Kommentar
10:36 Uhr, 05.05.2022

Es bleibt kompliziert an den Märkten

Wolkig mit Aussicht auf Kursrückgänge: Darauf müssen sich Anleger und Trader wohl auch in den kommenden Wochen und Monaten einstellen.

US-Notenbankchef Jerome Powell hat am Mittwochabend das Kunststück fertiggebracht, den Märkten genau das zu sagen, was sie hören wollten:

  • Die US-Notenbank betrachtet die Inflation als ernsthafte Gefahr für die Wirtschaft und wird dagegen vorgehen.
  • Der Leitzins wird bei den kommenden Zinsentscheiden mit hoher Wahrscheinlichkeit um jeweils 50 Basispunkte angehoben werden.
  • Es wird aber, anders als zuletzt spekuliert worden war, keine Zinserhöhungen um 75 Basispunkte geben.
  • Die Fed will entschieden gegen die hohe Inflation vorgehen, sie will dabei aber auch vermeiden, eine Rezession auszulösen. Ziel ist eine "sanfte Landung" der US-Wirtschaft und die Chancen stehen laut Powell auch ganz gut, dass dies gelingen kann.

Insbesondere die Aussage, dass es keine Zinserhöhungen um 75 Basispunkte geben wird und dass die Fed eine Rezession bzw. eine "harte Landung" der US-Wirtschaft vermeiden will, hat verständlicherweise zu einem kurzfristigen Kaufrausch an der Wall Street geführt.

Powell will das, was die Märkte auch wollen: Die Inflation soll eingedämmt werden, gleichzeitig soll die wirtschaftliche Expansion aber möglichst wenig gebremst werden.

Der US-Notenbankchef hat mit seinen Aussagen gestern Abend für maximale Klarheit gesorgt und genau das gesagt, was der Markt hören wollte. Der Markt weiß jetzt, was ihn in den kommenden Monaten und Quartalen erwartet. Die kurzfristige Unsicherheit wurde beseitigt, und in der Logik des Marktes ist schon allein das eine verminderte Risikoprämie bzw. höhere Kurse wert.

Einziger Wermutstropfen: Weder die Fed noch der Markt können sich aktuell sicher sein, wie stark die Zinsen überhaupt steigen müssen, um die Inflation wirksam zu bekämpfen. Muss die Fed vielleicht wie in den 80er Jahren eine Rezession auslösen, um die hohe Inflation unter Kontrolle zu bekommen?

Der "neutrale" Zinssatz, der die Wirtschaft weder befeuert noch abbremst, ist das Ziel der geldpolitischen Reise, auf die sich die Fed begeben hat. Doch niemand weiß genau, wo dieser Zins tatsächlich liegt. Die Fed verortet den neutralen Zins aktuell wohl irgendwo zwischen 2,5 und 3 Prozent, aber ob das wirklich der Realität entspricht, weiß niemand.

Diese Unsicherheit hat auch Jerome Powell eingestanden und betont, dass die Fed keine chirurgischen Präzisionsinstrumente zur Verfügung habe, einerseits die Inflation zu bekämpfen und andererseits das Wachstum nicht abzuwürgen. Es werde durchaus "schwierig" werden, sagte Powell.

Die Schwierigkeiten der Fed haben auch damit zu tun, dass die hohe Inflation zumindest teilweise von Faktoren ausgelöst wird, die sich der Kontrolle der US-Notenbank entziehen. Die Fed kann zwar die Nachfrage in der Wirtschaft beeinflussen, sie kann aber nicht für ein Ende des Ukraine-Kriegs sorgen oder Lieferengpässe beseitigen, die auf Corona-Lockdowns zum Beispiel in China zurückzuführen sind.

Die maximale Offenheit und Klarheit, die Powell am Mittwochabend gezeigt hat, gefällt dem Markt. Und dem Markt gefällt auch, dass der Mann an der Spitze der US-Notenbank offenbar genau so tickt, wie auch der Markt tickt. Inflationsbekämpfung ja, aber nicht um den Preis einer Rezession. Markt und Powell schwingen derzeit im Gleichklang, fast völlig synchron, das kommt gut an.

Auf emotionaler Ebene kann man die Botschaft des US-Notenbankchefs an den Markt so zusammenfassen: Es wird schwierig werden, es muss schwierig werden, um die Inflation zu bekämpfen, aber wir werden das gemeinsam durchstehen.

Allerdings ändert das nichts an der Tatsache, dass die Inflation vorerst wohl hoch bleibt, die Zinsen steigen werden und die Liquiditätsflut, die Markt und Wirtschaft seit der Finanzkrise 2008 und noch verstärkt nach dem Corona-Crash erleben durften, vorerst zu Ende geht.

Kurzfristig haben die Aussagen von Powell die Unsicherheit am Markt beseitigt und schon allein deshalb für Euphorie gesorgt. Der Markt weiß jetzt zumindest für die kommenden Monate, wohin die geldpolitische Reise ungefähr gehen wird. Ob aber das Kunststück gelingen wird, die hohe Inflation spürbar zu verringern und andererseits keine Rezession auszulösen, steht weiter in den Sternen.

Angesichts der aktuellen Gemengelage ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Gemütsverfassung des Marktes auch in den kommenden Wochen und Monaten zwischen Hoffen und Bangen schwanken wird, die Bären aber vorerst im Vorteil bleiben.

Der sicherste Weg, eine außer Kontrolle geratene Inflation zu bekämpfen, besteht darin, eine Rezession auszulösen. Diesen Weg, den der ehemalige US-Notenbankchef Paul Volcker zur Bekämpfung der hohen Inflation in den 80er Jahren wählte, will Powell aber vorerst nicht gehen. Ob Powell die hohe Inflation auch auf einem anderen Weg beseitigen kann, ist ungewiss.

Wie die Verfassung des Marktes nach dem Fed-Zinsentscheid charttechnisch einzuschätzen ist, hat mein Kollege Alexander Paulus in diesem Artikel analysiert: Wie reagieren die Märkte auf die Zinserhöhung der FED?


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Über den Experten

Oliver Baron
Oliver Baron
Experte für Anlagestrategien

Oliver Baron ist Finanzjournalist und seit 2007 als Experte für stock3 tätig. Er beschäftigt sich intensiv mit Anlagestrategien, der Fundamentalanalyse von Unternehmen und Märkten sowie der langfristigen Geldanlage mit Aktien und ETFs. An der Börse fasziniert Oliver Baron besonders das freie Spiel der Marktkräfte, das dazu führt, dass der Markt niemals vollständig vorhersagbar ist. Der Aktienmarkt ermöglicht es jedem, sich am wirtschaftlichen Erfolg der besten Unternehmen der Welt zu beteiligen und so langfristig Vermögen aufzubauen. In seinen Artikeln geht Oliver Baron u. a. der Frage nach, mit welchen Strategien und Produkten Privatanleger ihren Börsenerfolg langfristig maximieren können.

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