Kommentar
09:56 Uhr, 12.04.2011

Euro-Krise: Interview mit Citigroup-Chefvolkswirt

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Das Vertrauen in den Euro und seine Stabilität ist seit geraumer Zeit tief erschüttert. Ein Euro-Rettungspaket jagt das nächste, und die EZB hat mit dem Aufkauf von Staatsanleihen über den Markt ein beinahe für heilig gehaltenes Tabu in der Euro-Zone gebrochen.
Weiteren Aufwind erhielten die Euro-Kritiker durch jüngst in den Medien aufgetauchte Meldungen, wonach nationale Zentralbanken heimischen Banken Notkredite in Milliardenhöhe vergeben haben (ELA=Emergency Liquidity Assistance). Diese Kreditinstitute haben so schlechte Sicherheiten zu bieten, dass sie sich im Rahmen der üblichen Liquiditätsversorgung bei der EZB nicht mehr ausreichend refinanzieren können. In Irland haben die ELA bereits Volumina von über 70 Mrd. EUR erreicht. Haften könnte am Ende das gesamte Euro-System...

Ich sprach über den Themenkomplex mit dem Euroland-Chefvolkswirt der Citigroup Jürgen Michels

Herr Michels, ELA werden momentan besonders von den Iren sehr stark genutzt. Sind diese Liquiditätsnotmaßnahmen überhaupt irgendwo definiert?

JM: ELAs sind Teil der Eurosystem-Instrumente. Letztlich beruhen diese Maßnahmen auf Artikel 14.4 der EU-Protokolle. Aber sowohl die EZB als auch die nationalen Notenbanken legen sehr viel Wert darauf, dass keine Details über dieses Instrumentarium offen gelegt werden.

Wir zitieren hier mal den Art. 14.4
"Die nationalen Zentralbanken können
andere als die in dieser Satzung bezeichneten Aufgaben wahrnehmen, es sei denn, der EZB-Rat stellt mit Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen fest, dass diese Aufgaben nicht mit den Zielen und Aufgaben des ESZB vereinbar sind. Derartige Aufgaben werden von den nationalen Zentralbanken in eigener Verantwortung und auf eigene Rechnung wahrgenommen und gelten nicht als Aufgaben des ESZB“.
Ist das nicht mehr oder weniger eine Generalvollmacht für die nationalen Zentralbanken unter der Prämisse, dass sich keine Vetomehrheit im EZB-Rat findet?

JM: Es ist sicherlich keine Generalvollmacht, denn die EZB wird wohl einschreiten, wenn die nationalen Zentralbanken ihre Möglichkeiten zu sehr ausweiten. Und es scheint, dass die EZB derzeit die Kontrolle über die Liquiditätsversorgung der Problembanken zurückgewinnt.

Wann und wie erfährt die EZB überhaupt von einer ELA? Sind die nationalen Zentralbanken verpflichtet, diese sofort zu melden oder gar vorab?

JM: Ja, das Prozedere ist, dass die nationalen Zentralbanken die EZB vorab informieren sollten. Der genaue Ablauf ist jedoch leider nicht bekannt, ebenso wie viele andere Aspekte der ELA.

Aber die EZB bzw. genauer der EZB-Rat muss die ELA nicht genehmigen?

JM: Die EZB muss die ELA nicht genehmigen. Sie muss informiert sein und kann ihr Veto einlegen.

Was würde passieren, wenn der EZB-Rat ein Veto einlegt?

JM: Das bleibt abzuwarten, da die nationalen Notenbankchefs nicht von der EZB sondern ihren eigenen Regierungen bestimmt werden. Es ist daher nicht auszuschließen, dass im Hinblick auf nationale Interessen die nationale Notenbank die Weisung ignoriert. Und es ist schwer zu sehen, welche Sanktionsmöglichkeiten die EZB implementieren kann.

Ist die EZB gegenüber einer nationalen Zentralbank überhaupt mit Kompetenzen ausgestattet, diese an ihrem Treiben zu hindern?

JM: Außer dem Veto gibt es wenig.

Wäre es denkbar, dass eine nationale Zentralbank nicht nur Nothilfen (ELA) vergibt, sondern z.B. auch Offenmarktgeschäfte tätigt?

JM: Das Mandat ist eigentlich auf Notfallhilfen beschränkt, aber im Fall von Irland bekommen die Maßnahmen aufgrund ihres Volumens und der Länge der Ausübung schon fast einen permanenten Charakter.

Konkreter: Könnte z.B. eine verzweifelte griechische oder irische Zentralbank unter Ausnutzung des oben zitierten Art. 14.4 Staatsanleihen ihres jeweiligen Staates kaufen?

JM: Es ist sicherlich eine Grauzone, aber der Kauf von Staatsanleihen auf zunächst "eigene Rechnung" einer nationalen Zentralbank ist schwer vorstellbar. Am Ende des Tages sind es nämlich die anderen Notenbanken, die für etwaige Verluste aus solchen Geschäften aufkommen müssen. Der EZB-Rat würde solche Maßnahmen ganz sicher mit einem Veto belegen.
Dass es geschieht kann letztlich nicht ganz ausgeschlossen werden – es wäre aber dann ein wirklich grober Verstoß gegen die Regeln. Meines Wissens nach gibt es aber keinen Strafkatalog mit dem Zentralbanken bestraft werden können, die sich nicht an die Regeln halten.

Es gibt ja Pläne, die Kompetenzen für ELA bei der EZB zu bündeln. Wie sehen Sie einen solchen Schritt? Ist das die Lösung der Probleme? Sind die Risiken bei der EZB besser aufgehoben? Darf die EZB das überhaupt nach Gemeinschaftsrecht?

JM: Mit den Plänen, eine spezielle Liquiditätsversorgung für Banken mit einer schwierigen Kapitalsituation zu bündeln, scheint die EZB Kompetenzen zurückzuerlangen. Damit hat sie mehr Kontrolle über die Preise und die Sicherheitenanforderungen für die Liquiditätsversorgung der Problembanken und nationale Unterschiede werden vermieden. Denn es gibt ja nicht nur in Irland Banken, die sich in einer Schieflage befinden. Allerdings wird die EZB bei diesen Maßnahmen sehr genau darauf achten, dass die schwachen Banken besondere Anforderungen an die unterliegenden Sicherheiten erfüllen müssen.

Für den Fall der expliziten oder impliziten Staatshaftung für die jeweilige nationale Zentralbank, und unter der Voraussetzung, dass der Staat gar nicht mehr in der Lage ist, neue Schulden zu machen um die Zentralbank zu rekapitalisieren: Was würde dann mit der Zentralbank passieren?

JM: Der Ausgabe der ELA - also Forderungen gegenüber heimischen Banken, die durch staatliche Garantien abgesichert sind - stehen in der nationalen Zentralbankbilanz neue Verbindlichkeiten gegenüber. Als Mitglied des Eurosystems sind dies zwangsweise Eurosystem-Verbindlichkeiten. Demnach würde es im Extremfall - in dem sowohl die Banken, welche die ELA erhalten haben, Bankrott anmelden müssen, als auch die staatlichen Sicherheiten nichts mehr wert sind sprich der Staat aufgrund von eigenen Problemen seinen Garantien nicht bedienen kann - dazu kommen, dass den Eurosystem-Verbindlichkeiten keine Forderungen mehr gegenüberstehen. In einem solchen Fall müsste das gesamte Eurosystem für die Verluste der nationalen Zentralbank bzw. des dahinter stehenden Staates gerade stehen.

Kann eine nationale Zentralbank überhaupt tatsächlich insolvent werden oder ist ihr nicht aufgrund der Gesetzgebung auch die Tätigkeit mit negativem Eigenkapital möglich?

JM: Eine Zentralbank, auch eine nationale im Eurosystem, kann nicht mit Geschäftsbanken verglichen werden, da sie in der Lage ist, Geld zu drucken und damit Seignorage zu erwirtschaften. Die Zentralbanken unterliegen zudem nicht den Eigenkapitalvorschriften, die für Geschäftsbanken gelten. Daher kann die EZB (oder eine nationale Zentralbank) durchaus temporär eine negative Eigenkapitalposition ausweisen.
Es ist jedoch vorgesehen, dass die EZB im Falle einer anhaltenden negativen Eigenkapitalsituation zusätzliches Kapital von den nationalen Notenbanken anfordert. Falls diese ebenfalls negatives Kapital ausweisen, sind die Nationalstaaten gehalten, dieses auffüllen. Das rechtliche Prozedere in einer solchen Situation ist jedoch nicht zu 100 Prozent klar.
Letztlich kann eine Zentralbank de facto nicht pleite gehen. Es kann jedoch zu einem Anwerfen der Notenpresse kommen, was Inflation erzeugen kann. Doch auch ohne riesige Inflation zu erzeugen, kann die Zentralbank die zukünftigen Gewinne aus dem Druck von Geldnoten nutzen, der für normales Wirtschaftswachstum und Inflation im Einklang mit dem Inflationsziel der EZB erforderlich ist. Die EZB verfügt demnach über eine "Kaufkraft" in der Größenordnung von zwei bis vier Billionen Euro.

Haftet die EZB für ihre Mitgliedsbanken? Falls nein: Ergibt sich eine solche Haftung nicht aus der Hierarchie zwischen EZB und nationalen Notenbanken?

JM: Die Lehman-Pleite hat gezeigt, dass das Eurosystem zunächst versucht, die Verluste aus den laufenden Erträgen zu begleichen. Reicht dies nicht aus, müssen die nationalen Notenbanken gemäß ihrem Anteil am EZB-Kapital für die Verluste aufkommen. Letzteres kann im Extremfall dazu führen, dass die nationalen Notenbanken zusätzliches Kapital benötigen, welches von dem jeweiligen Staat zu Verfügung gestellt werden soll. Aufgrund der aktuellen Probleme einiger Staaten würde sich dies allerdings derzeit als sehr schwierig darstellen.

Wäre es denkbar, einen Staat aufgrund der nicht mit EU-Zielen konformen Tätigkeit seiner Zentralbank aus der Euro-Zone auszuschließen?

JM: Im jetzigen Rechtsrahmen ist es nicht möglich, einen Staat aus der Eurozone auszuschließen.

Herr Michels, vielen Dank für die interessanten Ausführungen.

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der vielseitig interessierte Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3. Besondere Interessenschwerpunkte des überzeugten Liberalen sind politische und ökonomische Fragen und Zusammenhänge, Geldpolitik, Aktien, Hebelprodukte, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie generell neuere technologische Entwicklungen.

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