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08:30 Uhr, 16.12.2022

EUR/USD - „Der Dollar ist unsere Währung, aber euer Problem"

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„Der Dollar ist unsere Währung, aber euer Problem"

… oder etwa doch nicht? „Nicht alles was zählt, kann gezählt werden, und nicht alles was gezählt werden kann, zählt.“ Liebe Leserinnen und Leser, dieses überaus weise Zitat von Albert Einstein stellt den idealen Einstieg in unsere EUR/USD-Jahresprognose dar, denn der Blick in die große Glaskugel gestaltet sich auf der Währungsseite regelmäßig besonders herausfordernd. In den letzten Jahren spielte bei unserer FX-Prognose der seit 2008 bestehende EUR-Abwärtstrend immer wieder eine Schlüsselrolle. Diese Trendlinie „zählte“ auch wieder vor Jahresfrist, als deren Unterschreiten für einen massiven Schuss vor den Bug der EUR-Bullen sorgte. Letztlich stellte diese negative Weichenstellung den charttechnischen Brandbeschleuniger dar, um mit unserer letztjährigen Prognose „Euro in gefährlicher Schieflage“ ins Schwarze zu treffen. Wie im Vorjahr stammt das Jahreshoch (1,1495 USD) aus dem 1. Quartal. Nicht zuletzt deshalb hatte die europäische Einheitswährung zum Greenback in den vergangenen 12 Monaten keinen leichten Stand. Der Faktor „Saisonalität“ war ein wesentlicher argumentativer Aufhänger, weshalb wir in der zweiten Jahreshälfte 2022 von EUR-Erholungschancen ausgingen.

EUR/USD (Annually)

Chart EUR/USD

Quelle: Refinitiv, tradesignal² / 5-Jahreschart im Anhang

5-Jahreschart EUR/USD

Chart EUR/USD

Quelle: Refinitiv, tradesignal²

Volatilität: Hoch, aber keinesfalls extrem

Wenngleich die Erwartungshaltung „schwächeres 1. Halbjahr und stärkere 2. Jahreshälfte“ letztlich einen Prognosetreffer darstellt, so „zählte“ das saisonale Argument doch erst so richtig im 4. Quartal 2022. Die seither laufende dynamische EUR-Erholung hat das Währungspaar jüngst an eine charttechnisch extrem spannende Schlüsselzone geführt. Später mehr zu diesem Thema, denn zunächst gehen wir auf die Schwankungsintensität des Euro zum US-Dollar ein. Nach dem Motto „Die Vola ist tot, lange lebe die Vola!“ veröffentlichen wir seit 2019 die jährlichen Hoch-Tief-Spannen des Währungspaares zurück bis in die 1970er-Jahre. Vor Einführung der europäischen Einheitswährung wurden die Jahresschwankungsbreiten auf Basis des DM/USD-Wechselkursverhältnisses zurückgerechnet. „Aufhänger“ war damals die historisch extrem niedrige High-Low-Spanne von weniger als 7 US-Cents. Insofern hat in den letzten Jahren eine Normalisierung stattgefunden. Mit unserer These von „schwankungsintensiveren Währungsjahrgängen 2020/21/22“ lagen wir also richtig. Da auf schwankungsarme Perioden an der Börse regelmäßig Phasen mit einer hohen Volatilität folgen, zählte diese Prognose ehrlicherweise aber auch zu den „leichteren“.

EUR/USD (Annually)

Chart EUR/USD

Quelle: Refinitiv, HSBC² / 5-Jahreschart im Anhang

Historischer Durchschnitt egalisiert

Gerade in Bezug auf die Volatilität gibt es also „eine Rückkehr zum Mittelwert“ und das ist das Stichwort für den FX-Jahrgang 2022. Auch wenn es sich aufgrund einer Hoch-Tief-Spanne von knapp 20 US-Cents für viele Anlegerinnen und Anleger anders anfühlen mag, damit befindet sich die Schwankungsintensität im Dunstkreis des historischen Durchschnitts von gut 18 US-Cents. Bei genauem Hinsehen wird dieser Mittelwert erstmals seit 2014 erreicht. Und überhaupt: Eine Schwankungsbreite jenseits der Marke von 20 US-Cents ist gar nicht so selten. Nur eben in der letzten Dekade nicht, deren Markenzeichen auch auf der Währungsseite „low volatility“ war. Per Saldo dauerte es also drei Jahre um von der niedrigsten High-Low-Spanne der Geschichte im Jahr 2019 zum langfristigen Durchschnitt zurückzukehren. Von diesem Level aus, liegt nun der „einfache Teil“ unserer Prognose einer erhöhten Schwankungsintensität leider hinter uns. Kurzfristig als nützlicher erweist sich möglicherweise das Sentiment. Im Verlauf des 2. Halbjahres 2022 schaffte es der Greenback auf die Titelblätter diverser Publikationen – von „Barron’s“ über „The economist“ bis zum „Handelsblatt“. Der „Headline-Indikator“ signalisiert also eine recht optimistische USD-Stimmung.

EUR/USD (Annually)

Chart EUR/USD

Quelle: Refinitiv, HSBC² / 5-Jahreschart im Anhang

Wo die Überraschungspotenziale liegen!

Liegt an dieser Stelle bereits so etwas wie „selektive Wahrnehmung“ vor? Zur Überprüfung dieser These ziehen wir die fundamentalen Prognosen des Währungspaars EUR/USD heran. Gemäß der aktuellen Reuters FX-Poll fallen die Prognosen der insgesamt 65 teilnehmenden Banken für die kommenden 12 Monate eher unspektakulär aus. Im Mittel wird in einem Jahr eine EUR/USD Notiz von 1,0688 USD erwartet – nicht wirklich weit entfernt vom aktuellen Stand. Dennoch lohnt ein genauerer Blick auf die Ergebnisse der Umfrage: Während 10 Institute per Jahresende 2023 mit einem EUR/USD-Kurs oberhalb der Marke von 1,10 USD rechnen, erwarten nur drei ein erneutes Abrutschen unter die Parität. Mit anderen Worten: 80 % der teilnehmenden Banken prognostizieren ein Verharren innerhalb der recht engen Range zwischen 1,00 USD und 1,10 USD. In der Konsequenz scheinen die Umfrageteilnehmer den Leitsatz des römischen Dichters Ovid zu berücksichtigen: „In der Mitte gehst Du am sichersten“! Letztlich geben die fundamentalen Prognosen einen Hinweis darauf, aus welcher Richtung 2023 mögliche Überraschungen kommen können. Wird die „sichere Mitte“ verlassen, dann drohen Positionsschieflagen und in der Folge größere Währungsschwankungen.

EUR/USD (Annually)

Chart EUR/USD

Quelle: Refinitiv, tradesignal² / 5-Jahreschart im Anhang

Jahreschart: Langfristiger Seismograph

Da das Glück bekanntermaßen denjenigen (Investor) bevorzugt, der darauf vorbereitet ist, werden wir die wichtigsten Schlüsselmarken aufzeigen, an denen sich dieses FX-Überraschungspotential entladen könnte. Dabei möchten wir einen möglichen Währungsfahrplan für das Jahr 2023 aufzeigen. Dieser Leitfaden hilft Devisenanlegern hoffentlich bei der persönlichen Vorbereitung auf die Herausforderungen der kommenden 12 Monate. Wie Sie es von uns gewohnt sind, widersprechen wir dabei – auch in der Post-Brexit-Ära – dem ehemaligen britischen Premierminister Tony Blair, der einmal sagte: „Ich mache keine Vorhersagen. Ich habe nie und ich werde nie!“ Als Ausgangspunkt für unsere Vorhersagen wählen wir traditionell den Jahreschart des Währungspaars EUR/USD. In der höchsten aller Zeitebenen hat der Euro in den Jahren 2020 und 2021 zwei nahezu deckungsgleiche Jahreshochs bei 1,2309/1,2349 USD ausgeprägt. In den letzten Jahren hatten wir zudem immer wieder auf die Bedeutung der Barrieren bei rund 1,20 USD hingewiesen. Seit Beginn des Jahrtausends stieß das Währungspaar in diesem Dunstkreis immer wieder auf Widerstand bzw. auf Unterstützung (siehe Chart), zumal hier auch ein Fibonacci-Cluster aus zwei unterschiedlichen Retracements (1,2131/1,2166 USD) angesiedelt ist.

EUR/USD (Annually)

Chart EUR/USD

Quelle: Refinitiv, tradesignal² / 5-Jahreschart im Anhang

„Hammer“-Umkehrmuster sorgt für Fehlausbruch

Im zu Ende gehenden Jahr lag das Hauptaugenmerk aber eher auf der Unterseite – und auch hier liefert der hohe Zeithorizont eine wesentliche Orientierungshilfe. Auf Jahresbasis blieb dem Euro im Vergleich zum US-Dollar der Bruch des seit über 14 Jahren bestehenden Baissetrends verwehrt. Im Jahr 2023 wird diese Trendlinie bei 1,1402 USD verlaufen. Es liegt also ein klassisches „false break“ vor. Das spiegelbildliche Phänomen auf der Unterseite sorgt nun allerdings für einen echten Silberstreif, denn in der hohen Frist wurden die Tiefs der Jahre 2015 bis 2017 bei 1,0538/1,0339 USD lediglich unterjährig unterschritten. Bewahrheitet sich die Verteidigung dieser Bastion auch per Jahresschlusskurs, dann wären das nicht die schlechtesten Ausgangsbedingungen für 2023. Für ein Ausrufezeichen sorgt dabei ein „Hammer“-Umkehrmuster auf Halbjahresbasis (siehe Chart). Diese konstruktive Candlestick-Formation unterstreicht die Ambitionen der EUR-Bullen die o. g. Tiefs nicht kampflos preiszugeben. Ein Anstieg über die Marke von 1,0594 USD würde den beschriebenen „Hammer“ nach oben auflösen. Interessanterweise harmoniert dieses Signallevel bestens mit dem 38,2 %-Retracement der Abwärtsbewegung der letzten beiden Jahre (1,0609 USD) sowie dem 2020er-Tief (1,0635 USD).

EUR/USD (Semi-annually)

Chart EUR/USD

Quelle: Refinitiv, tradesignal² / 5-Jahreschart im Anhang

Längste Verlustserie seit Euro-Einführung

Im nächsten Schritt möchten wir die Zeitebene sukzessive herunterbrechen – eine Vorgehensweise, die wir generell sehr zu schätzen wissen und regelmäßig bei unseren Analysen im „HSBC Daily Trading“ anwenden. Der Blick auf den Quartalschart des Währungspaares unterstreicht die Bedeutung der bereits herausgearbeiteten Signalmarke bei 1,06 USD. Ein weiteres Fibonacci-Level – konkret das 23,6 %-Retracement des Abwärtsimpulses seit 2014 (1,0586 USD) – zementiert deren Tragweite (siehe Chart). Die dynamische Erholungskerze des 4. Quartals führt den Euro im Vergleich zum Greenback nicht nur in Schlagdistanz des angeführten Katalysators, die weiße Q4-Kerze durchbricht auch eine Pechsträhne von fünf roten Quartalskerzen in Serie. Letzteres stellte die längste Verlustserie seit der EUR-Einführung dar. Charttechnisch handelt es sich um eine klassische „make or break“-Marke, d. h. eine nachhaltige Perspektive für 2023 ergibt sich für den Euro oberhalb des Barrierenbündels bei gut 1,06 USD. Der Schwenk in Richtung Monatschart bringt uns nochmals zu den Jahrestiefs von 2015, 2016 und 2017 zwischen 1,0339 USD und 1,0538 USD zurück. Die EUR-Erholung der letzten beiden Monate steht hier vor einer echten Nagelprobe.

EUR/USD (Monthly)

Chart EUR/USD

Quelle: Refinitiv, tradesignal² / 5-Jahreschart im Anhang

Der ultimative Lackmustest bei 1,06 USD

Doch der Reihe nach: Ende September kam es zu einer ganz besonderen Konstellation beim RSI. Seinerzeit notierte der Oszillator sowohl auf Tages- und Wochenbasis als auch im Monatsbereich im überverkauften Terrain. Zu einer solchen Extremkonstellation in allen drei Zeitebenen kam es zuletzt im Jahr 2015. Damals konnte sich die europäische Einheitswährung in der Folge um 20 US-Cents erholen – vom Jahrestief 2022 bei 0,9534 USD gerechnet hat der Euro also noch Luft nach oben. Eine Einschätzung, welche drei andere Phänomene zusätzlich untermauern: Zum einen hat der bereits erwähnte RSI im Monatsbereich gerade erst ein neues Einstiegssignal geliefert, zum anderen ist der Abstand zur 200-Monats-Linie (akt. bei 1,2469 USD) zuletzt auf Niveaus angewachsen, die zuletzt zu Beginn des Jahrtausends festzustellen waren (siehe Chart). Und drittens hatte der Euro zuletzt sein unteres Bollinger Band (akt. bei 0,9577 USD) temporär unterschritten. Die Rückkehr in die Leitplanken des Volatilitätsindikators signalisiert eine Übertreibung auf der Unterseite. Vor diesem Hintergrund favorisieren wir eine Fortsetzung der eingeleiteten Gegenbewegung, insbesondere wenn der Spurt über die Barrieren bei 1,06 USD gelingt (wird fortgesetzt).

EUR/USD (Monthly)

Chart EUR/USD

Quelle: Refinitiv, tradesignal² / 5-Jahreschart im Anhang

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Autor: Jörg Scherer

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Über den Experten

Jörg Scherer
Jörg Scherer
Leiter Technische Analyse bei HSBC Deutschland

Jörg Scherer, Diplom-Kaufmann und Certified Financial Technician (CFTe), ist Gewinner des 2007er Awards der „Vereinigung Technischer Analysten Deutschlands“ (VTAD) und der Verfasser des kostenfreien täglichen Newsletter HSBC Daily Trading, einem der meist gelesenen Trading-Newsletter Deutschlands. Ebenfalls analysiert Jörg Scherer auf mehreren Terminen im Jahr auf Seminaren in ganz Deutschland und in Webinaren für Privatanleger und institutionellen Investoren den nationalen und internationalen Aktienmarkt, die Rentenseite, Währungspaare und Rohstoffe.

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