Kommentar
15:25 Uhr, 08.11.2021

Es wird wieder gestreikt

Bisher konnten Unternehmen höhere Kosten an Kunden weitergeben. Jetzt verlangen Arbeitnehmer deutlich höhere Löhne. Droht hier eine Abwärtsspirale für Gewinnmargen?

Die Kunden der Unternehmen sind die Arbeitnehmer von anderen Firmen. Wer höhere Kosten an seine Kunden bzw. Arbeitnehmer weitergibt, muss irgendwann mit Widerstand rechnen. Arbeitnehmer haben grundsätzlich zwei Möglichkeiten, auf höhere Preise zu reagieren. Zum einen könnte weniger konsumiert werden. Wer bei steigenden Preisen weniger konsumiert, kann das Budget stabil halten. Diese Wahl haben jedoch längst nicht alle Haushalte. Vor allem in den USA sind die Löhne in vielen Branchen so niedrig, dass dies keine Option ist. Daher rückt die zweite Möglichkeit in den Fokus: Streik. In den USA geht es dabei nicht nur um höhere Löhne, sondern auch um bessere Arbeitsbedingungen. In einigen Branchen sind Arbeitskräfte so knapp, dass diejenigen, die arbeiten, an ihre Grenzen stoßen. Unternehmen scheinen die Probleme nicht ausreichend ernst zu nehmen. Vielen platzt nun der Kragen.

Den meisten geht es allerdings um die Löhne. Bei John Deere streikten bis vor kurzem 10.000 Mitarbeiter. Das Unternehmen bot zunächst eine sofortige Lohnerhöhung von 5-6 % an und je weitere 3 % in 2023 und 2025. Vor wenigen Quartalen hätten die meisten, ohne zu zögern unterschrieben. Jetzt erscheint der Vorschlag wie ein Affront. Die Inflationsrate liegt allein in diesem Jahr bei mehr 4 %. Bleibt die Inflation 2022 ähnlich hoch, würden Arbeitnehmer effektiv einer Reallohnsenkung zustimmen.

Das zweite Angebot des Unternehmens sieht eine sofortige Lohnerhöhung von 10 % vor. Das ist fast eine Verdopplung des ersten Angebots. Wenn dies eine Indikation für andere Unternehmen und Branchen ist, gehören höhere Margen der Vergangenheit an.

In Großbritannien ergibt sich ein ähnliches Bild. Die Forderungen der Arbeitnehmer werden höher und die Streikhäufigkeit nimmt zu. In den Statistiken ist das bisher kaum sichtbar. Im Vergleich zu früheren Jahren fallen die aktuellen Streiks nicht ins Gewicht. Das liegt allerdings auch daran, dass die Zahlen bis in die frühen 80er Jahre sehr hoch waren (Grafik 1). Die Inflation war lange Zeit hoch. Will man den letzten Inflationsschub vor über 40 Jahren mit heute vergleichen, befinden wir uns im Jahr 1963, also ganz am Anfang eines möglichen Trends.


Im Vergleich zu den vergangenen drei Jahrzehnten ergibt sich nun erstmals ein Aufwärtstrend. Das gilt auch in den USA (Grafik 2). Seit mehr als 20 Jahren wurde nicht mehr so viel gestreikt und das Jahr ist noch nicht vorüber. Die hohe Inflation verschwindet auch nicht bis Jahresende oder Anfang 2022 und mit jedem Tag, an dem die Preise steigen, wird der Schmerz bei Arbeitnehmern größer. Die Streiks nehmen dabei zu, obwohl viele Arbeitgeber „freiwillig“ höhere Löhne (im Durchschnitt +5 %) zahlen.

Es ist kein Zufall, dass Streiks generell dann stattfinden, wenn die Inflation steigt. Die Systematik ist relativ einfach. Heute steigen die Preise, morgen wird gestreikt. Dass die Streiks derzeit höhere Dynamik zeigen, ist bemerkenswert. Gewerkschaften litten jahrzehntelang unter Mitgliederschwund.


Gewerkschaften und Streiks wurden bereits totgesagt. Jetzt gewinnen sie wieder an Bedeutung und das im Eiltempo. Zu den bereits bestehenden Lieferengpässen und daraus resultierenden Produktionsproblemen gesellen sich nun auch noch Streiks. Das verschärft viele Problem zusätzlich.

Bleibt die Lage auf dem Arbeitsmarkt weiterhin so angespannt, müssen sie deutlich höheres Lohnwachstum verkraften als jetzt. Eine Alternative gibt es nicht. Die Zeit exorbitanter Margen dürfte ein Ende finden. Ob Anleger wie bei Lieferengpässen auch dieses Mal wegschauen, bleibt abzuwarten. Wir dürften jedenfalls erst den Anfang eines Trends sehen, der Anleger lange Zeit beschäftigen könnte.

Clemens Schmale


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Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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