Kommentar
10:34 Uhr, 01.08.2006

EZB-Kompass: Leitzins steigt auf 3,5 % zum Jahresende

1. Gesamtergebnis: Der bei 50 Punkten neutrale EZB-Kompass lag im Juli bei 69,9 Punkten. Der Vormonat wurde von 68,8 auf 69,2 Punkte leicht heraufrevidiert. In der Historie des EZB-Kompass wurde das aktuelle Niveau nur in den Monaten Oktober und Dezember 2000 übertroffen.

2. Wirtschaftliche Analyse: Der Wert der wirtschaftlichen Analyse stieg von 60,5 im Juni auf 61,7 im Juli. Die Inflationsindikatoren zeigen weiterhin ein gemischtes Bild. Rohstoffabhängige Inflationsindikatoren liegen deutlich über der Inflationsgrenze der EZB von 2,0 %. Rohstoffunabhängige Inflationsindikatoren wie die Kernrate des HVPI oder die Lohnstückkosten liegen deutlich darunter. Die Geldpolitik nur auf die Gesamtrate des HVPI auszurichten, wäre sicherlich nicht richtig, da ein Großteil der Inflationskomponenten nicht von der Geldpolitik beeinflusst werden kann. So fand ein EZB-Arbeitspapier (Nr. 537, Ciccarelli/ Mojon, Oktober 2005) heraus, dass 70 % der Varianz der nationalen Inflationsraten von 22 OECD-Ländern durch den Inflationsdurchschnitt der gesamten OECD erklärt werden kann. Die Geldpolitik nicht an der Gesamtrate des HVPI auszurichten wäre allerdings auch nicht richtig. Das Versprechen der EZB lautet Preisniveaustabilität. So wie es im Fußball egal ist, ob eine Mannschaft durch Elfmeter oder Eigentor verliert, ist es für den Konsumenten letztlich egal, ob sein Realeinkommen aufgrund von steigenden Benzin-, Lebensmittel- oder Dienstleistungspreisen fällt. Zudem muss angemerkt werden, dass die hohen Rohstoffpreise, die niedrigeren Güterpreise außerhalb des Rohstoffsektors und der mäßige Lohnstückkostenanstieg allesamt von dem starken Globalisierungsschub der vergangenen Jahre beeinflusst wurden, bei dem die immer stärkere Integration der vier BRIC- Länder und vieler anderer Staaten dazu geführt hat, dass das Verhältnis von Exporten zu BIP weltweit in den letzten zehn Jahren von 22 % auf rund 29 % angestiegen ist. Die EZB kann sich mit anderen Worten nicht mit dem Verweis auf die niedrigen Lohnstückkosten beruhigt zurücklehnen.

3. Monetäre Analyse: Der Score der monetären Analyse bleibt mit 94,3 nach 95,3 Punkten im Vormonat auf extrem hohen Niveau. Die beim M3-Wachstum und der Kreditvergabe zuletzt etwas geringere monatliche Dynamik als in den Vormonaten führen wir auch auf die WM zurück, die von Themen wie Hypothekenkreditvergabe etwas abgelenkt haben sollte. Eine Trendwende begründen die Daten noch nicht. Das von der monetären Analyse ausgehende Signal spricht eindeutig und nachhaltig für Zinserhöhungen.

4. Leitzinsprognose: Der EZB-Kompass signalisiert wie schon im Vormonat die Notwendigkeit für eine Zinserhöhung. Präsident Trichet hat durch die Ankündigung, die Zinsentscheidung diese Woche nicht mittels einer Telefonkonferenz, sondern physisch in Frankfurt zu beschließen und diesem Treffen auch eine Pressekonferenz folgen zu lassen, eine Zinserhöhung praktisch vorweggenommen. Denn eine außerplanmäßige Pressekonferenz bei der die Leitzinsen konstant bleiben und nur die Anzahl der „vigilant“ erhöht würde, sollte selbst die abgehärtetsten Journalisten und EZB-Beobachter auf die Palme bringen. Eine Antwort auf die Frage, warum die EZB die Leitzinsen dann nicht im Juli schon beschlossen hat, haben wir leider nicht. Theoretisch wäre auch der 31. August noch ein möglicher Zinserhöhungstermin. Der einzige Grund weswegen die Leitzinsen nicht erst auf der EZB-Rat-Sitzung Ende August angehoben werden, besteht darin, dass der Termin diese Woche drei Zinserhöhungen bis zum Jahresende ermöglicht, ohne bei direkt aufeinander folgenden Treffen, die Leitzinsen anzuheben. Dies erklärt auch den starken Konsensus am Geldmarkt und bei Analysten. Mit 3,5 % wäre die EZB dann wieder bei einem annähernd neutralen Zinsniveau – also zurück an der Mittellinie. Ob sie in 2007 eher in der Abwehr oder im Sturm gebraucht wird, kann sie derzeit noch nicht absehen. Sie wird sich bei dem dann erreichten Leitzinsniveau jedenfalls nicht vorwerfen lassen müssen, komplett falsch gestanden zu haben. Im Zuge der Mehrwertsteuererhöhung steigenden Inflationsgefahren – und Erwartungen baut sie durch die letzte Zinserhöhung im Dezember vor. Den Gefahren eines Konjunkturabschwungs begegnet sie durch das Aussetzen von Zinserhöhungen in der ersten Jahreshälfte 2007. Leisten kann sie sich das auch bei über 2 % liegenden Inflationsraten deshalb, weil die Geldpolitik bei 3,5 % dann nicht mehr als expansiv bezeichnet werden muss.

Quelle: DekaBank

Die DekaBank ist im Jahr 1999 aus der Fusion von Deutsche Girozentrale - Deutsche Kommunalbank- und DekaBank GmbH hervorgegangen. Die Gesellschaft ist als Zentralinstitut der deutschen Sparkassenorganisation im Investmentfondsgeschäft aktiv. Mit einem Fondsvolumen von mehr als 135 Mrd. Euro und über fünf Millionen betreuten Depots gehört die DekaBank zu den größten Finanzdienstleistern Deutschlands. Im Publikumsfondsgeschäft hält der DekaBank-Konzern einen Marktanteil von etwa 20 Prozent.

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Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

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