Kommentar
11:13 Uhr, 19.03.2008

Divergenzen oder wer hat Recht?

Die derzeitige Entwicklung an den Aktienmärkten ruft bei manchen Betrachtern großes Erstaunen hervor. Die negativen Erwartungen aus makroökonomischer Sicht stehen in Divergenz zu den doch soliden Unternehmensmeldungen und Gewinnerwartungen für das laufende Jahr. Nicht nur, dass Europa seit Jahresanfang wesentlich schlechter performt als die amerikanischen Märkte, auch die Gewinnrevisionen fallen in Europa deutlich negativer aus. Stehen die USA nicht vor einer Rezession, während Europa noch weiter vom guten Export und seinem großen Binnenmarkt profitiert?

Beim aktuell erreichten Kursniveau preist der Aktienmarkt dramatische Gewinneinbrüche, ja Verluste für die Unternehmen ein. Dies wird im Jahr 2008 auf einige Finanzwerte zutreffen, steht aber im eklatanten Widerspruch zu den Prognosen der Analysten, die im laufenden Jahr mit einem durchschnittlichen Anstieg der Gewinne um 8 bis 9 Prozent rechnen.

Gemäß der alten Börsenweisheit "Der Markt hat immer recht" ist das gegenwärtig gespielte Szenario das einer weltweiten, tiefen und dauerhaften Konjunkturabschwächung, die durch fallende Immobilienpreise, Inflation, eine hohe Verbraucherverschuldung und die Krise der Finanzinstitute noch verschärft wird.

Also trübe Aussichten für renditehungrige Anleger? Nun, es gibt auch Lichtblicke. Die Bewertungen sind alles andere als übertrieben hoch, und die Erfahrung lehrt, dass bei zu viel Pessimismus der Boden häufig schon erreicht ist. Die Globalisierung mit den nun größeren Binnenmärkten der sich entwickelnden Länder wie China und Indien wird helfen und die globale Konjunktur stützen. Auch sollte die nunmehr expansive Politik der Notenbanken ausgleichend wirken.

Dennoch ist weiter Vorsicht angebracht. Die Lösung der akuten Probleme in den USA - der hohen Verbraucherverschuldung und der Vertrauenskrise durch immer neue Abschreibungen der Finanzinstitute - wird längere Zeit in Anspruch nehmen. Traditionell können Schulden nur durch den Verkauf von Vermögenswerten - was angesichts des Verfalls der Immobilienpreise schwierig ist - oder durch stetiges, langfristiges Abbezahlen getilgt werden.

Gleiches gilt für die Bilanzen der Banken. Durch Staatsfonds finanzierte Kapitalerhöhungen werden sicher helfen, aber der unerwartete Zusammenbruch der Refinanzierungsmärkte (Stichwort: Verbriefung) stellt die zukünftige Tragfähigkeit so manchen Geschäftsmodells in Frage.

In der Rückschau werden wir sehen, ob der Markt derzeit nach unten übertreibt oder die aktuellen Prognosen für die Unternehmensgewinne zu optimistisch waren.

Die Anleger werden auch für die kommenden Quartale Geduld und gute Nerven benötigen.

Quelle: INVESCO

INVESCO zählt als Teil der AMVESCAP Gruppe zu den führenden Asset Managern weltweit. Zusammen mit den Schwesterunternehmen verwaltet INVESCO weltweit über 490 Milliarden Euro (Stand: 31.5.2007). Über 5.000 Mitarbeiter, darunter rund 500 Investmentspezialisten, sind in 19 Ländern im Einsatz.

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Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

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