Kommentar
10:58 Uhr, 20.10.2016

Draghis Ritt auf der Rasierklinge

Heute ist es wieder soweit. Die Mitglieder des EZB-Rates treffen sich zu ihren geldpolitischen Entscheidungen und EZB-Chef Mario Draghi wird alle Interessierten auf der anschließenden Pressekonferenz das Resümee der Beratungen erläutern. Hierbei wird er aber nicht wie einst Münchhausen auf der Kanonenkugel reiten, sondern in Anbetracht der unterschiedlichen Erwartungen der Marktteilnehmer eher auf einer Rasierklinge. Denn grundsätzlich haben die Mannen um Mario Draghi mit ihren geldpolitischen Maßnahmen den europäischen Politikern Zeit erkauft, um die notwendigen Veränderungen in deren Haushaltspolitik anzugehen. Inzwischen sind die Handlungsspielräume der Banker aber fast erschöpft, ohne dass die Politiker die Probleme gelöst haben.

Die Gesamtverschuldung steigt auch im kommenden Jahr weiter an. Für Mario Draghi bedeutet das, ein weiteres Mal als „Meister der Illusionen“ den Finanzmärkten zugleich die Angst vor einer Änderung der Geldpolitik (Tapering) zu nehmen und die Aussicht auf zusätzliche stimulierende Maßnahmen (Ausweitung QE) zu dämpfen. Es sind also heute nicht die Taten gefragt. Vielmehr wird die Wahl seiner Worte ausschlaggebend für die zukünftige Entwicklung an den Kapitalmärkten sein. Somit ist davon auszugehen, dass jedes Wort auf die Goldwaage gelegt und für hektische Kursbewegungen sorgen wird.

Das in dieser Handelswoche bedeutendste Ereignis ist allerdings nicht die einzige Notenbank-Entscheidung, welche die Kapitalmärkte in ihren Bann zieht. Vielmehr wirft die Sitzung der amerikanischen Notenbank (Fed) am 2. November, also noch vor der US-Präsidentschaftswahl, bereits ihre Schatten voraus. Zumal die Fed-Präsidentin Janet Yellen zumindest das gleiche Problem wie Mario Draghi hat: Was sage ich wie den Marktteilnehmern? Solange der bzw. die neue Präsident/-in nicht gewählt ist, wird sich an der Zinspolitik nichts ändern. Dazu wird es erst dann kommen, wenn das Risiko von Finanzmarktverwerfungen geringer geworden sein sollte – weshalb nicht vor Dezember an der Zinsschraube gedreht werden dürfte. Wie groß die Angst der Notenbanker in den USA ist, den rechten Zeitpunkt für eine Zinsanhebung zu verpassen, wird bei jedem Kommentar der Fed-Repräsentanten deutlich. Zuletzt äußerte sich sogar die Chefin in der Art, dass es unter Umständen sinnvoller sein könnte, die US-Wirtschaft eine Zeit lang auf hohen Touren laufen zu lassen und die Zinspolitik locker zu belassen. Ein Statement für eine sich abzeichnende Zinsanhebung in nächster Zeit sieht anders aus.

Fazit: „Es ist nichts so gewiss wie die Ungewissheit!“

Klaus Stopp, Head of Market Making Bonds der Baader Bank

Vorboten des Basiseffekts
Im September sind die Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahresmonat um 0,7 % gestiegen. Damit kletterte die Inflation auf den höchsten Stand seit Mai 2015. Allerdings ist die Teuerungsrate immer noch weit vom Ziel der Europäischen Zentralbank (EZB) - einem Niveau von ca. 2 % - entfernt. Aber der steigende Trend dürfte sich in den kommenden Monaten noch verstärken.

Als Hauptgrund für den Zuwachs der Inflation im September nennt das Statistische Bundesamt den Anstieg der Nettokaltmieten um 1,3 %. Dies ist zumindest indirekt auf die Geldpolitik der EZB zurückzuführen, die deutlich steigende Immobilienpreise und damit im Endeffekt höhere Mieten zur Folge hat. Dämpfend wirkt zwar momentan noch die rückläufige Preisentwicklung beim Erdöl, was sich aber in den kommenden Monaten aufgrund des nicht mehr vorhandenen Basiseffekts ändern wird. Die aktuelle Verabschiedung von negativen Renditen bei 10-jährigen Bundesanleihen ist allerdings auch der Tatsache geschuldet, dass die US-Notenbank Fed in den kommenden Monaten eine sanfte Zinswende vollziehen und den Basiszins zum ersten Mal nach Dezember 2015 erneut anheben wird. Aber nur, wenn die politischen Verhältnisse nach der US-Präsidentschaftswahl so stabil sind, dass hierdurch keine negativen Marktreaktionen zu erwarten sind.

Dass manche Marktbeobachter angesichts der Erwartung höherer Inflationsraten einen Rückzug von Investoren aus Anleihen sehen, kann aber in dieser Absolutheit nicht geteilt werden. Es stimmt zwar, dass die Renditen 10-jähriger Papiere aus Deutschland und Großbritannien zwischenzeitig auf den höchsten Stand seit dem Brexit-Votum von Ende Juni geklettert sind. Und auf Sicht von 12 Monaten scheint eine Rendite der 10-jährigen „Bunds“ in einer Range von minus 0,1 % bis plus 0,5 % möglich zu sein.

Aber insgesamt kommen die Investoren mangels Alternativen um Engagements in soliden europäischen Staats- aber auch Unternehmensanleihen gar nicht herum. Dafür sorgen schon die engen, aufsichtsrechtlichen Vorgaben etwa für Banken und Lebensversicherungen, die Investments in risikoreicheren Anleihen verbieten. Der Druck auf Versicherer wird auch bei einer allmählichen Zunahme der Inflation und einer damit verbundenen leichten Entspannung auf der Zinsseite noch lange anhalten, da die für Altverträge ausgelobten Renditen nicht mehr gegenfinanziert werden können. Aus diesem Grund müssen neue Wege gegangen werden und dies verdeutlicht u.a. die Tatsache, dass die Allianz eine finanzielle Beteiligung an einer neu gegründeten Gebrauchtwagen-Plattform beabsichtigt.

EU-Schuldensünder treten auf der Stelle
Die Schuldensünder in der Europäischen Union kommen beim Abbau ihrer Defizite nicht voran. Wie die Budgetpläne der Eurostaaten zeigen, hat in Ländern wie Frankreich, Italien, Spanien oder Portugal die Budgetsanierung keine oberste Priorität. Vielmehr gehen sie oft von unrealistischen Wachstumsannahmen aus, welche die ohnehin wenig ambitionierten Ziele zur Schuldensenkung als Wunschdenken erscheinen lassen. So sind für 2017 allenfalls geringfügige Absenkungen der Staatsverschuldungen zu erwarten. Unterm Strich aber wird der Schuldenberg aller 19 Euro-Staaten im kommenden Jahr auf mehr als 10 Bio. € anwachsen.

Mit 132,8 % weist unter den erwähnten Ländern Italien die höchste Schuldenquote gemessen am Bruttosozialprodukt auf. 2017 sollen es mit 132,6 % kaum weniger sein. Auch Frankreich tritt selbst bei optimistischer Annahme mit 96,1 % (2016) und 96,0 % (2017) regelrecht auf der Stelle. Offenbar fehlt vielfach der politische Wille, um unpopuläre aber notwendige Strukturreformen durchzusetzen.

Erst in dieser Woche hat Italiens Premierminister Matteo Renzi in Washington von US-Präsident Barack Obama Zuspruch vor dem Referendum bekommen, bei dem die Italiener im Dezember über eine Verfassungsreform abstimmen sollen. Die Reformen, die „Matteo“ einleite, seien aus wirtschaftlicher Sicht die richtigen, sagte Obama. Auch sei das anstehende Referendum zur Modernisierung der politischen Institutionen in Italien etwas, was die USA sehr unterstützen, so der US-Präsident weiter.

Am tiefsten steckt Griechenland im Schuldensumpf, das im kommenden Jahr immerhin seine Schuldenquote auf 178,8 % von 182,8 % drücken will. Indessen hält aber der griechische Zentralbankchef Giannis Stournaras eine Rückkehr seines Landes an die internationalen Finanzmärkte ohne Schuldenschnitt für unmöglich. Wenn die griechischen Staatsschulden nicht als tragfähig eingestuft würden, werde der für 2018 geplante Schritt nicht machbar sein, sagte Stournaras.

Unterm Strich haben die Länder die Zeit, die ihnen die Europäische Zentralbank (EZB) durch ihre Nullzinspolitik erkauft hat, nicht genutzt. Oft wurden weder Wirtschaft noch Sozialsysteme reformiert. Vor diesem Hintergrund hat Finanzminister Wolfgang Schäuble eine Debatte über die Zukunft der Haushaltskontrolle in der Eurozone angestoßen. So erwägt er, den Europäischen Rettungsfonds ESM stärker in die Haushaltskontrolle der EU-Staaten einzubinden. Nach dieser Vorstellung würde der ESM die Haushaltsentwürfe nicht politisch, sondern streng nach den Regeln beurteilen. Nur wenn sich die Länder an die selbst gesetzten Regeln hielten und diese auch überwacht würden, so sein Credo, könne die Währungsunion auch stabil gehalten werden.

Schäubles Vorschlag würde der EU-Kommission die Zuständigkeit für die Überwachung der Haushaltsplanungen der Eurostaaten entziehen, worauf Kommissionschef Jean-Claude Juncker nichtssagend mitteilen ließ, dass man mit Interesse alle Vorschläge verfolge, welche die Wirtschafts- und Währungsunion stärken wollten.

Brexit sorgt für Loch in EU-Haushalt
Die Auswirkungen des anvisierten Austritts von Großbritannien aus der Europäischen Union werden immer deutlicher. Nachdem der Kurs des britischen Pfunds auf Sinkflug gegangen ist, wirkt sich dies nun auch auf den Haushalt der EU aus. Da der britische Beitrag zu dem in Euro aufgestellten Haushalt in Pfund bezahlt wird, hat dies dort ein Loch von mehreren hundert Millionen Euro gerissen.

Umrechnungsbasis ist das Wechselkursverhältnis von Ende 2015. Seit der Brexit-Entscheidung der Briten im Juni hat die britische Währung gegenüber dem Euro mehr als 10 % an Wert verloren. Folglich komme in Euro nicht der volle benötigte Betrag an, sagte der für den Haushalt zuständige Berichterstatter im EU-Parlament, der SPD-Politiker Jens Geier, in Brüssel, ohne den genauen Fehlbetrag zu nennen. Der Bruttobeitrag Großbritanniens an die EU hatte zuletzt bei mehr als 14 Mrd. € gelegen.

Aber weil der EU-Haushalt kein Defizit aufweisen darf, gibt es nun drei Möglichkeiten. Entweder die Briten müssen mehr bezahlen oder die anderen Länder die Lücke füllen. Die dritte Möglichkeit wäre, den Fehlbetrag aus den Einnahmen der EU mit Strafzahlungen auszugleichen. Die Entscheidung liegt bei den Mitgliedsländern und muss vor Jahresende getroffen werden.

Indessen hat der Kreditversicherer Coface in seiner Länderbewertung Großbritannien auf "A3" herabgestuft. Als wesentlichen Grund nennt Coface die Ungewissheit der britischen Situation nach dem Brexit-Votum.

Auch Saudis zapfen den Kapitalmarkt an
Immer mehr Ölförderländer müssen sich neue Geldquellen erschließen. Sicher, der Ölpreis ist wieder etwas gestiegen, aber die Einnahmen der Vergangenheit sind noch lange nicht erreicht. Aus diesem Grund zapfen immer mehr Förderländer den Kapitalmarkt durch die Ausgabe von Bonds an. Nachdem sich jüngst Katar 9 Mrd. USD und Abu Dhabi 5 Mrd. USD am Kapitalmarkt beschafft haben, will nun auch Saudi Arabien erstmals als Emittent in Erscheinung treten und im Juli 2017 in zwei Tranchen insgesamt bis zu 15 Mrd. USD aufnehmen. Riad will mit dem Geld insbesondere die Kriege gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat" und im Jemen finanzieren. Die Ratingagentur Standard & Poor’s bewertet die Bonität von Saudi Arabien mit "A-".

Wie sehr das niedrige Ölpreisniveau den Förderstaaten zu schaffen macht, die in hohem Maße vom Ölverkauf abhängig sind, zeigt auch das Beispiel Norwegen. So hat eine Regierungskommission empfohlen, auf der Suche nach Rendite die Aktienquote des Fonds zu erhöhen. Es wird geraten die Aktienquote des Fonds, der rund 880 Mrd. USD verwaltet, von 60 % auf 70 % zu erhöhen.

Der Bericht kommt laut „Financial Times“ zu dem Schluss, eine höhere Aktienquote hätte zwar stärkere Kursschwankungen und ggfs. Kursrückgänge zur Folge, biete aber auch die Chance auf bessere Rendite. Die Risiken seien akzeptabel, schreibt die Kommission. Die Regierung in Oslo will im Frühjahr 2017 eine Entscheidung fällen.

Lauer Windzug statt Herbststurm
Oftmals wird der Herbst von Stürmen begleitet, aber davon ist aktuell am Primärmarkt für Corporate Bonds nicht viel zu spüren. Vielmehr wird die Emissionstätigkeit der Unternehmen momentan eher als lauer Windzug empfunden.

Sicherlich auch deshalb schaffte es ein Neuling am Primärmarkt, diesen Moment für sich zu nutzen und das Interesse der Investoren auf sich zu lenken. Segro European Logistics debütierte mit der Begebung einer 7-jährigen Anleihe (A1875H) im Volumen von 500 Mio. €. Der Investor erhält eine jährliche Verzinsung von 1,25 % bis zur Fälligkeit am 25.10.2023. Der Ausgabepreis wurde mit 99,568 % fixiert (Mid Swap +120 bps). In den Anleihebedingungen wurde ein optionales Kündigungsrecht (Make-Whole-Option) sowie eine Mindeststückelung von 100.000 € festgeschrieben. Dass das Orderbuch dieser Anleihe sechsfach überzeichnet war, kann durchaus als ein Indiz für die Auswirkungen der derzeitigen EZB Geldpolitik gelten. Denn alle Investoren leiden unter dem niedrigen Zinsniveau und suchen nach Anlagealternativen, die zumindest eine positive Rendite abwerfen.

Dem Beispiel Segro´s folgend fand auch das im Logistiksektor tätige französische Unternehmen Sanef SA den Weg an den Markt und begab erfolgreich eine Anleihe (A187RF) im Gesamtvolumen von 300 Mio. €. Jährlich werden dem Anleger Zinsen in Höhe von 0,95 % bis zur Endfälligkeit am 19.10.2028 bezahlt. Der Emissionspreis lag bei 98,611 %, was einem Spread von +48 bps über Mid Swap entsprach. Sanef entschied sich ebenfalls für die Mindestanlagesumme von 100.000 € und die Festschreibung eines optionalen Kündigungsrechts zu Gunsten des Emittenten (Make-Whole-Option).


MARKTDATEN AKTUELL

Talfahrt vorerst gestoppt
Wer schon einmal mit dem Auto durch die Wüste gefahren ist, weiß wie sich Rentenhändler momentan oftmals fühlen. Mit vermindertem Reifendruck versucht man sich fortzubewegen, doch manchmal ist der Untergrund nicht griffig genug. Zumindest was die Kursentwicklung des Euro-Bund-Future angeht, scheint vorübergehend das Abrutschen gestoppt worden zu sein. Nach neun schwächeren Handelstagen - ausgehend vom Hoch bei 166,36 % (30. September) - mit zwischenzeitlich technischen Gegenbewegungen und dem Ausbilden des Tiefs bei 162,81 % (17. Oktober) wurde am gestrigen Handelstag sogar die Marke von 164 % wieder in Angriff genommen.

Hierbei handelt es sich nicht nur um eine psychologische Hürde, sondern auch um eine Kurskorrekturlinie nach Fibonacci. Sollte dieser Bereich nicht nachhaltig überwunden werden, so ist ein erneuter Test des Tiefs bei 162,81 % möglich. Ob man nach der heutigen Pressekonferenz die zukünftige Marktentwicklung besser prognostizieren kann, bleibt abzuwarten. Zu groß sind die Unsicherheiten rund um den Euro-Staatenverbund, als dass man langfristig planen könnte. Eventuell wird es in den kommenden 12 Monaten fünf Neuwahlen in Europa geben, gepaart mit US-Wahlen, einem Italien-Referendum, Brexit-Verhandlungen und diverse Notenbanksitzungen. All das wird sicherlich Auswirkungen auf das Anleger-Verhalten haben. Die Zeiten bleiben also spannend!

Aktuell notiert das Rentenbarometer bei 163,82 %.

Bisher kein „Goldener Herbst“ für den Euro
Der Oktober ist bislang für die europäische Gemeinschaftswährung wahrlich kein guter Monat und ein Auftakt für einen „Goldenen Herbst“ ist nicht in Sicht. So zeichnet sich der Euro momentan immer wieder durch längere Schwächeperioden aus. Notierte die Einheitswährung zu Monatsbeginn noch bei ca. 1,1250 USD, so handelte er zuletzt gegenüber dem Greenback zeitweise bei Kursen von 1,0952 USD. Dies entspricht dem tiefsten Stand seit dem 25. Juli 2016 (1,0952 USD), der heute nochmals getestet wurde.

In Erwartung des heutigen Highlights bewegt sich das Devisenpaar Euro/Dollar in einer relativ engen Bandbreite zwischen 1,0952 USD und 1,1026 USD. Beim September-Treffen der Währungshüter konnte der Euro im Anschluss an die EZB-Pressekonferenz deutlich zulegen und stieg seinerzeit bis auf 1,1327 USD. Aktuell handelt der Eurokurs mit 1,0975 USD deutlich tiefer als zum damaligen Zeitpunkt.

Der zuletzt durchaus als schwach zu bezeichnende Euro verliert auf breiter Front auch gegenüber anderen Währungen. So fiel die Einheitswährung zum kanadischen Dollar auf ein neues 4-Monats-Tief bei 1,42645 CAD und auch der brasilianische Real konnte zulegen. Der Euro handelt aktuell auf seinem Jahrestief bei 3,475 BRL.

In diesem Zusammenhang waren verstärkt Handelsaktivitäten in Bonds auf brasilianischen Real zu beobachten. Darüber hinaus standen Fremdwährungsanleihen auf US-Dollar, mexikanische Peso sowie russische Rubel im Fokus der Privatanleger.

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