EUR/USD - Das große Bild
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Erwähnte Instrumente
Das große Bild
„Barfuß oder Lackschuh? Beides!“ – so überschrieben wir den Aktienteil unseres technischen Jahresausblicks 2021 und so lautet unser Motto in den kommenden Monaten weiterhin. Doch dieses Leitmotiv trifft möglicherweise nicht nur auf den Aktienmarkt zu, sondern ein zweigeteilter Investmentjahrgang könnte Anlegern auch beim Währungspaar EUR/USD bevorstehen. Deshalb beleuchten wir heute die charttechnischen Rahmenbedingungen der europäischen Einheitswährung im Vergleich zum Greenback intensiv. Traditionell beginnen wir dabei mit der Analyse des Jahrescharts. Gemessen am Jahresschlusskurs 2020 (1,2212 USD) könnte der Eindruck „außer Spesen nichts gewesen“ entstehen. Doch weit gefehlt: Die im Jahresausblick prognostizierte EUR-Schwäche brachte zu Jahresbeginn letztlich einen idealtypischen Pullback an den alten Basisabwärtstrend seit 2008 (auf Jahresbasis akt. bei 1,1932 USD; siehe Chart). Der zuvor gesehene Trendbruch wird also untermauert. Die Bedeutung dieser Weichenstellung können Anleger praktisch nicht überschätzen, denn es ist alles andere als alltäglich, dass auf der FX-Seite zwölf Jahre alte Trends gebrochen werden.
EUR/USD (Annually)
Quelle: Refinitiv, tradesignal²
5-Jahreschart EUR/USD
Quelle: Refinitiv, tradesignal²
Jahres-Pivotpunkt: Fixstern im TA-Universum
Noch ein weiteres, spannendes Detail unterstreicht unsere Basisannahme eines erfolgreichen Rücksetzers. Traditionell berechnen wir für den Jahresausblick sog. Pivotpunkte. Vereinfacht ausgedrückt lassen sich aus dem Hoch-, dem Tief- und dem Schlusskurs der Vorperiode durch Durchschnittsbildung neuralgische Punkte für die Folgeperiode ableiten. Besonders aktive Trader wissen die Bedeutung dieser Durchschnittskurse als zukünftige Widerstands- bzw. Unterstützungsmarken zu schätzen! Auf Jahresbasis führt die entsprechende Mittelwertbildung zu einer Pivot-Unterstützung bei 1,1719 USD. Dieses Level entspricht fast punktgenau dem bisherigen Jahrestief (1,1702 USD)! Der Bruch des langfristigen Baissetrends seit 2008 besitzt allerdings noch eine weitere charttechnische Dimension: Im übergeordneten Kontext kann die Kursentwicklung der letzten 13 Jahre somit als trendbestätigende Flagge interpretiert werden! Unser Basisszenario einer grundsätzlichen Gezeitenwende zugunsten des Euro erhält dadurch zusätzliche Nahrung. In diesem Kontext stechen die fast deckungsgleichen Jahreshochs von 2020 und 2021 (1,2309/1,2349 USD) hervor. Ein Sprung über diese Hürden sorgt für ein zusätzliches Ausrufezeichen in Sachen „EUR-Bodenbildung“.
EUR/USD (Annually)
Quelle: Refinitiv, eigene Berechnungen²
Volatilität: More to come?
Bevor wir die Zeitebene herunterbrechen, was wir generell für einen vielversprechenden analytischen Ansatz halten, möchten wir einen wichtigen Exkurs zum Thema „Volatilität“ einlegen. Im nebenstehenden Chart haben wir die High-Low-Spannen der letzten 45 Jahre zurück bis in die 1970er-Jahre abgebildet. In der letzten Dekade fielen die Schwankungsbreiten beim Währungspaar EUR/USD gering aus – der historische Jahresdurchschnitt von 18 US-Cents wurde zum Teil deutlich unterschritten. Spektakulär unspektakulär war vor allem die Handelsspanne des Jahres 2019: Mit weniger als 7 US-Cents zwischen Jahreshoch und -tief wies keine 12-Monats-Periode seit 1974 eine geringere Schwankungsbreite auf! Doch der bisherige Jahresverlauf 2021 toppt dieses Extrem (siehe Chart)! So beträgt die Differenz zwischen den Extrempolen des Jahres – Stand heute – gerade einmal knapp 6,5 US-Cents. Der bisherige Jahresverlauf kann beim Währungspaar EUR/USD also als äußerst „ruhig“ bezeichnet werden. Es ist unwahrscheinlich, dass das Jahr so schwankungsarm zu Ende gehen wird wie es bisher verlaufen ist. Anleger sollten deshalb mit einer höheren Volatilität in den kommenden Monaten rechnen.
EUR/USD (Annually)
Quelle: Refinitiv, eigene Berechnungen²
Prognosen: Nährboden eines neuen Trends?
Apropos geringe Schwankungsbreite: Die fundamentalen Prognosen des Währungspaars EUR/USD fallen für das kommende Jahr vollkommen unspektakulär aus. So prognostizieren die 60 an der aktuellen Reuters FX-Poll teilnehmenden Banken per Ende Juli 2021/Oktober 2021/April 2022 im Durchschnitt eine EUR/USD-Notierung von 1,20 USD/1,21/1,22 USD. Mit anderen Worten: Die geringe Volatilität wird fortgeschrieben und insgesamt nur wenig Marktbewegung prognostiziert. In die gleiche Kerbe schlägt die Analyse der genauen Kursziele. Schließlich liegen 78 % der April 2022-Prognosen innerhalb des Kursbandes von 1,15 USD bis 1,25 USD. Diese Leitplanken spielen auch charttechnisch eine wichtige Rolle – doch dazu später mehr. Dagegen gibt es aktuell nur wenige „Ausreißer“: So prognostizieren lediglich 4 Institute einen EUR/USD-Kurs von unter 1,15 USD bzw. nur 13 einen EUR-Anstieg über die Marke von 1,25 USD. Unter Sentiment-Gesichtspunkten sind die diskutierten FX-Vorhersagen und die damit verbundene geringe Erwartungshaltung keine schlechte Basis für eine größere Kursbewegung in EUR/USD. Das entsprechende Überraschungspotential ist zumindest gegeben.
EUR/USD (Annually)
Quelle: Refinitiv, eigene Berechnungen²
Saisonalität: Zweigeteiltes US-Nachwahljahr?
Die Analyse zyklischer Einflussfaktoren darf bei der Beurteilung der Perspektiven des Währungspaars nicht fehlen, denn der Faktor „Saisonalität“ liefert gegenwärtig möglicherweise ein absolutes Kernargument. Doch der Reihe nach: Angelehnt an den US-Präsidentschaftszyklus untersuchen wir das typische Ablaufmuster in Nachwahljahren der USA. Dabei stellen wir die Entwicklung aus Sicht des US-Dollars dar. Das Wichtigste vorweg: Die tatsächliche Entwicklung des Jahres 2021 harmoniert bisher recht gut mit dem durchschnittlichen Verlauf aller US-Nachwahljahre seit 1973. So deckt sich der eingangs beschriebene Pullback mit der typischen Stärke des Greenback zu Beginn des US-Nachwahljahres. Das Verlaufsmuster legt im Juni allerdings die Ausprägung eines zyklischen Wendepunktes nahe, sodass die europäische Einheitswährung in der zweiten Jahreshälfte über saisonalen Rückenwind verfügt. Hervorheben möchten wir dabei den Zeitraum von Ende Juni bis Anfang Oktober, in dem sich der Euro zum US-Dollar durch eine besondere saisonale Stärke auszeichnet. Fortan verdienen Chartsignale „pro Euro“ deshalb eine besondere Beachtung.
EUR/USD (Daily)
Quelle: macrobond, HSBC²
1,15/1,25 USD als strategische Leitplanken
Im nächsten Schritt möchten wir unsere Einschätzung des Währungspaares EUR/USD um konkrete Chartmarken ergänzen. Beginnen wir im Sinne des vorsichtigen Kaufmannes mit der Unterseite. Der bereits angeführte Jahres-Pivotpunkt (1,1719 USD) unterstreicht die Schlüsselzone auf Quartalsbasis zwischen 1,17 USD und 1,15 USD. Auf diesem Niveau fällt das Fibonacci-Cluster aus zwei unterschiedlichen Retracements (1,1735 USD bzw. 1,1694 USD) mit den Tiefs der letzten Quartale sowie dem ehemaligen Abwärtstrend seit Sommer 2008 (akt. bei 1,1540 USD) zusammen. Um die von uns favorisierte Gezeitenwende nicht zu gefährden, gilt es in Zukunft, diese Bastion nicht mehr zu unterschreiten. Aufgrund ihrer Bedeutung ist die beschriebene Rückzugszone als strategische Absicherung prädestiniert. Auf der Oberseite sticht indes das Mehrjahreshoch vom Februar 2018 bei 1,2555 USD ins Auge. Im Zusammenspiel mit zwei weiteren Fibonacci-Level (1,2516/1,2597 USD) sowie der 200-Monats-Linie (akt. bei 1,2614 USD) entsteht hier der Signalgeber schlechthin. Schließlich würde ein Spurt über diese Kumulationszone die Bodenbildung der letzten sechs Jahre abschließen (siehe Chart).
EUR/USD (Quarterly)
Quelle: Refinitiv, tradesignal²
Flagge als Vorbote?
Mit anderen Worten: Bei einem erfolgreichen Befreiungsschlag sollte das Währungspaar EUR/USD nochmals nachhaltig in Bewegung geraten, denn jenseits der diskutierten Schlüsselzone eröffnet sich positives EUR-Überraschungspotential. Eine abgeschlossene untere Umkehr würde langfristig sogar einen Anlauf auf die Hochs des Jahres 2014 bei knapp 1,40 USD rechtfertigen. Zum Abschluss werfen wir noch einen Blick auf den Tageschart des Euro im Vergleich zum US-Dollar. Trotz der jüngsten Kursschwäche befindet sich die europäische Einheitswährung seit März 2020 weiterhin im Aufwärtsmodus. Gleichzeitig gelang im Mai der Ausbruch aus einer klassischen Flaggenkonsolidierung (obere Begrenzung akt. bei 1,2054 USD, siehe Chart). Dieses trendbestätigende Kursmuster legt möglicherweise den Grundstein für einen Anlauf auf die o. g. Schlüsselzone bei rund 1,2550 USD. In der untergeordneten Zeitebene steckt die Kombination aus der ehemaligen Flaggenbegrenzung und der 200-Tages-Linie (akt. bei 1,1984 USD) eine wichtige Unterstützungszone ab. Im letzten Schritt möchten wir zur zusätzlichen Bestätigung die charttechnische Ausgangslage des USD-Index auf den Prüfstand stellen.
EUR/USD (Daily)
Quelle: Refinitiv, tradesignal²
Drohende Topformation!
Der USD-Index spiegelt die Entwicklung des Greenbacks im Vergleich zu den sechs wichtigsten Handelswährungen EUR, GBP, JPY, CHF, CAD und SEK wider. Im Monatsbereich ist der Bruch des langfristigen Aufwärtstrends seit 2011 (akt. bei 96 Punkten) klar zu erkennen. Definiert durch die Hochpunkte von 2017 und 2020 bei 103/104 Punkten droht darüber hinaus die Ausbildung eines klassischen Doppeltops (siehe Chart). Vor diesem Hintergrund sorgt das Korrekturtief vom Februar 2018 bei 88 Punkten für das absolute Schlüssellevel. Schließlich wird dieser Trigger durch Fibonacci-Retracements der Aufwärtsimpulse seit 2011 und 2014 (jeweils ebenfalls bei 88 Punkten) untermauert. Ein Bruch dieser Bastion sollte eine weitere Greenback-Schwäche nach sich ziehen. Das 2014er-Tief bei 79 Punkten definiert dann ein erstes Anlaufziel. Perspektivisch lässt eine komplettierte obere Umkehr sogar auf ein vollständiges Ausradieren der Kursgewinne seit dem Jahr 2011 schließen. Mit Blick auf diesen Chart müssen Anleger eher von einer grundsätzlichen Schwäche des US-Dollar als von einer Stärke der europäischen Valuta ausgehen. Eine strategische Weichenstellung erfolgt hier vermutlich früher als im eigentlichen EUR/USD-Kursverlauf.
USD-Index (Monthly)
Quelle: Refinitiv, tradesignal²
5-Jahreschart USD-Index
Quelle: Refinitiv, tradesignal²
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Autor: Jörg Scherer