Kommentar
12:02 Uhr, 27.09.2023

Europa und der Wettbewerbsnachteil Zinsen

Unternehmen in Europa sind mehreren Wettbewerbsnachteilen ausgesetzt. Einer davon sind die Zinsen. Worin liegen die Unterschiede zu den USA?

Es gibt einen guten Grund dafür, weshalb die EZB indirekt ein Ende der Zinserhöhungen angekündigt hat. Sie will zwar weiterhin bereitstehen, falls es gefordert ist, doch nach derzeitigem Wissensstand wird dies nicht notwendig sein. Zinserhöhungen in der Eurozone kommen schneller in der Wirtschaft an als in den USA.

Am schnellsten kommen Zinserhöhungen über die Kreditvergabe an. Kreditzinsen steigen mehr oder weniger sofort, wenn das allgemeine Zinsniveau über den Leitzins oder Staatsanleiherenditen steigt. Banken sind nicht dafür bekannt, Zinssteigerungen nicht weiterzugeben.

Haushalte sind am meisten betroffen. Sie haben keine andere Wahl, als sich bei einer Bank Geld zu leihen, wenn sie ein Haus oder Auto kaufen wollen. Hier unterscheiden sich die USA und Europa nicht. Bei Unternehmen ist das anders. In den USA machen Anleihen ungefähr 60 % der Unternehmensfinanzierung aus. In der Eurozone sind es weniger als 20 % (Grafik 1).

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Bezieht man alle Finanzmarktinstrumente ein, finanzieren US-Unternehmen nur 25 % über Banken. In der Eurozone liegt der Anteil bei fast 75 %. Steigende Kreditzinsen kommen in Europa zu einem größeren Teil in der Wirtschaft an und vor allem auch schneller. In den USA führt das höhere Zinsumfeld derzeit paradoxerweise dazu, dass Unternehmen netto weniger Zinsen zahlen. Firmen haben ihre Barreserven in höher verzinsten Anleihen angelegt und zehren bei der Finanzierung von günstig ausgegebenen Anleihen.

In Europa ist es anders. Die Nettozinslast hat sich innerhalb kurzer Zeit vervielfacht (Grafik 2). Die Zinspolitik der EZB senkt die Profitabilität von Unternehmen. Der Prozess erfolgt zudem in atemberaubendem Tempo. Nicht zuletzt dieser Umstand dürfte erklären, weshalb Firmeninsolvenzen in Europa schneller ansteigen als in den USA.

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Europäische Unternehmen haben gegenüber amerikanischen durch das Zinsumfeld einen weiteren Wettbewerbsnachteil. Für Industriebetriebe sind höhere Energiekosten bereits seit Längerem ein Nachteil. Kosten sind das eine, die Versorgungssicherheit das andere. Obwohl eine Strommangellage im vergangenen Winter ausblieb, gibt es keine Garantie, dass sie nicht noch kommt. Russisches Erdgas muss nicht nur ersetzt werden, es braucht Alternativen zu Erdgas als Energieträger. Der Ausbau erneuerbarer Energien kommt schleppend voran. Versorgungsunsicherheit bleibt für Jahre ein Thema.

Kurzfristige Wettbewerbsnachteile können überbrückt werden. Systemische Nachteile regen Unternehmen dazu an, Alternativen zu suchen. Wer investieren will, hat zwar in den USA keinen Zinsvorteil, dafür aber andere Vorteile wie billigere Energie. Dazu kommen große Subventionsprogramme für viele Branchen.

Als ob es nicht schon genügend Wettbewerbsnachteile gegeben hätte, kommt nun auch das Zinsumfeld dazu. Unter so schlechten Voraussetzungen kann man kein Wachstum erwarten. Die EZB hat das Wachstum bereits erfolgreich gedämpft und kann ihre Arbeit als getan ansehen.

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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