Kommentar
13:00 Uhr, 08.01.2015

Die optische Täuschung bei niedrigen Zinsen

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  • DAX
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  • Es wird heute viel über die niedrigen Zinsen geklagt. Man muss aber berücksichtigen, dass auch die Geldentwertung stark zurückgegangen ist.
  • Man sollte die Schuld an den niedrigen Zinsen nicht nur den Zentralbanken in die Schuhe schieben.
  • Für den Sparer ist entscheidend, dass die Realzinsen wieder größer werden. Das können die Zentralbanken nicht bewirken.

Das größte Ärgernis der Anleger sind heute die niedri­gen Zinsen. Für Spareinlagen gibt es inzwischen fast gar nichts mehr. Für Bundesanleihen mit einer Lauf-
zeit von zehn Jahren erhält der Investor gerade einmal 0,5 % pro Jahr. Unter solchen Umständen ist es für den Normalbürger fast unmöglich, ausreichend für das Alter vorzusorgen, geschweige denn sich im Laufe seines Lebens ein kleines Vermögen aufzubauen. Selbst kon­servative Anleger werden in höhere Risiken gedrängt, die sie gar nicht haben wollen.

Der Wunsch ist daher groß, wieder zu vernünftigen Zin­sen für langfristige Anlagen zu kommen. Die meisten denken hier an die Zentralbanken. Sie sollten wieder auf einen vernünftigen Kurs zurückkehren. Das ist aber nicht richtig.

Das liegt an einem Phänomen, das häufig übersehen wird: In den letzten drei, vier Jahren sind nicht nur die Zinsen stark gesunken. Es ist auch die Preissteigerung zurückgegangen. Real, das heißt nach Abzug der Infla­tion, hat sich die Situation des Sparers also gar nicht verschlechtert.

Schauen Sie sich die Grafik an. Mitte 2011 lagen die Renditen öffentlicher Anleihen in Deutschland bei über 2 %. Das war noch akzeptabel. Das Problem da­mals war, dass die Preissteigerung ebenfalls 2 % ausmachte. Niemand beschwerte sich in jener Zeit über die niedri­gen Zinsen. Die Menschen waren viel­mehr besorgt über die hohe Geldentwertung. Zieht man den Geldschleier ab, war die Situation nicht besser als heute.

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Man muss sich die Situation mit den niedrigen Zinsen also genau anschauen. Vieles, was gerne als Betrug am Anleger denunziert wird, ist in Wahrheit nur eine opti­sche Täuschung. Der Ökonom spricht von Geldillusion. Mir persönlich sind niedrigere Zinsen ohne oder mit nur geringer Geldentwertung lieber als höhere Zinsen mit mehr Inflation.

Wenn man fragt, was die Zentralbanken tun können, um die Situation zu verbessern, so muss man zwischen zwei Fällen unterscheiden. Das eine sind Zinserhöhun­gen im Zusammenhang mit wieder zunehmender Infla­tion. Hier ist die Situation klar. In den Vereinigten Staa­ten ist damit schon in diesem Jahr zu rechnen. Die ame­rikanische Notenbank hat angekündigt, dass sie die Leitzinsen anheben wird. In Europa wird sich das wegen der Reform- und Konsolidierungsnotwendigkeiten in einigen Ländern noch länger hinziehen. Es ist aber absehbar, dass die EZB ihre Politik umstellen wird, sobald sich die Inflationsrate wieder in Richtung auf das Ziel von "nahe aber unter 2 %" bewegt. Optisch sieht das für den Spa­rer dann besser aus. Tatsächlich wird sich aber nicht viel verändern, eben weil auch die Geldentwertung höher ist.

Der zweite Fall sind Zinserhöhungen, bei denen sich die Situation des Sparers auch real verbessert. Er ist nicht so leicht zu beantworten. Hier geht es um die Realzin­sen, also die Differenz zwischen Nominalrenditen und Geldentwertung. Die Grafik zeigt, dass diese Differenz durchaus höher sein kann als heute. In den 80er und 90er Jahren lag sie im Schnitt bei 4,5 % p. a. (es gab sogar Zeiten, in denen sie auf 6 % bis 7 % anstieg). In der ersten Dekade des neuen Jahrhunderts betrug sie im Schnitt 2,5 %.

Solche Verhältnisse sind meilenweit von den heutigen Gegebenheiten entfernt. Seit der Finanzkrise 2008 be­trug der Realzins in Deutschland im Schnitt nur noch rund 1 % p. a. Heute sind es kaum mehr als Null. Das ist kein Zufall. Nach der ökonomischen Theorie liegt der Realzins auf lange Sicht immer in etwa auf der Höhe des realen Wirtschaftswachstums. In den 80er und 90er Jahren wuchs die deutsche Wirtschaft zeitweise um 4 % bis 5 % pro Jahr. Dazu passte der damalige Realzins. Inzwischen ist die langfristig erzielbare Wachstumsrate auf rund 1 % zurückgefallen. Da kann natürlich auch der Realzins nicht mehr so hoch sein.

Wer höhere Zinsen haben will, sollte in diesem Fall nicht auf die Notenbanken schielen. Entscheidend für Besse­rung der Situation der Sparer ist, dass sich die realen Verhältnisse bessern. Das Wirtschaftswachstum muss steigen. Das aber ist sehr schwer zu erreichen. Dage­gen sprechen nicht nur die objektiven Verhältnisse, zum Beispiel die Alterung der Bevölkerung oder der Rück­gang der Investitionen. Hinzu kommt, dass die Wirt­schaftspolitik der Verteilung der Wirtschaftsleistung heu­te eine größere Bedeutung zumisst als der Schaffung des Sozialprodukts. Auch in der Öffentlichkeit wird das Ziel eines höheren Wachstums zugunsten von Nachhal­tigkeitszielen immer häufiger relativiert. Das kann man machen. Man muss sich aber der Konsequenzen für die Sparer und die Zinsen bewusst sein.

Ohne mehr Wirtschaftswachstum kann sich die Situation des Sparers zwar optisch verbessern, indem die Nomi­nalzinsen steigen. Eine wirkliche Besserung wird es nur geben, wenn es wieder mehr Wachstum gibt. Das kann die Zentralbank aber nicht bewirken.

Für den Anleger

Machen Sie sich keine Illusionen. Die Zinsen werden in Europa am kurzen und am langen Ende des Marktes noch eine Weile niedrig bleiben. Wenn Sie dann nach oben gehen, dann wird dies in erster Linie im Zusam­menhang mit steigenden Preisen passieren. Das wird Ihnen aber nicht viel helfen. Wenn Sie real, also unter Abzug der Inflation, höhere Renditen haben wollen, kommen Sie – wenn sich das Wirtschaftswachstum nicht erhöht – nicht darum herum, auch höhere Risiken in Kauf zu nehmen. Das wird also ein wichtiges Argu­ment für Aktien bleiben.

Anmerkungen oder Anregungen? Ich freue mich auf den Dialog mit Ihnen: martin.huefner@assenagon.com.
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