieht das Bundesverfassungsgericht aber explizit anders. In seinem am Dienstag veröffentlichten Urteil hatte das Bundesverfassungsgericht dem EuGH seinerseits vorgeworfen, seine Kompetenzen überschritten zu haben. Das EuGH-Urteil zu den Anleihekäufen sei nämlich "schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar und insoweit ultra vires ergangen", hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden. "Ultra vires" steht dabei für einen Rechtsakt, zu dem der jeweilige Akteur gar nicht befugt ist.

Mit seinem Urteil vom vergangenen Dienstag, das wird nun immer klarer, hat das Bundesverfassungsgericht möglicherweise eine Verfassungskrise heraufbeschworen. So bezeichnet man einen Zustand, bei denen zwei voneinander unabhängige Verfassungsorgane sich gegenseitig für nicht zuständig halten und deshalb die Autorität der jeweils anderen Stelle in der Frage ablehnen. Ohne guten Willen kann sich eine Verfassungskrise schnell zu einer ernsthaften Staatskrise ausweiten. Wegen des komplexen Beziehungsgeflechts zwischen europäischen und nationalen staatlichen Organen hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und die Klarstellung des EuGH große Sprengkraft.

Das Verfassungsgericht hatte der Bundesbank untersagt, weiter an den EZB-Anleihekäufen mitzuwirken, falls die Europäische Zentralbank (EZB) nicht innerhalb von drei Monaten einen neuen Ratsbeschluss fasst, der mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgericht übereinstimmt. Ob die EZB sich an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts halten wird, dürfte nun aber zumindest zweifelhaft sein. Denn der EuGH hält das Bundesverfassungsgericht bei der Auslegung von EU-Recht für gar nicht zuständig, wie er nun erneut explizit betont hat. Die EZB hatte am Dienstag zwar mitgeteilt, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts "zur Kenntnis genommen" zu haben, gleichzeitig aber darauf hingewiesen, dass der EuGH eben schon im Dezember 2018 die Anleihenkäufe für rechtens erklärt hatte.

Die EU-Kommission schließt nun nicht aus, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einzuleiten, falls sich Deutschland nicht an das EuGH-Urteil halten sollte, wie das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" berichtet. Damit würde das Verfahren um eine weitere Komplikationsstufe bereichert. Denn angesichts der im Grundgesetz verankerten Gewaltenteilung ist es undenkbar, dass sich Regierung und Bundesbank einfach über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hinwegsetzen – auch wenn die EU-Institutionen dies verlangen sollten. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) lässt derweil seine Beamten laut Bericht prüfen lassen, ob das neue, 750 Milliarden Euro schwere Pandemie-Ankaufprogramm ebenfalls gegen EU-Recht verstößt, wobei die Beamten keine Verstöße erkennen können.

Im Hintergrund dürften auf europäischer Ebene und im politischen Berlin nun alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um eine für alle Seiten annehmbare Lösung zu finden. Denn die von der Corona-Pandemie ganz besonders stark betroffenen Euro-Länder könnten es als mangelnde Solidarität werten, wenn sich die Bundesbank nicht mehr an den gemeinsamen Anleihekäufen der EZB beteiligen sollte – obwohl sich das EZB-Urteil gar nicht auf das neue Pandemie-Kaufprogramm der EZB bezieht. Zumindest mittelfristig könnte durchaus auch die Existenz des Euro auf dem Spiel stehen, wenn sich die Bundesbank als ausführende Stelle nicht mehr an den geldpolitischen Maßnahmen der EZB beteiligen darf. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat mehr Sprengkraft, als es auf den ersten Blick erkennen lässt. Die kommenden Monate dürften spannend werden.

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12 Kommentare

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  • Strizi
    Strizi

    Beamtistan.....😂😂 der ist gut

    19:21 Uhr, 09.05. 2020
  • Joshua
    Joshua

    Hier kann man -- wieder einmal -- den Wirrköpfen beim EUGH bei der Arbeit zuschauen. Was diesen Damen und Herren dort produzieren hat u.a. die Briten aus der EU getrieben.

    Da muss mal ordentlich durchgefegt werden, wir sollten die Polen da mal ranlassen.

    16:58 Uhr, 09.05. 2020
    1 Antwort anzeigen
  • mkronen
    mkronen

    Die Erwiderung des EuGH ist hochbrisant. Auch politisch verschieben sich hier ggf die Front, sollte die BRD sich auf geltendes deutsches Recht und die Unantastbarkeit des des Verfassungsgerichtes einlassen (müssen). Die Osteuropäische Länder wie Polen, Tschechien, Ungarn bestreiten schon länger den Absolutismus des europäischen Institutionen.

    Hier könnte sich eine Spaltung zwischen Spanien/Frankreich/Italien etc und dem Rest der EU unter deutscher Führung auftun.

    Sollte die Bundesbank auch nur kurzfristig sich zurückziehen, wir das eine Euro-Krise heraufbeschwören, die diesmal primär nicht vom Kapitalmarkt ausgeht.

    Investiv hätten wir eine Trennung in wirtschaftlich aufstrebende und die leistungsfähigen Staaten und den anderen Staat der südwest Flanke, die wirtschaftlich an der Wand stehen.

    -> mittelfristig short CAC40, IBEX etc.

    11:23 Uhr, 09.05. 2020
  • Sascha Huber
    Sascha Huber Experte für Kryptowährungen

    Ich bin kein Jurist, aber eigentlich verstehe ich es so: Was das BVerfG im Bezug auf die Zuständigkeit des EuGH gesagt hat, ist dämlich. Man hat selbst den EuGH angerufen, dann kann man hinterher nicht behaupten er wäre gar nicht zuständig. Sind die da in Karlsruhe doof oder was?

    Andererseits gilt aber auch: Für die EU mag der EuGH zuständig sein, für Deutschland ist es jedoch das BVerfG. Das BVerfG hat ja nicht der EZB etwas "verboten", sondern nur der Bundesbank (wenngleich diese ein Teil des EZB-Systems ist). Insofern hat schon jedes Gericht in seiner eigenen Zuständigkeit entschieden und die Vorwürfe des EuGH an das BVerfG sind genauso dämlich.

    Letzten Endes ist es so: Der EuGH erlaubt der EZB alles, denn die europäischen Institutionen wollen sich ja nicht selbst ihre Existenzgrundlage entziehen. In dieser Hinsicht sind diese europäischen Institutionen wie die gesamte EU halt fragwürdig. Die Briten haben das erkannt und sich gerade noch rechtzeitig verdünnisiert, sie werden stark davon profitieren. Das BVerfG hat sich viel zu lange untergeordnet und nun mal ein klein wenig dagegen gestemmt. Dies müsste es hier vielmehr geben.

    PS: Und bevor jetzt wieder alle aus den Ecken kommen, um mich in irgendeine Ecke zu stellen... ich bin grundsätzlich PRO Europa. Aber NICHT für die Auswüchse der heutigen EU. Da sitzen viel zu viele Deppen in Brüssel, hier gehört mal richtig aufgeräumt und ausgemistet. Und ggfs. die EU zurückgebaut oder, sofern die Mehrheit der Menschen in allen Mitgliedsstaaten in demokratischen Abstimmungen dafür ist, die Vereinigten Staaten von Europa gegründet. Ich wäre NICHT mal gegen letzteres, sofern man demokratische Mehrheiten dafür findet. Diese sehe ich allerdings, wenn ich ehrlich bin, aktuell nicht.

    20:08 Uhr, 08.05. 2020
    3 Antworten anzeigen
  • Peter Zumdeick
    Peter Zumdeick

    Hoffentlich entfaltet das BVerG Urteil seine volle Sprengkraft und fegt die Eurozone hinweg.

    19:57 Uhr, 08.05. 2020
  • katzenfreund
    katzenfreund

    welche Alternativen gibt es für Bundesbank zu "existenz des Euro"?

    18:48 Uhr, 08.05. 2020
  • nextone
    nextone

    Das erinnert mich irgendwie an´s Mittelalter, wenn Kaiser und Papst sich stritten. Fragt sich nur, wer den Gang nach Canossa gehen muss?

    18:46 Uhr, 08.05. 2020

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Über den Experten

Oliver Baron
Oliver Baron
Experte für Anlagestrategien

Oliver Baron ist Finanzjournalist und seit 2007 als Experte für stock3 tätig. Er beschäftigt sich intensiv mit Anlagestrategien, der Fundamentalanalyse von Unternehmen und Märkten sowie der langfristigen Geldanlage mit Aktien und ETFs. An der Börse fasziniert Oliver Baron besonders das freie Spiel der Marktkräfte, das dazu führt, dass der Markt niemals vollständig vorhersagbar ist. Der Aktienmarkt ermöglicht es jedem, sich am wirtschaftlichen Erfolg der besten Unternehmen der Welt zu beteiligen und so langfristig Vermögen aufzubauen. In seinen Artikeln geht Oliver Baron u. a. der Frage nach, mit welchen Strategien und Produkten Privatanleger ihren Börsenerfolg langfristig maximieren können.

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