Eine kurze Geschichte der Charttechnik - Was ist und kann CT und was kann sie nicht? 7 wichtige Thesen und Leute!
- Lesezeichen für Artikel anlegen
- Artikel Url in die Zwischenablage kopieren
- Artikel per Mail weiterleiten
- Artikel auf X teilen
- Artikel auf WhatsApp teilen
- Ausdrucken oder als PDF speichern
Charttechnik (oder vornehm auch "Technische Analyse" genannt) ist für die einen Teufelszeug - für die anderen eine Art Heiliger Gral.
Die ersten Ansätze dazu gab es bereits vor ein paar hundert Jahren, als in Japan rund um das Jahr 1700 recht erfolgreich versucht wurde, mittels diverser Methoden den zukünftigen Preis für Reis zu berechnen/vorherzusagen. Später wurden dort auch die bis heute berühmten "Candlesticks" entworfen, eine hervorragende Möglichkeit, viele Informationen in nur einem einzigen Symbol unterzubringen.
In der westlichen Hemisphäre griff man solche Methoden zeitlich erst sehr viel später gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf und auch hier waren die Ursprünge im landwirtschaftlichen Bereich zu finden. Damals ging es hauptsächlich darum, seine verderbliche und nur zu bestimmten Zeiten des Jahres ausreichend zur Verfügung stehenden verderblichen Produkte irgendwie im Preis absichern zu können, der "Future-Handel" hatte dort seine Geburtsstunde. Umso kurioser ist es, dass heute ausgerechnet beim Handel von Produkten mit Bezug zu Rohstoffen und Nahrungsmitteln häufig ethisch-moralische Ansätze angeführt werden, eben dies nicht zu tun. Man ignoriert damit gewissermaßen den Ursprung einer eigenen Art von Wissenschaft. Ein paar Namen von früher sind sicherlich jedem Börsianer zumindest schon mal über den Weg gelaufen, interessanter Weise haben die meisten (bis auf Elliott, der war Buchhalter) ebenfalls einen familiären Hintergrund im Farm-Bereich (Reihenfolge nach Geburtsjahr):
- Charles Henry Dow (Dow Jones, Dow-Theorie)
- Ralph Nelson Elliott (Elliott-Wellen-Prinzip)
- Jesse L. Livermore (Bekannt durch das Pyramidisieren aber ebenso auch dafür, sich nicht an die eigenen Regeln zu halten, was ihn mehrfach große Vermögen fast bis zur Pleite vernichten ließ)
- William Delbert Gann (vielen heutzutage unbekannt war dieser vor über hundert Jahren bereits eine Legende und einer der ersten "Livetrader", sein erfolgreiches Wirken wurde damals im Vorgänger des Wallstreet Journals begleitet, etwas bekannter ist der so genannte Gann-Fächer, zudem sagte er den "großen Crash 1929" bereits ein Jahr zuvor voraus)
- Goichi Hosoda (Ichimoku Kinko Hyo)
- Harold M. Gartley (Patterns)
- und Jahrzehnte später dann noch Michael Borgmann, der gewisser Maßen "both of best worlds" darstellt, kann er doch einen gewissen landwirtschaftlichen Hintergrund plus eine buchhalterische Ausbildung mitbringen ;)
Die von diesen Leuten geschaffenen Grundlagen sind zum Großteil noch heute uneingeschränkt gültig und Basis der meisten später entwickelten Ansätze geworden, von denen es natürlich mit zunehmender Verfügbarkeit von Daten (Umstellung von Handarbeit auf Computer) immer mehr gab, was sowohl die Daten selber als auch deren Verfügbarkeit deutlich transparenter und besser nutzbar machen sollte.
Im Prinzip benötigt man heute lediglich einen PC samt Internetzugang und hat via Internet-Suchmaschine binnen Sekunden eine Vielzahl von ausreichenden Informationen zur Materie zur Verfügung. Doch leider ist die Summe dieser Informationen derart groß, dass man gerade als Laie schon bald den berühmten Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen kann. So sucht man dann schnell sein Heil in der Flucht und stürzt sich auf vermeintlich einfach erkennbaren Muster wie die berühmt-berüchtigten SKS und/oder Dreiecke etc. - Bevor man sich aber daran macht, Muster (Pattern) in einem Chart zu suchen oder eine Vielzahl von Indikatoren und gleitenden Durchschnitten dazu zu schalten, sollte man sich erst einmal mit dem Wesentlichen befassen und das ist und bleibt schlichtweg der Kurs im Verbund mit dem einhergehenden Volumen. Alle weiteren Methoden, um dies etwas näher zu definieren, müssen zwangsläufig auf diese beiden Informationen zurückgreifen und machen das auch. Es ist also zunächst einmal wichtig zu wissen, was denn eine Kurs-Darstellung (im Standardfall via Candlestick/s) überhaupt aussagt bzw. aussagen könnte. Sobald man sich damit eingehend befasst, wird einem schnell auffallen, dass gewisse Pattern innerhalb scheinbar beliebiger Kursbewegungen immer und immer wieder auftauchen und sich auch wiederholen. Man stellt fest, dass sich impulsive ausgedehnte Trend-Phasen abwechseln mit eher korrektiven und oftmals zeitlich ausgedehnten Phasen und manchen ohne scheinbar wirklichen Trend. Sobald man dies alles halbwegs verinnerlicht und verarbeitet hat, kommt man nicht um die Tatsache herum, dass hinter dem (Börsen-)Wahnsinn irgendeine Form von Methodik stecken muss!
Das ist auch tatsächlich der Fall und mit der Akzeptanz dieser Tatsache hat man den ersten Schritt getan, um sich auf den aufrechten Weg der Charttechnik zu begeben, denn nur wer offen und aufgeschlossen für diese Materie ist, kann sie letztlich zu seinen Zwecken sinnvoll anwenden. Doch zum Akzeptieren gehört noch etwas mehr, nämlich die Tatsache, dass man sich darüber im Klaren sein muss, was diese angewandte Methodik bringen kann und was nicht! Viele Leute versauen sich regelrecht den effektiven Zugang zur Materie, indem sie von der Wunschvorstellung ausgehen, im Bereich Technische Analyse irgendwo eine universell anwendbare Theorie vorzufinden, die einfach und praktisch 1:1 in die Praxis umgesetzt werden kann, um daraus binnen kürzester Zeit ein Vermögen zu erwirtschaften. Diese Vorstellung gilt es umgehend aus dem Kopf zu streichen, denn ähnlich wie beim Glücksspiel im Casino (zum Beispiel durch Kartenzählen beim "Black Jack") geht es einzig und alleine darum, sich einen möglichen kleinen statistischen Vorteil zu verschaffen, der die vorherige Option eines Münzwurfs (50/50) zu den eigenen Gunsten verbessern kann und das ist bereits bei 51/49 der Fall und muss im Zweifel dann sogar ausreichen.
Ich habe mal eine kleine und deshalb sicher nicht vollständige Liste von Dingen entwickelt, die mit der angewandten Charttechnik möglich sind und eben halt nicht. Hierbei wird der Wunschgedanke des Anwenders in den Vordergrund gestellt und mit den tatsächlichen Möglichkeiten abgeglichen, die Reihenfolge ist eher beliebig.
Was sich der Anwender von der CharttechniK/Technischen Analyse (CT) erwartet oder darüber denkt: | Was sie tatsächlich kann: | Was sie tatsächlich eher nicht kann, bzw. was es zu beachten gilt: |
1) Richtig erlernt und angewandt gibt mir die CT die Möglichkeit, eine nahezu 100 %ige Trefferquote in meinen Trades zu erreichen! | Die angewandte CT fixiert sich zunächst primär darauf, es dem Anwender zu ermöglichen, gewisse Wahrscheinlichkeiten abzuwägen, die am Ende eher für oder gegen eine bestimmte Handels-Richtung sprechen | Die Größe der theoretisch besseren Wahrscheinlichkeit, ob ein Investment aufgeht oder nicht, lässt sich kaum exakt in Zahlen umrechnen (zum Beispiel 62 %). Es ist eher die Summe an Informationen, die letztlich den Ausschlag für PRO oder CONTRA gibt |
2) Wenn ich mir die CT intensiv und fachgerecht angeeignet habe, bin ich automatisch dauerhaft erfolgreich bzw. wesentlich erfolgreicher als zuvor! | Die angewandte CT kann einen Trader tatsächlich in diese Richtung hin bewegen, doch CT ist leider nicht alles, Disziplin und ein striktes Konzept zum Risiko- und Money-Management sind ungleich wichtiger, nur leider wollen sich genau damit die wenigsten Trader wirklich auseinander setzen. | Vor allem kurz nachdem man sich ausgiebige Fach-Kenntnisse der CT angeeignet hat und halbwegs sicher ist, kann das zu temporären Blockaden führen. Routine-Trading-Setups, die zuvor bereits gemacht wurden und in der Regel häufiger Erfolg als Misserfolg zeigten, werden nun durch die CT-Lupe betrachtet und eventuell gar angezweifelt, denn nun weiß man ja mehr als zuvor. Dieser Umstand ist nicht zu vernachlässigen und kann sogar dazu führen, dass man obwohl man ein Mehr an Wissen hat, weniger erfolgreich handelt. Die beste Methode funktioniert nur dann, wenn man sie konsequent anwendet. |
3) CT ermöglicht mir, immer dann, wenn ich Zeit und Lust zum Handeln habe, einen direkten und optimalen Ein- und Ausstieg zu finden! | Solch ein Ansatz lässt jegliche Demut vor der Materie vermissen und stellt Ansprüche an die CT, die nicht zu erfüllen sind. Es ist aber möglich, dass die angewandte CT einem zumindest darlegt, ob aktuell generell kurzfristig ein sinnvoller Ein/Ausstieg möglich ist oder nicht und in welcher Zeiteinheit das der Fall sein könnte und das ist immerhin ebenfalls ein geldwerter Vorteil, den man zuvor nicht gehabt hatte. | Vor der Arbeit, in der Frühstücks/Mittags-Pause oder nach Feierabend schnell den Rechner an und los geht es mit Traden! Ein Kardinalfehler vieler Trader, der eher dem Verhalten eines Spielsüchtigen gleicht als einem geplantem Vermögensaufbau. Alles hat seine Zeit so auch ein Chart. Es ist zu akzeptieren dass manche Charts zu manchen Zeiten über- wie untergeordnet in derart komplexen und undurchsichtigen Strukturen verlaufen, dass einem die CT hierbei nur in so weit hilfreich beiseite stehen kann, dass sie dem Anwender hier seine und ihre eigenen Grenzen aufzeigt und dies auch unmittelbar erkannt werden kann. Letztlich bestimmt immer der CHART, ob er gerade sinnvoll handelbar ist oder nicht und niemals das persönliche Zeitfenster. |
4) Wenn CT tatsächlich funktionieren würde, warum sind nicht alle CT-Bewandten (und Analysten) bereits extrem reiche Multimillionäre? | CT funktioniert insbesondere in Kombination mit systematischer Anwendung relativ gut bis ausgezeichnet. Wichtig hierbei ist aber die Minimierung des Risikos und ein stets an das Risiko und zahlreiche weitere Faktoren (Depot-Größe, psychische Stabilität usw.) angepasstes Money-Managment (Kapitalerhalt geht stets vor!) | Der Performance sind in der Regel natürliche Grenzen gesetzt. Niemand kann Jahr für Jahr dauerhafte hohe zweistellige oder gar dreistellige Renditen in Prozent einfahren. Wer zum Beispiel mit 1.000 € anfängt und Jahr für Jahr 100 % einfährt, hätte nach ca. 20 Jahren über 1.000.000.000 €. Die Methodik in der Anwendung variiert extrem mit der Depot-Größe. Grundregel: je kleiner das verfügbare Kapital desto höher das gewählte Risiko und vice versa. Ein hohes Risiko erhöht aber auch die Wahrscheinlichkeiten, sein Kapital nicht so erhalten zu können, wie es eigentlich sinnvoll wäre, da kommt es schnell zu einem Teufelskreis. Zudem sind natürlich auch zeitliche Grenzen zu ziehen und es gilt den Umstand zu betrachten, dass ab einer gewissen Depot-Größe manche Dinge immer schwieriger werden, die vorher problemlos zur Performance beitragen konnten (Beispiel: die inzwischen extrem hoch kapitalisierte Berkshire Hathaway Holding von Warren Buffett). |
5) Die CT hilft mir beim Bestimmen von Trends, Kurszielen und technisch sinnvollen SL. | Diese Aussage ist zu 100 % zu unterschreiben. | Hierbei gilt es aber zu unterstreichen, dass es sich bei der CT um keine ultimative Lehre handelt. CT hangelt sich an mehr oder weniger eng definierbaren Bedingungen entlang und wägt Wahrscheinlichkeiten ab und bestimmt danach theoretische weitere Abläufe und Ausgänge von Kursverläufen. Dies bedeutet, dass jedes noch so schöne Set-Up, was man nach Stunden oder gar Tagen akribischer Kleinarbeit unter Berücksichtigung aller charttechnischen Grundsätze erstellt hat, im Prinzip keine grundsätzliche Berechtigung hat, um auch exakt so aufzugehen, wie man es ermittelt hat. Solch ein Set-Up weist aber zumindest zum Zeitpunkt des Erstellens die entsprechend höchstmöglichste Wahrscheinlichkeit dafür auf, mehr oder minder exakt so aufzugehen, wie man es skizziert hat. |
6) Die CT besagt im Kern: es steigt oder es fällt, WO ist da der Nutzen? | Auch diese Aussage (zumindest den ersten Teil) kann man weitestgehend bestätigen. Die Wahrheit ist aber deutlich komplexer und wer so argumentiert ist im Normalfall entweder der Materie generell skeptisch gegenüber aufgestellt oder hat schlechte Erfahrungen damit gemacht (meistens basierend auf unzureichender Kenntnis) und wichtiger noch, es wird der wesentliche Kern der CT schlichtweg ignoriert bzw. pervertiert. Denn genau diese Differenzierung ist es ja, welche die CT definiert: Man kann solange an einem bestimmten Szenario festhalten, bis Punkt X unter/überschritten wird ab dann gibt es eine neue charttechnische Situation mit entsprechenden Konsequenzen für das weitere Kursgeschehen. | Diesen "WischiWaschi-Vorwurf" mag man oberflächlich betrachtet durchaus zur Kenntnis nehmen. Schaut man aber auf die Grund-Methodik angewandter CT, so basiert diese auf dem "wenn<<<<<dann"-Prinzip also der Methodik auf der auch selbst die simpelsten ersten Computer-Proramme funktionierten, man nimmt eine Bedingung und die Entscheidung für JA/NEIN was zum nächsten Programmschritt führt oder auch nicht, je nachdem. Die CT ermöglicht es also an bestimmten Punkten innerhalb eines Chartes relativ exakt (manchmal bis auf die zweite Stelle hinter dem Komma) eine Bedingung zu nennen und mindestens eine (meistens auch mehrere) daran verknüpfte Variante(n) für den weiteren Chart-Verlauf ab dort zu erstellen. |
7) Die CT ist dermaßen komplex, das erlerne ich niemals. | Das größte Hemmnis beim Erlernen dieser Materie wird man immer selber sein und bleiben. Man muss nicht überdurchschnittlich begabt sein, um aus der Materie seinen Nutzen ziehen zu können. Ebenso wenig ist man zu alt oder zu jung dafür. Man ist ja nicht dazu gezwungen, die CT-Bibeln von z. B. Murphy (Technische Analyse der Finanzmärkte) und Elliott (EW principles) komplett auswendig aufsagen zu müssen. Im Gegenteil, weniger ist auch hier mehr. Man merkt im täglichen Gebrauch eigentlich sehr schnell, womit man ganz gut klar kommt und womit nicht und die meisten dauerhaft erfolgreichen Trader haben vielleicht 1-5 Strategien, die sie je nach Markt/Chart-Lage anwenden und mehr nicht, die meisten davon sind sogar eher ausschließlich auf den Kerzen und dem Volumen basierend strukturiert und nicht auf dem Zuschalten zahlloser weiterer technischer Hilfsmittel wie Indikatoren, Oszillatoren EMAs/SMAs und was es sonst noch so alles gibt. | Bei der Anwendung von CT gilt es zwei grundsätzliche Anwender-Typen zu unterscheiden, dies wird aber oftmals ignoriert. CT ist in erster Linie ein ANALYSE-Instrument. Dies bedeutet, sie wurde entworfen und weiter entwickelt von Analysten für Analysten und für einen Analysten kann es gar nicht ausreichende Informationen genug geben, somit wird diese Art von Anwendern selbstredend eine Vielzahl von Indikatoren usw. weit jenseits der Zahl bei Normalsterblichen bei der Chart-Betrachtung in seine Analyse mit einbeziehen wollen. Als "Abfall-Produkt" lässt sich dann anhand solch einer Analyse am Ende auch ein (oder auch mehrere) handelbares Szenario entwerfen, das ist das was der Trader benötigt, also die zweite Gruppe derjenigen, die sich die CT zu Nutzen machen wollen. Für diese Gruppe hingegen gilt allgemein der Grundsatz KISS (keep it simple/stupid) also weniger = mehr! Wer also tatsächlich an sich lediglich den Anspruch hat, mit Hilfe der CT handelbare Szenarien zu entwerfen und nicht der nächste Charting-"Experte" auf Guidants werden möchte, der kann rund 90 % des Stoffs, den er in gängiger Lektüre findet, einfach ignorieren und sich auf den reinen Kern konzentrieren, den nackten Chart, also die Kerzen, das Volumen und die laufenden Muster, dazu noch ein paar Fibos und fertig ist der angerichtete Chart-Salat! |
Michael Borgmann
Keine Kommentare
Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.