Ein Hoch auf den US-Dollar
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Die Federal Reserve (Fed) lässt keinen Zweifel daran, dass der Leitzins noch längst nicht da steht, wo sie ihn haben möchte. Über ihren Dot Plot signalisiert sie zurzeit einen Anstieg auf 4,6 Prozent im nächsten Jahr. Im Juni war sie noch von 3,8 Prozent ausgegangen. In den beiden letzten Offenmarktausschusssitzungen dieses Jahres kann sich daher viel tun – es fehlen an den für 2023 erwarteten 4,6 Prozent und selbst an den zum Jahresende erwarteten 4,4 Prozent noch über 100 Basispunkte (BP). Fest steht: Die Zeit der langsamen Straffung ist vorbei.
Die jüngsten Konjunkturdaten waren oft überraschend gut, vor allem die Arbeitsmarktberichte. Im vierten Quartal rechnen wir aber mit wesentlich schwächeren Zahlen – vor allem wegen der strafferen Finanzbedingungen. Manchen Indikatoren zufolge sind sie heute so straff wie seit der Finanzkrise 2008/2009 nicht mehr. Wir glauben deshalb, dass die Fed die Zinsen im November und im Dezember nur um 50 BP anhebt. Anders als die Märkte – und auch als der Dot Plot der Notenbank – erwarten wir zum Jahresende daher nur eine Federal Funds Rate von 4,25 Prozent.
Nach den klaren Ansagen der Fed wurden auch für den Euroraum wieder größere Zinsschritte erwartet. Vielleicht achten die Investoren bei ihren Prognosen jetzt mehr auf den Wechselkurs. Wenn die Fed den Leitzins stärker anhebt, so die Überlegung, muss die Europäische Zentralbank (EZB) folgen, um den Euro zu stabilisieren und einen Inflationsimport zu verhindern.
Durch die starken Zinserhöhungen entsteht der Eindruck eines Wettrennens zwischen den Notenbanken. Am Ende straffen sie die Geldpolitik vielleicht zu stark, weil jede einzelne Notenbank die Auswirkungen der anderen auf die Weltkonjunktur nicht ausreichend berücksichtigt. Nicht Ignoranz gegenüber der Geldpolitik der anderen ist dafür der Grund, sondern die Befürchtung, dass zu große Zinsdifferenzen der eigenen Währung schaden und einen Inflationsimport bewirken.
Oberwasser für den US-Dollar
Es liegt nahe, die Entwicklung der Währungsmärkte für ein Abbild der länderspezifischen Konjunkturerwartungen zu halten. Demzufolge trauen die Investoren der US-Wirtschaft zurzeit am meisten zu. Gegenüber dem Euro, dem Yen und dem Pfund notiert der US-Dollar auf einem Mehrjahreshoch. Unsere Ursachenanalyse spricht dafür, dass sich daran in absehbarer Zeit nichts ändert.
Unterschiedlich große politische Unsicherheit
Alle großen Volkswirtschaften leiden unter politischer Unsicherheit. Die Investoren sind sich noch immer nicht sicher, wann die Inflation besiegt ist und ob die Politik etwas gegen die andauernde Energiekrise und die Rezessionsrisiken ausrichten kann. In den letzten Wochen begann an den Märkten aber eine neue Phase. Man akzeptiert jetzt, dass die weltweiten Angebotsschocks in den letzten drei Jahren eine Nachfragedämpfung erfordern. Die Geldpolitik muss also stärker gestrafft werden als bislang erwartet, und das Wachstum muss sinken. Solange das nicht geschehen ist, drohen Anleihen, Credits und Aktien Verluste. Wir warnen schon länger davor, dass die derzeitige Lage Anleihen und Aktien gleichermaßen schadet. Zwar scheinen manche Märkte im Langfristvergleich wieder günstiger bewertet, doch sorgen die aktuellen Entwicklungen für steigende Zinsen und niedrigere Gewinnerwartungen. Das bleibt nicht ohne Folgen für die Kurse.
Auch die USA sind gegen all das nicht immun. Die Fed hat ihre Geldpolitik noch einmal verschärft, um die Kerninflation zu dämpfen. Der Dollar wertete zwar auf, aber US-Aktien gaben nach. Grundsätzlich profitiert der US-Dollar von einer nachlassenden Risikobereitschaft. Auch die im Vergleich zu anderen Ländern bessere Konjunktur in den USA sowie die geringere Abhängigkeit von Energieimporten kommen ihm zugute. Es ist zwar nicht leicht zu messen, doch wie es scheint, haben die Märkte mehr Vertrauen in die Fed als in andere Notenbanken. Auch der starke US-Arbeitsmarkt und die soliden Unternehmens- und Haushaltsfinanzen machen den Dollar stark.
Ganz anders sieht es im Euroraum aus, in Großbritannien und in gewisser Weise auch in Japan. Europas Konjunktur reagiert stark auf die Energiemärkte und auf die Ergebnisse der Bemühungen um Unabhängigkeit von russischem Gas. Produktionsausfälle und Engpässe bei Konsumgütern sind in diesem Winter keineswegs auszuschließen – auch wenn manche Beobachter davon ausgehen, dass die Ukraine am Ende gewinnt. Die Daten lassen keinen Zweifel daran, wie stark die europäische Konjunktur in den letzten Wochen nachgelassen hat. Zugleich wird der EZB-Rat zurzeit von den Falken dominiert. Nachdem die Geldpolitik zu lange zu expansiv war, droht jetzt eine Übertreibung in die entgegengesetzte Richtung. An den Märkten rechnet man mit einem Leitzins von 3 Prozent, aber die Konjunkturrisiken schaden dem Euro. Gerade erst ist er erstmals seit der Einführungsphase vor über 20 Jahren wieder unter die Parität gefallen. Gibt der Euro weiter nach, steigen die Inflationserwartungen erneut. Wenn die EZB das in ihren Bemühungen um Preisstabilität stärker berücksichtigt, droht ein Teufelskreis.
Pfundkrise wegen riskanter Fiskalpolitik
Noch schlechter scheint der Ausblick für das britische Pfund, obwohl es gegenüber dem US-Dollar schon jetzt auf ein Rekordtief gefallen ist. Nach den jüngsten Ankündigungen des neuen Finanzministers fürchtet man schwächere Staatsfinanzen, eine schlechtere Leistungsbilanz und eine ungleiche Einkommensverteilung im Land. Wegen des massiven Fiskalimpulses der geplanten Steuersenkungen könnte sich die Bank of England (BoE) zu stärkeren Zinserhöhungen gezwungen sehen. Die politische Unsicherheit belastet das Pfund ebenfalls. Eine klassische Inflations- und Pfundkrise bleibt meist nicht ohne Folgen für die Binnennachfrage, weil höhere Zinsen dem Immobilienmarkt und damit letztlich dem Konsum schaden. Seit Jahresbeginn haben britische Haushaltswaren- und Bauaktien über 40Prozent verloren. Das ist viel – und es könnte noch schlimmer kommen.
Die Währungsmärkte neigen zu Übertreibungen. Vielleicht wird es noch eine Zeit lang so weitergehen, bevor der US-Dollar wieder nachgibt und sich die Stimmung für das Pfund und den Euro erneut bessert. Gerade erst hat die japanische Notenbank an den Währungsmärkten interveniert, um den Yen nach den Zinserhöhungen in den USA und Europa zu stützen. Solange man in Japan aber nicht bereit ist, die Zinsen anzuheben oder höhere Anleiherenditen zu akzeptieren, dürfte die Währung schwach bleiben.
Die Folgen dieser Wechselkursänderungen für die Märkte sind nicht leicht abzuschätzen. Zurzeit sind die Anleger defensiv. Entscheidend bleibt die nachlassende Risikobereitschaft. Irgendwann wird es dann aber wieder auf die relativen Bewertungen ankommen. Britische wie europäische Aktien sind zurzeit deutlich günstiger als amerikanische, und aufgrund der Wechselkursänderungen gilt das erst recht. Viele britische Unternehmen mit Einnahmen in US-Dollar sind schon jetzt interessante Übernahmeziele. Wenn die Renditen europäischer Wertpapiere steigen und die Währungen nachgeben, dürften die Kapitalströme irgendwann wieder positiv werden.
Aber dazu müssen die Zinserhöhungen erst aufhören. Die Fed muss eine Zinspause andeuten, sobald es Anzeichen für eine nachlassende Inflation gibt. Dann könnte der US-Dollar etwas von seinem Glanz verlieren, zumal er in den letzten Wochen wirklich stark aufgewertet hat und das für ein hohes US-Engagement der Investoren spricht.
Unwahrscheinlich sind allerdings konzertierte weltweite Notenbankmaßnahmen, um den US-Dollar zu schwächen. Ein neues Plaza-Abkommen ist nicht in Sicht. Die großen weltpolitischen Themen bleiben Russland, die amerikanisch-chinesischen Beziehungen und der Klimawandel. Für eine koordinierte Wechselkurspolitik bleibt da kaum Zeit.
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