Kommentar
16:26 Uhr, 21.07.2016

EuGH-Urteil öffnet Hintertür für italienische Bankenrettung

Das klingt zunächst einmal nach einer guten Nachricht für alle Steuerzahler. Grundsätzlich können Anteilseigner und nachrangige Gläubiger zur Sanierung von Banken herangezogen werden, urteilte in dieser Woche der Europäische Gerichtshof (EuGH). In Italien erhöht sich damit der Druck auf eine gesetzeskonforme und professionelle Sanierung der dortigen Banken, die faule Kredite in Höhe von rund 360 Mrd. € in den Büchern stehen haben. Damit bestätigt der EuGH das Bail-in-Prinzip, allerdings lässt er den EU-Mitgliedsländern gewisse Spielräume bei der Rettung maroder Banken und öffnet damit eine Hintertür für Rom.

So ist es gemäß EuGH den EU-Staaten möglich, die Halter nachrangiger Schuldtitel von der Rettung auszuklammern und den Instituten mit Steuermitteln unter die Arme zu greifen. Die Regierung von Matteo Renzi könnte sich dann als Retter inszenieren, der dafür gesorgt hat, dass zumindest nicht sämtliche Anleger ihr Geld verloren hätten. Allerdings besteht das Risiko, dass solche Beihilfen von der EU-Kommission zurückgewiesen werden. Vom Grundsatz her dürfte der Spruch des EuGH aber Italiens Verhandlungen mit der EU entgegen kommen, auch wenn es offiziell heißt, das Urteil hätte keinen Einfluss auf die aktuellen Gespräche. Ministerpräsident Matteo Renzi will derzeit gegen den Willen von Mitgliedsländern wie Deutschland oder Österreich in Brüssel den Weg dafür ebnen, den Instituten seines Landes mit staatlichen Garantien zur Seite springen zu dürfen.

Vielleicht fände die Notenbank in Rom dabei auch noch die Unterstützung der Europäischen Zentralbank (EZB). Denn nachdem die EZB damit begonnen hat, auch Corporate Bonds von Industrieunternehmen anzukaufen, ist nicht mehr auszuschließen, dass sie demnächst auch Financials ankaufen wird. Zum Einstieg böten sich dafür ja Titel der italienischen Banken an. Die Kuh wäre damit zunächst mal wieder vom Eis, aber eine nachhaltige Lösung sähe anders aus.

Klaus Stopp, Head of Market Making Bonds der Baader Bank

Wie findet Draghi aus der Sackgasse?
Nachdem bereits am vergangenen Donnerstag die Bank of England auf ihrer geldpolitischen Sitzung die Zinspolitik nicht geändert hat, richten sich nun die Blicke gen Frankfurt. Dort treffen sich am heutigen Donnerstag die Mitglieder des Zentralbankrats der Europäischen Zentralbank (EZB), um über die weitere Notenbankpolitik zu beraten. Unter den Marktbeobachtern herrscht die Meinung vor, dass eine Kursänderung nicht zur Disposition steht. Dennoch sollten sich die führenden Notenbanker nicht nur mit den Folgen des Brexit für die Eurozone, sondern auch mit den Auswirkungen des Ankaufprogramms für Anleihen beschäftigen.

Denn früher oder später muss ein Überdenken der bisherigen Ankaufregeln in Angriff genommen werden. Das zur Verfügung stehende Material am Primär- und Sekundärmarkt wird nicht ausreichend sein, um die selbst gesteckten Ziele zu erreichen. Somit ist inzwischen eine Diskussion entbrannt, wie die EZB die Rahmenbedingungen verändern könnte, um wieder Handlungsspielraum zu erhalten. Mit seinem legendären Halbsatz „Whatever it takes“ hat sich Mario Draghi in diese Sackgasse manövriert und muss nun alle möglichen Szenarien in Betracht ziehen, um sich aus dieser misslichen Situation zu befreien. Die Sinnhaftigkeit dieses Maßnahmenkatalogs sollte an anderer Stelle beurteilt werden.

Eine Maßnahme, die immer wieder ins Kalkül gezogen wird, ist die Senkung des Einlagensatzes von derzeit -0,40 % auf -0,50 %, um dadurch Manövriermasse zu gewinnen. Auch die völlige Abschaffung der durch den Einlagensatz fixierten Untergrenze für Ankäufe wäre eine Möglichkeit. Es könnte den nationalen Notenbanken aber auch erlaubt werden, zumindest die bisherige Begrenzung der ankaufbaren Volumina von Altemissionen ohne CAC-Klauseln von derzeit 33 % auf 50 % zu erhöhen. Sollte man sich für die von den sogenannten Südländern präferierte Loslösung der Ankaufvolumen vom EZB-Kapitalschlüssel entscheiden, so würde unmittelbar der Vorwurf der verdeckten Staatsfinanzierung aufkommen. Das würde wiederum ein politisches Veto verschiedener Regierungschefs nach sich ziehen. Nicht auszuschließen ist auch, dass die Produktpalette um Aktien, Financials und andere Assetklassen erweitert wird, um die Finanzmärkte und auch die Banken mit Geld zu überhäufen.

Bevor man aber alles ankauft, was nicht schnell genug von anderer Stelle vom Markt genommen wurde und dadurch die bisherigen Qualitätsstandards nochmals vermindert werden, sollte - wie bei Ludwig Thoma - der Engel Aloisius die göttliche Eingebung den Verantwortlichen der EZB überbringen. Man kann nur hoffen, dass er sich in diesem Fall nicht auch wieder „verfliegt“.

EZB kauft auch Mini-Anleihen auf

Gespannt blickte der Rentenmarkt in dieser Woche auf die Liste der Corporate Bonds, welche die Europäische Zentralbank (EZB) im Rahmen ihres Ankaufprogramms erstmals in dieser Art veröffentlicht hat. Darunter finden sich Titel von Top-Emittenten wie Allianz, Daimler, Bayer, Metro, BASF und VW, also Adressen, die nicht unbedingt zusätzliche Nachfrage durch die Notenbank benötigen würden.

Außerdem hat die EZB Corporates erworben, deren Emittenten gar nicht börsennotiert sind - darunter Robert Bosch, Hella oder Würth. Die EZB erwarb auch Anleihen mit Volumina von unter 300 Mio. €. Mit einem Emissionsvolumen von 140 Mio. € ist ein Bond von Heineken der kleinste Titel auf der Liste, der getrost als Mini-Anleihe bezeichnet werden kann. Insgesamt sind laut EZB 440 Corporates von europaweit verschiedenen Adressen angekauft worden.

Das Firmenanleihen-Programm der EZB startete am 8. Juni. Die Bundesbank ist eine von sechs nationalen Notenbanken, die im Auftrag der EZB die Titel ankauft. Unterm Strich hat die EZB inzwischen Firmenanleihen in einem Volumen von insgesamt 10,427 Mrd. € erworben, was zu einer spürbaren Verzerrung und Austrocknung des Marktes geführt ha

Beim Stresstest für Banken kann diesmal keiner durchfallen
Am 29. Juli werden Zensuren verteilt. Unter anderem zwar auch an die bayerischen Schülerinnen und Schüler, aber insbesondere an die europäischen Banken. Denn an diesem Tag will die Europäische Bankenaufsicht (EBA) die Ergebnisse des diesjährigen Stresstests von 51 Banken veröffentlichen, darunter 37 aus dem Euroraum.

Jetzt könnte man ja annehmen, dass etwa die italienischen Banken wegen der faulen Kredite durch solch einen Test glatt durchfallen. 2014, als die EZB mit der EBA die Tests durchgeführt hat, war dies für immerhin neun italienische Banken der Fall. Aber beim aktuellen Stresstest kann keiner durchfallen. Man versucht lediglich die Widerstandsfähigkeit der Institute gegenüber angenommenen Krisenszenarien durchzuspielen. Einige Fachleute halten die Annahmen für das Stressszenario für zu milde, schreibt die FAZ. Nicht zuletzt, weil die Tests zu rückwärtsgewandt sind und für die Länder unterschiedlich heftige Konjunkturrückgänge unterstellt wurden.

Aber es darf ja auch keiner durchfallen, etwa die Banca Monte dei Paschi di Siena. Zu gefährlich wären die Schockwellen, die von einer solchen Einschätzung ausgehen könnten. Man fragt sich dabei freilich, wie sinnvoll dann noch ein Stresstest sein mag – dies erst recht, wenn man bedenkt, dass das Risiko der Niedrigzinspolitik und die Folgen bei den Prüfungen regelrecht ausgeklammert werden. Die EZB befürchtet, dass sonst Rückschlüsse auf ihre Geldpolitik gezogen werden könnten.

Somit kann also nach der Zeugnisvergabe kein Investor beruhigter in die finanzpolitische Zukunft blicken.

Den Notenbanken ist ihr klarer Code verloren gegangen
Wenn es eines gibt, gegen das die Kapitalmärkte allergisch sind, dann sind es Überraschungen. In jüngster Zeit kommt es immer wieder vor, dass gerade die Institutionen, die für Beruhigung sorgen sollten, mit ihren Maßnahmen das Gegenteil hervorgerufen haben. Die Rede ist von den Notenbanken.

So haben ausgerechnet die Zentralbanken immer wieder Entscheidungen getroffen, auf welche die Märkte so nicht vorbereitet waren. Beispiele haben die Bank of England und die Bank of Japan geliefert. Aber auch die Europäische Zentralbank (EZB) enttäuschte mit ihrem Programm quantitativer Lockerungen im Dezember 2015. Lediglich die US-Notenbank Fed vermag es noch, die Markterwartungen einigermaßen zu erfüllen, obwohl ihre Chefin Janet Yellen immer wieder mit einem gewissen rhetorischen Hü und Hott schnell die Richtung wechselt. Doch auch in den USA wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis die Fed die in sie gesteckten Erwartungen nicht erfüllt.

Zumal sich in den USA eine neue, gefährliche Blase aufbaut. Während dort Unternehmen durch die Aufnahme von Fremdkapital den Rückkauf von Aktien günstig finanzieren und die Kurse anheizen, erhöhen sie ihren Verschuldungsgrad. Dies wiederum macht sie anfällig für den Zeitpunkt, an dem die Konjunktur einbricht und die Vermögenspreise sinken könnten. Dann würde auch hier klar, dass eine Schuldenblase nicht dauerhaft mit weiteren Schulden bekämpft werden kann.

Zurück zu den Notenbanken: Natürlich ist es nicht deren Sache, immer die Wünsche der Märkte zu erfüllen. Erst recht nicht, wenn die Investoren wie Junkies inzwischen süchtig nach dem süßen Gift der unendlichen monetären Stimuli sind. Aber es hat sich in der Vergangenheit bewährt, die Marktteilnehmer auf Richtungsentscheidungen vorzubereiten.

Wie und wann u.a. die EZB den Exit aus ihrer süchtig machenden expansiven Geldpolitik finden wird, weiß sie wohl noch nicht mal selbst. Weil damit am Ende auch die Staaten mitfinanziert werden, spricht einiges dafür, dass die Phase noch lange andauern wird. Wichtig wäre dann, dass sich die Notenbanken wieder eines abgestimmten, eindeutigen Codes bedienen würden, der Schockwellen möglichst zu glätten hilft. An diesem klaren Code aber fehlt es derzeit. Daher laufen Märkte und Notenbanken immer wieder asynchron.

Schuldentilgungsfonds sorgt für Bauchschmerzen
In einer Zeit, in der Europa seine Brexit-Wunden leckt, macht Handelsblatt-Chefökonom Dirk Heilmann genau das Richtige: Er schaut nach vorne, indem er drei Leuchtturmprojekte der Europäischen Union (EU) anregt, mit denen die Gemeinschaft ihre Handlungsfähigkeit beweisen könnte.

Den beiden ersten Ideen, dem Aufbau eines digitalen EU-Binnenmarkts sowie der Auflegung eines Investitionsprogramms für Energieeffizienz, sei hier ausdrücklich zugestimmt. Beide Programme ließen sich zügig umsetzen, und vor allem wäre das Geld an der richtigen Stelle investiert, weil es die Grundlagen für weiteres Wachstum in der Zukunft legen würde.

Einzig, den dritten Vorschlag, den Herr Heilmann macht, bereitet dem Autor dieser Zeilen Bauchschmerzen. Der Handelsblatt-Chefökonom regt die Reform der Europäischen Währungsunion an, was er selbst als das dickste Brett, das es zu bohren gilt, bezeichnet. Dass es hier Reformbedarf gibt, bleibt unwidersprochen. Allerdings schlägt Heilmann einen temporären Schuldentilgungsfonds für Staatsschulden vor, wie er vom deutschen Sachverständigenrat bereits vor 5 Jahren entworfen wurde.

Demnach würden in diesem Fonds alle Staatsschulden der Euro-Zone gebündelt werden, die über die Maastricht-Quote von 60 % des BIPs in dem jeweiligen Land hinausgehen. Diese Altschulden würden durch die Ausgabe von Euro-Bonds refinanziert werden, für die alle Euro-Staaten haften. Die Tilgung müsste über einem fixierten Zeitraum erfolgen. Wenn ein Land anschließend neue Schulden aufnehmen möchte und immer noch eine Verschuldungsquote von 60 % aufweist, dürfte es dies nur mit einem eigenen Bond refinanzieren – ohne Haftung der Gemeinschaft. Damit käme es für Neuschulden zu den wünschenswerten, nach Risiko differenzierten Zinssätzen.

Einen solchen Schuldentilgungsfonds beschreibt Heilmann als wichtiges Signal der Solidarität und der Berechenbarkeit, was ohne Zweifel richtig ist. Es würde aber auch bedeuten, dass diejenigen Länder, die in der Vergangenheit über ihre Verhältnisse gelebt haben, dafür im Grunde auch noch belohnt würden. Und ob sie während der Laufzeit solcher Euro-Bonds sich nicht wiederum zu sehr auf die Gemeinschaftshaftung verlassen würden, muss zumindest ins Kalkül gezogen werden. Dann würden gegebenenfalls am Ende die starken Länder tilgen und müssten im schlimmsten Fall die Krisenländer erneut retten, da diese sich nur zu marktgerechten Konditionen am Kapitalmarkt refinanzieren könnten.

Es soll hier dennoch nicht ausgeschlossen werden, dass ein Schuldentilgungsfonds tatsächlich ein gangbarer Weg wäre. Vielleicht ist dies ja auch der Preis, den wir für eine weiterhin funktionierende Wertegemeinschaft mit freiem Handel und Frieden, bezahlen müssen. Dafür könnte man auch bis zu einem gewissen Grad Bauchschmerzen aushalten.

Lethargie am Primärmarkt
In dieser Handelswoche ist die Befürchtung aller Marktteilnehmer bereits wahr geworden. Die Aktivitäten am Primärmarkt kamen zum Erliegen und es ist auch nicht abzusehen, wann sich namhafte Emittenten wieder dem Votum der Anleger stellen werden.

Es ist allerdings nicht so, dass die Unternehmen kein Geld mehr aufnehmen, sondern manche namhaften Gesellschaften weichen verstärkt auf den Markt für Schuldscheine aus. Diese gelten vielfach als sichere und vertrauenswürdige Geldanlage und sind für die Unternehmen kostengünstiger und kurzfristiger umzusetzen. Investoren, denen diese Produkte nicht zugängig sind, haben sich in dieser Woche mit neu begebenen Financials „getröstet“. So hat JP Morgan eine 2 Mrd. € schwere Anleihe (JPM5KX) an den Kapitalmarkt gebracht. Ausgestattet mit einem Kupon von 0,625 % und einer Endfälligkeit am 15.01.2024 wurde der Emissionspreis mit 99,266 % fixiert. Dies entsprach einem Spread von +113,5 bps über der vergleichbaren Bundesanleihe.

Der Emittent hat sich ein optionales Kündigungsrecht (Make-Whole-Option) und eine Mindeststückelung von 100.000 € in den Anleihebedingungen festschreiben lassen.

MARKTDATEN AKTUELL

Immer noch über dem „Vor-Brexit-Level“
Der Euro-Bund-Future, der auch gerne als „Sorgenbarometer“ bezeichnet wird, hat sich in den vergangenen Handelstagen trotz der Türkei-Ereignisse für den Rückwärtsgang entschieden. Doch mit 166,04 % notiert er immer noch über seinem „Vor-Brexit-Level“ bei 164,62 %, aber auch deutlich unter seinem bisherigen Höchststand bei 168,86 %.

Da sich die Fundamentaldaten für den Rentenmarkt nicht signifikant verändert und die allseits bekannten Probleme weiterhin Bestand haben, ist es wieder an der Zeit, eine Chartanalyse zu Rate zu ziehen. Hierbei ist zu beachten, dass sich in einem langfristigen Aufwärts- ein kurzfristiger Abwärtstrend herausgebildet hat. Dessen Leitplanken verlaufen aktuell bei 166,54 % und 165,42 % und reduzieren sich täglich um ca. 0,15 BP. Spätestens im Laufe der kommenden Woche wird sich das Rentenbarometer für eine Seite entscheiden müssen. Aufgrund der nachlassenden Handelsaktivitäten und diversen anstehenden Notenbankenbeschlüssen ist im Zweifel mit einem Test der Unterstützungslinien zu rechnen.

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