Europa droht die "Auslöschung"
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In der 33-seitigen Nationalen Sicherheitsstrategie, die in der Nacht veröffentlicht wurde, warnt die US-Regierung vor einer "zivilisatorischen Auslöschung" Europas innerhalb der kommenden 20 Jahre. Als Ursachen werden unter anderem ausufernde Migration, fehlende Wettbewerbfähigkeit und mangelnde wirtschaftliche Dynamik sowie der "Verlust nationaler Identitäten und Selbstsicherheit" genannt.
Seit 1990 sei der Anteil Kontinentaleuropas am weltweiten BIP von 25 % auf 14 % gesunken, rechnet die Trump-Regierung vor. Verantwortlich dafür sei unter anderem eine immer stärkere Regulierung auf nationaler und EU-Ebene, "die Kreativität und Fleiß untergraben", heißt es. "Doch dieser wirtschaftliche Abstieg wird von einer noch gravierenderen Bedrohung überschattet: der realen und deutlich spürbaren Aussicht auf ein zivilisatorisches Verschwinden", schreibt die Trump-Regierung.
So würden EU und andere transnationale Institutionen die politische Freiheit und Souveränität der Nationalstaaten untergraben und eine Migrationspolitik fördern, die den Kontinent zum Schlechteren verändere und innergesellschaftliche Konflikte anheize. Die Trump-Regierung kritisiert auch eine ausufernde Zensur, die die Meinungsfreiheit gefährde, die Unterdrückung der (rechten) politischen Opposition, dramatisch sinkende Geburtenraten sowie den Verlust nationaler Identitäten und des Selbstbewusstseins.
Sprachlich und inhaltlich lehnt sich die offizielle Sicherheitsstrategie der USA eng an das Weltbild europäischer Rechtspopulisten an, die ähnliche Narrative von kulturellem Niedergang Europas und fehlender nationaler Selbstbehauptung vertreten. Die US-Regierung erklärt, sie ermutige "politische Verbündete in Europa", den "Wiederaufstieg eines patriotischen Geistes" zu fördern. Dies kann als Ankündigung einer Unterstützung rechtspopulistischer Parteien durch die US-Regierung verstanden werden. Bereits in der Vergangenheit pflegte das Trump-Lager enge Kontakte zu Parteien am rechten Rand des politischen Spektrums in Europa wie etwa der AfD in Deutschland. Auch bei der Zusammenarbeit auf Regierungsebene will sich die Trump-Regierung offenbar auf Länder konzentrieren, in denen rechte Regierungen an der Macht sind. "Wir wollen mit gleichgesinnten Ländern zusammenarbeiten, die ihre frühere Größe wiederherstellen wollen", heißt es.
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In einem weiteren Passus greift das Papier Elemente der sogenannten "Great Replacement"-Theorie auf, einer vielfach als rassistisch eingestuften Verschwörungsideologie, die behauptet, die einheimische europäische Bevölkerung solle aus wirtschaftlichen Interessen durch eine übermäßige Zuwanderung verdrängt werden. So heißt es unter Verweis auf die starke Migration nach Europa, es sei "mehr als plausibel", dass "einige NATO-Mitglieder in wenigen Jahrzehnten mehrheitlich nicht-europäisch geprägt" sein könnten.
Das Strategiepapier geht auch auf den Ukraine-Krieg ein und bewertet diesen sowie das Zerwürfnis mit Russland als Sicherheitsrisiko für Europa. Zwar bekräftigt die US-Regierung das strategische Interesse an einem Ende des Konflikts, kritisiert jedoch "instabile Minderheitsregierungen" in Europa, die "unrealistische Erwartungen" an den Kriegsverlauf hegten und dabei die Opposition unterdrückten. Zudem wird impliziert, dass europäische Regierungen den Friedensprozess und eine Wiederannäherung an Russland gegen den Willen der breiten Bevölkerung behinderten und die USA künftig eine wichtige Rolle beim Abbau der Spannungen zwischen der EU und Russland spielen müsse.
"Die amerikanische Diplomatie sollte sich weiterhin entschieden für echte Demokratie, Meinungsfreiheit und das selbstbewusste Bekenntnis zur Eigenart und Geschichte der europäischen Nationen einsetzen", heißt es in der Sicherheitsstrategie. "Amerika ermutigt seine politischen Verbündeten in Europa, diesen geistigen Aufbruch zu fördern – und der wachsende Einfluss patriotischer europäischer Parteien gibt in der Tat Anlass zu großem Optimismus", heißt es.
"Unser Ziel sollte es sein, Europa dabei zu helfen, seinen derzeitigen Kurs zu korrigieren. Wir werden ein starkes Europa brauchen, um im globalen Wettbewerb erfolgreich zu bestehen und gemeinsam mit uns zu verhindern, dass irgendein Gegner die Vorherrschaft über Europa gewinnt."
Im Hinblick auf die wirtschaftlichen Interessen sieht die US-Regierung Europa auch als Konkurrenten und betont, sie wolle "europäische Märkte für US-amerikanische Waren und Dienstleistungen" öffnen und Europa auffordern, "Maßnahmen zur Bekämpfung merkantilistischer Überkapazitäten" zu ergreifen. Dabei wird auch Deutschlands Wirtschaftsmodell mit einer starken Exportorientierung kritisiert. "Der Ukrainekrieg hat paradoxerweise dazu geführt, dass Europas – insbesondere Deutschlands – Abhängigkeiten vom Ausland zugenommen haben. Heute errichten deutsche Chemiekonzerne einige der größten Verarbeitungsanlagen der Welt in China, wobei sie russisches Gas nutzen, das ihnen im eigenen Land nicht mehr zur Verfügung steht", heißt es.
Fazit: Die Trump-Regierung skizziert ein düsteres Bild von Europa. Der Kontinent steht nach Trumps Lesart nicht nur vor dem wirtschaftlichen, sondern auch vor dem kulturellen Ruin steht. Mit der neuen Sicherheitsstrategie setzt die US-Regierung ein deutliches Signal gegen die weitere europäische Integration und eine als viel zu liberal eingestufte Migrationspolitik. Dabei werden viele Argumente rechtsextremer und rechtspopulistischer Parteien in Europa von der Trump-Regierung aufgegriffen, während zugleich tatsächliche Fehlentwicklungen in Europa wie eine Überregulierung und eine abnehmende Wettbewerbsfähigkeit und Innovationsfreude angeprangert werden. Die Inhalte des Dokuments dürften nicht nur diplomatische Reaktionen hervorrufen, sondern auch innenpolitische Debatten in Europa befeuern, insbesondere im Vorfeld anstehender Wahlen in mehreren EU-Staaten.


Es ist eigentlich blanker Hohn davon zu sprechen, Gas zu nutzen, dass im eigenen Land nicht mehr zur Verfügung steht. Wer hat denn lange vor dem Ukraine-Krieg, eine zu starke Annäherung zwischen Deutschland und Russland behindert (z. B. Nordstream 2)? Man verkauft jedenfalls gerne US-LNG-Gas. Außerdem war/ist den USA das Denken in Einflusssphären, wie es jede Großmacht betreibt, durchaus bewusst. Die Konsequenzen der angestrebten NATO-Mitgliedschaft der Ukraine waren also schon weit vor Kriegsbeginn durchaus vorhersehbar und wohl einkalkuliert.
Ansonsten ist die Einschätzung zum Zustand Europas in weiten Teile durchaus zutreffend, wobei Vieles auf mangelndem Verständnis und gravierenden Fehlentscheidungen unserer Politiker beruht.