Kommentar
13:00 Uhr, 16.06.2022

Die Zinsen sind immer noch niedrig, wieso sind sie so ein großes Problem?

In den USA war der Leitzins vor nicht einmal drei Jahren höher als heute. Trotzdem ist der Markt in heller Aufregung. Wieso eigentlich?

Die USA sind in der Zinswende etwas weiter als die Eurozone. Dennoch gilt für beide Regionen, dass die Zinsen immer noch sehr tief sind. In den USA stand der Leitzins zuletzt bei knapp einem Prozent und wurde am Mittwoch wohl auf die Bandbreite 1,5-1,75 % angehoben. Das ist einen Prozentpunkt tiefer als Mitte 2019.

In der Eurozone liegen die Zinsen immer noch auf Rekordtief. Der Einlagensatz ist tief im negativen Bereich und wird wohl erst im September wieder über die Marke von 0 % steigen. Man kann also nicht gerade von historisch hohen Zinsen sprechen. Die von der Notenbank festgelegten Zinsen (kurzfristige Zinsen) sind jedoch nur ein Aspekt.

Viele Kreditzinsen orientieren sich an den Marktzinsen, also den Renditen von Staatsanleihen. Diese Renditen sind bereits deutlicher gestiegen, doch auch hier gilt, dass das absolute Niveau im historischen Vergleich noch niedrig ist (Grafik 1). Die deutsche Bundesanleihe mit 10 Jahren Laufzeit rentiert bei 1,6 %. In den USA liegt der Wert bei 3,2 % (Stand Dienstag).


In den USA muss man nicht weit zurückgehen, um ähnliche Renditen zu finden. In Deutschland muss man immerhin ins Jahr 2014 zurückblicken. Dennoch erscheint die Reaktion des Finanzmarktes überzogen. Vor der Finanzkrise 2008 waren Zinsen und Renditen im Bereich von 3 % tief. Dass heute Panik herrscht, wenn die Rendite bei der Hälfte liegt, erscheint unangemessen.

Zwei Aspekte werden bei dieser Betrachtung gerne vergessen. Neben dem absoluten Zinsniveau zählt auch die Geschwindigkeit, mit der sich der Zins verändert. Bei deutschen Anleihen gab es bisher nur einen Renditeanstieg, der schneller war. Das war Anfang der 80er Jahre (Grafik 2).


In den USA hat der jüngste Anstieg keinen so großen Seltenheitswert, aber auch für die USA gilt, dass der Renditeanstieg schnell erfolgt ist (Grafik 3). Je schneller die Renditen ansteigen, desto größer ist die Bremswirkung für die Wirtschaft. Der Zins für Immobilienkredite hat sich in vielen Ländern verdoppelt. Das kann sich nicht jeder leisten, zumal die Preise hoch sind.

Betragen monatliche Zinszahlung plötzlich 1.000 Euro pro Monat anstatt 500, ist die Bremswirkung groß. Löhne können nicht so schnell mitziehen. Man kann bei einer Zinsverdopplung innerhalb eines halben Jahres auch nicht große Summen ansparen, um z.B. mehr Eigenkapital für den Hauskauf aufzubringen.

Verdoppelt sich der Zins über einen Zeitraum von fünf Jahren, sind in der Zwischenzeit Löhne und Erspartes gestiegen. Das ist nur ein Beispiel, wie ein rasanter Zinsanstieg bremst. Die Geschwindigkeit spielt eine große Rolle. Haushalte und Unternehmen haben bei einem sprunghaften Anstieg keine Anpassungschance.

Auch das absolute Zinsniveau heute ist nicht mit dem vor der Finanzkrise oder den 70er Jahren vergleichbar. In den USA liegt die Staatsverschuldung heute beim Dreifachen der Verschuldung vor 50 Jahren. Einen ähnlichen Trend zeigen viele andere Länder (Grafik 4). Vereinfacht kann man sagen, dass eine Rendite von Staatsanleihen in der Höhe von 10 % im Jahr 1980 einer heutigen Rendite von 3 % entspricht. Obwohl das Zinsniveau niedrig erscheint, ist es hoch. Die Sorgen des Finanzmarktes sind nicht überzogen.

Clemens Schmale


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  • Marc1
    Marc1

    Immer wieder interessant Ihre Artikel, Analysen und Meinung. Können Sie nicht mal die Frage beantworten, warum Gold (Silber) nicht steigt? Sie haben früher schon mal gesagt, dass es kein Inflation-Hedge ist, aber dennoch möchte ich die Frage nochmals stellen. Vielen Dank. Marcus Tralau

    17:33 Uhr, 19.06. 2022

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Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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