Kommentar
10:10 Uhr, 01.08.2012

EZB hebt Staatsanleihekäufe auf die Agenda

1. Auch im Juli setzte der EZB-Kompass seinen Marsch nach Süden fort. Er sank von leicht nach unten revidierten 24,7 Punkten auf nunmehr 23,9. Wir gehen nach wie vor davon aus, dass die Rezession in der Eurozone relativ flach verlaufen und kein deflationäres Szenario nach sich ziehen wird. Damit einhergehend sollte der EZB-Kompass nun in etwa seinen Tiefpunkt erreicht haben. Gleichzeitig rechnen wir für den Prognosehorizont der kommenden anderthalb Jahre nur mit einem geringen Wiederanstieg des Indikators. Die Verwerfungen im Finanzsystem dürften auch weiterhin die Kreditvergabe der Banken behindern. Dies, eine strenge Haushaltskonsolidierung in den Peripherieländern und vor allem die große Verunsicherung von privaten Haushalten und Unternehmen werden eine allenfalls mäßige konjunkturelle Erholung zulassen. In diesem Umfeld mit erhöhter Arbeitslosigkeit und schwacher Nachfrage dürfte auch der Preisauftrieb sehr begrenzt bleiben. Für die EZB bedeutet dies, dass ein Ausstieg aus ihrer unkonventionellen Geldpolitik in noch weitere Ferne rückt und sie sich vorerst auf die Begrenzung von Abwärtsrisiken konzentrieren sollte.

2. Auf der Pressekonferenz nach der EZB-Ratssitzung im Juli sprach Präsident Draghi davon, dass zumindest einige konjunkturelle Abwärtsrisiken eingetreten wären. In den harten Konjunkturdaten ist dies allerdings noch nicht zu erkennen, denn sie zeigen keine abrupte Verschlechterung am aktuellen Rand. Beispielsweise ist die Industrieproduktion der Eurozone im Mai sogar unerwartet gestiegen. Ihre Veränderung über die letzten sechs Monate, die in die Berechnung des EZB-Kompass einfließt, spiegelt daher einen nicht mehr ganz so steil nach unten gerichteten Trend wider. Auch andere Konjunkturdaten, die nicht in den Kompass eingehen, waren eher unspektakulär. Die Arbeitslosenquote der Eurozone setzte ihren langsamen aber stetigen Anstieg fort, während die Einzelhandelsumsätze und die Bautätigkeit unerwartet zulegen konnten.

3. Die Crux an diesen harten Konjunkturdaten ist, dass sie allesamt aus dem Monat Mai stammen und daher noch lange nicht zum Ausdruck bringen können, wie sich die erneuten Verwerfungen auf den Staatsanleihemärkten und im Finanzsystem insgesamt auf die Realwirtschaft der Eurozone auswirken. In dieser Hinsicht ist Präsident Draghi auf konjunkturelle Frühindikatoren angewiesen. Die Einkaufsmanagerindizes der Eurozone veränderten sich gemäß vorläufigen Schätzungen für Juli zwar in der Summe nicht gegenüber dem Vormonat. Im Detail zeigen sie jedoch, dass die konjunkturelle Abschwächung stärker als bisher auch in den Kernländern der Währungsunion angekommen ist. Die gleiche Sprache spricht der überraschend starke Rückgang des ifo Geschäftsklimas in Deutschland. Auch das Economic Sentiment, der am breitesten gefasste Stimmungsindikator der Eurozone, ist im Juli stärker gesunken als erwartet, ebenfalls mit einer auffallenden Verschlechterung in Deutschland und Frankreich. Diese Datenveröffentlichungen dürften Präsident Draghi in seiner Einschätzung bekräftigen, dass konjunkturelle Abwärtsrisiken in der Tat zu einem gewissen Grad eingetreten sind.

4. Die Inflationsindikatoren hatten auch im Juli einen leicht dämpfenden Einfluss auf den EZB-Kompass. Vor allem aufgrund des wieder gesunkenen Ölpreises hat der Anstieg der deutschen Importpreise deutlich abgenommen. Niedrige Jahresraten sowohl bei den Lohnkosten als auch bei den Erzeugerpreisen für Vorleistungsgüter bringen zum Ausdruck, dass der zugrundeliegende Preisauftrieb sehr moderat ist. Diese Ansicht teilen auch die von Consensus Economics befragten Volkswirte. Sie rechnen nach wie vor damit, dass die Inflationsrate der Eurozone im kommenden Jahr auf 1,7 % zurückgehen wird. Lediglich bei den privaten Haushalten ist die Sorge vor steigenden Preisen wieder etwas größer geworden. Nachdem der sinkende Ölpreis in den vergangenen Monaten die Inflationsängste besänftigt hatte, gingen bei der Umfrage im Juli wieder mehr Verbraucher von steigenden Preisen aus. Es ist jedoch zu beachten, dass diese Umfrageergebnisse sehr stark durch Antworten aus Spanien beeinflusst wurden. Dort steht den Menschen eine drastische Anhebung der Mehrwertsteuer bevor, sodass sie zu Recht höhere Inflationsraten erwarten. In den anderen Ländern der Eurozone blieben die Inflationssorgen demgegenüber weitgehend unverändert. Alles in allem deuten die in den EZB-Kompass einfließenden Inflationsindikatoren somit darauf hin, dass der Preisauftrieb nachlässt und die Inflationserwartungen gut verankert sind. Die EZB kann daher die notwendigen Voraussetzungen für eine weitere Lockerung ihrer Geldpolitik als erfüllt betrachten.

5. Ein potenzielles Motiv für eine erneute Lockerung der Geldpolitik könnte die schwache Kreditvergabe der Banken sein. Die in den EZB-Kompass einfließende Jahresrate der Buchkredite ging im Juni weiter auf -0,2 % zurück. Beim Blick auf die monatlichen Bewegungen relativiert sich das Bild jedoch etwas. Private Haushalte haben zuletzt insbesondere mehr Hypothekenkredite aufgenommen und reagierten damit auf das äußerst niedrige Zinsniveau. Bei den nichtfinanziellen Unternehmen sank die Kreditaufnahme zumindest nicht mehr so stark wie im Vormonat. Aber auch abgesehen von diesen Hoffnungsschimmern betrachtet die EZB eine schwache Kreditvergabe allein nicht als Beweis für eine Kreditklemme. Die Ergebnisse des jüngsten Bank Lending Survey der EZB unterstützen Präsident Draghi in seiner Einschätzung, dass die träge Entwicklung der Kreditaggregate vor allem von der konjunkturell bedingt sinkenden Kreditnachfrage geprägt wird. Zwar haben die Banken ihre Kreditbedingungen im zweiten Quartal wieder leicht verschärft. Jedoch macht ein sinkender Anteil der befragten Institute hierfür Schwierigkeiten bei der Refinanzierung verantwortlich. Vielmehr verweisen die Banken auf die ungünstigen gesamtwirtschaftlichen Erwartungen und begründen damit ihre Vorsicht bei der Kreditvergabe. Sowohl die rückläufigen Kreditaggregate als auch die Ergebnisse des Bank Lending Survey sind somit ein Spiegelbild der schwachen Konjunktur. Sie liefern der EZB jedoch keinen Anlass, mit erneuten unkonventionellen Maßnahmen einer vermeintlichen Kreditklemme entgegenzuwirken.

6. Im Prinzip steht der EZB bei dieser Ratssitzung ein ganzes Arsenal potenzieller Instrumente zur Verfügung: eine Senkung des Hauptrefinanzierungssatzes und eventuell auch des Einlagensatzes, neue langfristige Refinanzierungsgeschäfte, gegebenenfalls ergänzt um eine Lockerung des Sicherheitenrahmens, und der Ankauf von Staatsanleihen. Nachdem die EZB den Hauptrefinanzierungssatz im Juli mit dem Verweis auf eine breit basierte konjunkturelle Abschwächung in der Eurozone auf 0,75 % gesenkt hat, ist zumindest bei diesem Meeting mit keinem weiteren Zinsschritt zu rechnen. Zwar hat Präsident Draghi in den vergangenen Wochen noch niedrigere Leitzinsniveaus explizit nicht ausgeschlossen. Er argumentierte dabei jedoch sehr eng am Mandat der Zentralbank. Das bedeutet, die EZB wird handeln, wenn sich das wirtschaftliche Umfeld weiter eintrübt und sie aufgrund dessen mit einem noch stärkeren Rückgang der Inflationsraten rechnet. Dies deutet darauf hin, dass der EZB-Rat diese Entscheidung frühestens im September treffen wird, wenn ihm neue Projektionen des Mitarbeiterstabs vorliegen. Zudem wies Draghi im Juli darauf hin, dass eine Senkung des Hauptrefinanzierungssatzes dann besonders effektiv wäre, wenn sie von einer Senkung auch des Einlagensatzes begleitet wird. Zu einem negativen Einlagensatz, der aufgrund seiner Rückwirkungen auf den Geldmarkt nicht ganz ohne Risiken wäre, scheint Draghi derzeit aber noch nicht bereit.

7. Auch ist nicht davon auszugehen, dass auf dieser Ratssitzung neue langfristige Refinanzierungsgeschäfte beschlossen werden. Zwar versprach Präsident Draghi auf der letzten Pressekonferenz ausdrücklich, die EZB werde die Banken immer mit ausreichend Liquidität versorgen. Jedoch sehen er und seine Kollegen derzeit im Bankensystem keinen Mangel an langfristiger Liquidität. Vielmehr sind sie der Ansicht, dass die beiden Dreijahrestender vom Dezember und März noch lange Zeit nachwirken werden. Zwar zeigte sich dies bisher nicht in einer Belebung der Kreditvergabe. Mit der erhöhten Risikoaversion und dem zu geringen Eigenkapital der Banken sowie der konjunkturell bedingt schwachen Kreditnachfrage macht Draghi hierfür jedoch Faktoren verantwortlich, die sich dem direkten Einfluss der EZB entziehen. Die oben zitierten Ergebnisse des Bank Lending Survey unterstützen ihn in dieser Einschätzung.

8. Soweit der EZB-Rat nicht von einem grundsätzlichen Mangel an langfristiger Liquidität im Bankensystem ausgeht, hätten erneute langfristige Refinanzierungsgeschäfte vermutlich auch keinen allzu großen Effekt auf die Staatsanleihemärkte der Peripherieländer. Dennoch hat Präsident Draghi mit seinen überraschenden Worten in der vergangenen Woche eben diese Staatsanleihemärkte wieder stärker in den Mittelpunkt seiner Analysen gerückt. Wenn die erhöhten Risikoprämien von Staatsanleihen die Wirkung der Geldpolitik beeinträchtigten, würden sie in das Mandat der Zentralbank fallen. Mit ganz ähnlichen Formulierungen hat die EZB bereits in der Ära Trichet Staatsanleihekäufe gerechtfertigt. Dies deutet darauf hin, dass auf der Pressekonferenz am Donnerstag das Wertpapierankaufprogramm einen wieder prominenteren Platz im Instrumentarium der EZB einnehmen wird.

9. Doch selbst wenn Präsident Draghi verspricht, alles Notwendige zum Erhalt des Euro zu tun, sollte man in seinen Erwartungen realistisch bleiben. So schickte er diesem Versprechen die Einschränkung voraus „Im Rahmen unseres Mandats …“ Dies bedeutet, dass sich Draghis Einschätzung der Situation verändert haben mag, seine Denkweise jedoch nicht. Er betrachtet Staatsanleihekäufe der EZB nach wie vor als ein geldpolitisches Instrument, nicht als ein Mittel der Staatenfinanzierung. In seiner Amtszeit als Präsident hat Draghi bisher keine große Zuneigung zum Wertpapierankaufprogramm gezeigt. In der derzeitigen Situation, in der der Spielraum für Leitzinssenkungen quasi ausgeschöpft ist und erneute langfristige Refinanzierungsgeschäfte nach Einschätzung der EZB keine große Verhaltensänderung im Bankensystem hervorrufen würden, werden Staatsanleihekäufe jedoch zu einer der wenigen verbleibenden Optionen. Daraus folgt nicht zwangsläufig, dass sie Ausmaße einer quantitativen Lockerung annehmen werden. Denn damit würde die EZB nicht nur unangemessen große Risiken auf ihre Bilanz nehmen und dadurch selbst in die Abhängigkeit von der Politik geraten. Auch könnte sie ihre finanzielle Unterstützung für die Peripherieländer zumindest nicht explizit mit wirtschaftspolitischen Auflagen verknüpfen. Eine angemessene Konditionalität war Draghi jedoch immer sehr wichtig, da er den Weg zur letztendlichen Lösung der Staatsschuldenkrise in Haushaltskonsolidierung und strukturellen Reformen sieht.

10. Auch wenn die EZB ihr Wertpapierankaufprogramm wiederbeleben sollte, wird sie damit nicht versuchen, die Krise der Eurozone im Alleingang zu lösen. Vielmehr betrachtet sie sich als einen Spieler in einem größeren Verbund. Hierauf deuten auch Medienberichte der vergangenen Tage über Verhandlungen der EZB mit Regierungen und anderen Institutionen der Eurozone hin. Demnach plant die EZB Staatsanleihekäufe am Sekundärmarkt lediglich als Ergänzung zu Käufen, die die Rettungsschirme EFSF bzw. ESM am Primärmarkt tätigen sollen. Im Kern geht es bei diesen Verhandlungen nach wie vor um die Konkretisierung der Beschlüsse des EU-Gipfels vom 29. Juni, die einen flexibleren Einsatz der Ressourcen der EFSF und des ESM ermöglichen sollen. Insbesondere sollen Mittel und Wege gefunden werden, dass Staatsanleihekäufe durch die Rettungsschirme nicht zu einem Rückzug privater Gläubiger führen. Offensichtlich ist der EZB die Umsetzung dieser Gipfelbeschlüsse so wichtig, dass sie bereit ist, die Arbeit der Rettungsschirme mit einer Wiederbelebung ihres Wertpapierankaufprogramms zu unterstützen. Während Staatsanleihekäufe durch die EZB damit wieder an Wahrscheinlichkeit gewonnen haben, dürften sie im Umfang jedoch begrenzt bleiben. Die zentralen Entscheidungen zur Beruhigung der Staatsanleihemärkte in der Eurozone können somit nicht von der EZB, sondern nur von den Regierungen der Eurozone ausgehen. Sollte es Präsident Draghi nicht gelingen, kurzfristig eine Einigung unter den Regierungen über die Aufgaben der Rettungsschirme herzustellen, besteht für die bevorstehende EZB-Pressekonferenz ein nicht geringes Enttäuschungspotenzial.

Quelle: DekaBank

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