Kommentar
12:53 Uhr, 28.03.2006

Erdgas: US-Preise mit Aufwärtspotential

Neue Transportwege

Der Markt für Erdgas befindet sich im Wandel. Der Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine hat gezeigt, wie anfällig die Energieversorgung in Westeuropa ist. Ein großer Teil des europäischen Bedarfs wird durch russisches Erdgas gedeckt. Als der Streit zwischen der Ukraine und Russland eskalierte und Russland kurzerhand seine Gaslieferungen in die Ukraine einstellte, war das bis nach Frankreich zu spüren. Seither steht das Thema Energiesicherheit ganz oben auf dem politischen Programm - die Suche nach Alternativen hat begonnen. Eine besondere Rolle spielt dabei verflüssigtes Erdgas oder Liquefied Natural Gas (LNG), das in besonderen Aufbereitungsanlagen hergestellt wird. Normales Erdgas wird dort bis auf -160 Grad Celsius gekühlt und damit in einen flüssigen Zustand umgewandelt. Dadurch schrumpft Erdgas auf ein Sechshundertstel seines ursprünglichen Volumens und wird danach in riesigen Tankschiffen in alle Welt verschifft, um an den Empfängerhäfen in speziellen Tanks oder unterirdischen Schächten zwischengelagert oder für den Endabnehmer wieder in Gasform umgewandelt zu werden. Es ist dem technologischen Fortschritt und den gestiegenen Erdgaspreisen zu verdanken, dass ein derart aufwändiger Prozess rentabel wird. Während Japan bereits seit vielen Jahren auf LNG setzen muss, da dort Pipelines nicht rentabel sind, steht Deutschland erst ganz am Anfang. Die erste LNG-Infrastruktur soll jetzt in Norddeutschland entstehen, um die Abhängigkeit von den russischen Pipelines zu verringern. Ein Viertel des Welterdgasmarktes wird heute durch LNG gedeckt. Bis in 25 Jahren soll sich dieser Anteil verdoppeln. Diese Entwicklung führt zu einer „Globalisierung“ des Erdgasmarktes. Durch das „mobil werden“ von Erdgas werden neue Märkte attraktiv, die bisher weit entfernt von den industriellen Abnehmerländern im Westen lagen. Denn LNG wird umso rentabler, je weiter das Produktionsland vom Abnehmerland entfernt ist.

Hurrikan-Desaster in den USA

Als die Hurrikans im Herbst 2005 große Teile der Erdgasinfrastruktur im Golf von Mexiko zerstörten, explodierten die Erdgaspreise. In New York stiegen sie um 160%, in London gab es eine Verdoppelung. Die USA waren auf Importe zum Ausgleich der Förderausfälle am Golf von Mexiko angewiesen, um die Lagerbestände für den Winter zu rüsten. Das gelang. Als der Winter dann ungewöhnlich warm ausfiel, wurde viel weniger geheizt, als sonst. Außerdem reagierten Industrie und Energiekonzerne auf die stark gestiegenen Preise, indem sie Erdgas durch andere Energieträger substituierten, was zusammen mit dem wetterbedingten Nachfragerückgang zu einem starken Überangebot bei Erdgas in den USA führte. Der Erdgaspreis in New York fiel seit dem Hoch im Dezember 2005 wieder um 55%. Ganz anders sieht es dagegen in Europa aus: Zwar sind auch hier die Preise von ihren Rekordhochs zurückgekommen, allerdings nicht so stark wie in den USA. Denn die Erdgaslager sind durch den kalten Winter fast aufgebraucht. Die Industrie, darunter besonders die Petrochemie, reagiert auf die günstigeren US-Preise mit einer Anhebung ihrer Kapazitätsauslastung in den USA, während sie die Kapazitätsauslastung in Europa senkt. Außerdem werden US-amerikanische Energiehersteller wieder mehr Erdgas nutzen. Dies führt dazu, dass die Nachfrage in den USA steigt, während sie in Europa fällt. Zudem reagiert das Angebot auf die niedrigen Preise in den USA, denn seit Wochen werden LNG-Tankschiffe nach Europa oder Asien umgeleitet, da sie dort bessere Verkaufspreise erzielen können. Durch diese Anpassungen zwischen Angebot und Nachfrage ist mit einem sukzessiven Abbau des Überangebots in den USA und mit graduell steigenden Gaspreisen in New York zu rechnen.

Die Nachfrage

Mittelfrist betrachtet ist Erdgas weiterhin knapp. Während die industrielle Nachfrage schon immer hoch war, weil Gas billiger ist als Strom, wächst sie inzwischen nur noch im Gleichschritt mit dem industriellen Wachstum. Der eigentliche Nachfragschub in den letzten Jahren kam von den Stromherstellern, die sich mit langfristigen Lieferverträgen so absichern, dass sie in Zeiten der Knappheit Priorität bei der Lieferung erhalten. Betroffen sind deshalb vor allem kleinere Unternehmen. Eine Reihe von Ölfirmen hat hier ein Zusatzgeschäft gewittert und gleichzeitig mit der Erschließung von Gasfeldern auch in die Stromerzeugung diversifiziert. Sie machen so ihren großen und kleineren Kunden direkte Konkurrenz. Neben der geringeren Transportanfälligkeit gegenüber Heizöl sind für die gesteigerte Erdgasnachfrage die höhere Effizienz und „Sauberkeit“ der Gasverfeuerung verantwortlich. Außerdem wird Heizöl mit deutlich höheren Steuern belegt und ist mit höheren Emissionskosten belastet. Besonders stark ist die asiatische Nachfrage. Wie in diesem Report schon häufiger berichtet, hat die Entscheidung Japans, sich aus der Atomenergie zurückzuziehen, zu einem kräftigen Schub bei der Gasnachfrage geführt, und auch China setzt mehr und mehr auf Gas, weil die Umweltverschmutzung durch Kohleverfeuerung unerträgliche Ausmaße angenommen hat. China steht deshalb am Pranger der Weltöffentlichkeit und muss handeln. Die Gasnachfrage wächst also bereits kräftig im Gleichschritt mit dem weltweiten Wirtschaftswachstum, erhält aber einen zusätzlichen Schub durch die Substitution anderer Energieträger wie Uran, Erdöl und Kohle. Diese Tendenz wird sich noch beschleunigen.

Das Angebot

Flüssiges Erdgas ist rentabel geworden. Das führt dazu, dass große, von den Industrieländern weit entfernte Erdgasfelder stärker zur Deckung der Weltnachfrage dienen werden, als bisher. Wie bei Erdöl sind die Industrieländer auf Erdgasimporte angewiesen. In Nordamerika scheinen alle Erdgasreserven angezapft zu sein, und von Wachstum wird nur noch in Mexiko gesprochen. Da die dortige Wirtschaft allerdings auch stark wächst, braucht sie einen großen Teil des Erdgases für sich selbst. Die USA sind daher gezwungen, stärker auf flüssiges Erdgas aus dem Weltmarkt zu setzen. Die Gasversorgung Südamerikas hingegen ist autark. Die neuen Projekte der brasilianischen Gesellschaft Petrobras, die wir im letzten Report besprochen haben, werden Brasilien fast unabhängig von den Gasimporten aus Bolivien machen. Mittelfristig wird Südamerika seine Exportrolle auf dem Weltmarkt deutlich ausbauen können. Außerdem gibt es enorme Erdgasvorkommen entlang der Westküste Afrikas. Nebst Algerien, das bereits große Mengen Erdgas exportiert, wurden nun auch immense Erdgasvorkommen in Ägypten entdeckt, die größer sein sollen als die von Kuwait. Diese werden gerade erschlossen und sollen in Form von LNG und durch eine Pipeline Europa mit Erdgas versorgen. Überall wo man hinkommt, findet man aber auch Vertreter der chinesischen und indischen Regierung, besonders im Mittleren Osten. Dort arbeiten chinesische Fachleute im Iran an der Erschließung riesiger Erdgasfelder an der iranischen Grenze zum Irak. Auch Indien ist am iranischen Erdgas interessiert und plant gerade eine Pipeline vom Iran über Pakistan nach Indien. China wird außerdem eine neue Erdgaspipeline mit Russland von Sibirien in den Norden Chinas verlegen.

Zusammenfassung

Gas bleibt Mangelware. Die Nachfrage zieht mit dem anhaltenden Wirtschaftswachstum unaufhaltsam an, während das Angebot nur langsam steigt. Außerdem hat der Kampf um die Vorräte zwischen den Schwellenländern China und Indien einerseits und den westlichen Industrienationen andererseits gerade erst begonnen. Gas ist der „sauberste“ Energieträger unter den nicht erneuerbaren Energien und ungefährlicher im Vergleich zu Uran. Die Substitution wird sich also künftig noch deutlich beschleunigen. Durch die Normalisierung der amerikanischen Lagerbestände ist zu erwarten, dass es zunächst wieder zu einer Steigerung der stark gefallenen Erdgaspreise in den USA kommen wird. Im Gegensatz hierzu könnten die stark gestiegenen europäischen Preise zurückkommen.

Diese Analyse ist Teil des Rohstoff-Report. Wenn Sie Analysen dieser Art zeitnah per E-Mail erhalten möchten, können sich unter http://www.rohstoff-report.de kostenlos in den Verteiler für den Rohstoff-Report eintragen.

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Über den Experten

Jochen Stanzl
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Chefmarktanalyst CMC Markets
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Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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