Kommentar
14:14 Uhr, 08.09.2023

Die USA sind der EU um Jahre voraus

Auch wenn sich die EU und die USA in einer Sache einig sind, haben die USA einen Vorsprung von mehreren Jahren. Für Europa ist das kritisch.

Die USA und China waren wohl noch nie engste Freunde. Jetzt sind sie Konkurrenten und gehen auf Konfrontation. Wer die Schuld daran trägt, hängt von der Perspektive ab. Nach der Aufnahme Chinas in die Welthandelsorganisation erhoffte man sich eine zunehmende Öffnung, Liberalisierung und faire Behandlung ausländischer Firmen. Die Hoffnungen erfüllten sich nicht. Stattdessen übernahmen chinesische Unternehmen westliche Technologie und wurden zu Konkurrenten.

Zusammen mit niedrigen Löhnen wurde China zur Werkbank der Welt. Erst galt dies für die Masse, dann immer mehr auch für Technologieprodukte. Die USA empfanden dies als einseitige Beziehung. Da China seit einigen Jahren keinen Hehl daraus macht, sich mindestens neben den USA in der Welt platzieren zu wollen, wird der Technologietransfer erschwert. Man will China in seinem Bestreben nicht auch noch den roten Teppich ausrollen.

Aus der Perspektive Chinas sieht die Sache anders aus. Es durchbrach den oftmals beobachteten Prozess, bei dem westliche Firmen Gewinne in Ländern abschöpften, ohne etwas zur Entwicklung des Landes beizutragen. Diese Einseitigkeit durchbrach China. Wenn westliche Unternehmen Milliardengewinne erwirtschaften, will man wenigstens wirtschaftlich, technologisch und gesellschaftlich davon profitieren.

Beide Perspektiven sind nachvollziehbar. Das Resultat ist nun aber eines, welches vermutlich weder die USA noch China so erwartet hatten. Die USA haben bereits vor Jahren die Entkoppelung von China begonnen. Die Importe aus China sind heute nicht höher als etwa 2015. Die Exporte der USA nach China erreichen wegen des Rückgangs der Importe den höchsten Stand seit den frühen 90er Jahren (Grafik 1).

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Im Handel zeigt sich eine Entkoppelung. Die EU ist hier noch nicht so weit. Die Importe sind lediglich auf den Stand von 2022 zurückgegangen. Der Anteil der Exporte ist so niedrig wie etwa 2009 (Grafik 2). Während die USA auf einen besseren Ausgleich zusteuern, hat sich das Ungleichgewicht der EU im Handel mit China verstärkt. China hat einen Anteil an allen Importen der EU, der bei 16 % liegt. In den USA sind es 12 %.

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Der Handel ist das eine, Investitionen das andere. US-Unternehmen investieren noch in China, allerdings weniger. Inzwischen wird China zum Teil als uninvestierbar bezeichnet. Die Investitionen dürften zukünftig stark sinken. China hat bereits vor Jahren begonnen, weniger in den USA zu investieren. Die Investitionssumme geht sogar zurück. Man verkauft Anlagevermögen in den USA (Grafik 3).

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Der Investitionsfluss zwischen den beiden Ländern hat nur einen geringen Anteil an den Gesamtinvestitionen (Grafik 4). EU-Unternehmen haben in China mehr investiert als US-Firmen. Auch China investiert seit Jahren lieber in der EU als in den USA, auch wenn das Tempo auch hier abnimmt (Grafik 5).

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Bei der Verringerung der Abhängigkeit im Handel sind die USA weiter als die EU. Dies gilt bei Direktinvestitionen sogar noch mehr. Hier hat die Entflechtung bereits begonnen. China macht dabei fleißig mit. Durch Konfrontation haben die USA und China mit zunehmender Entflechtung immer weniger zu verlieren. Der Prozess kann sich beschleunigen. Da sich die EU am Ende wohl auf die Seite der USA stellt, ist die höhere Abhängigkeit kritisch. Sind die EU und China noch stark verflechtet und kommt es zu einer abrupten Störung, sind die USA weniger stark betroffen als die EU.

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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