Kommentar
10:05 Uhr, 12.08.2015

Die neue Rolle der Notenbanken

An Kreativität hat es Notenbanken in den vergangenen Jahren nicht gemangelt. Für die Zukunft reicht das allerdings nicht mehr. Notenbanken müssen noch einen Schritt weiter gehen.

Lender of Last Resort

Notenbanken haben etwas ins Rollen gebracht, von dem sie nicht wissen, wie sie es wieder stoppen sollen. Die Rede ist dabei nicht nur von Anleihenkaufprogrammen, sondern von einem viel größeren Problem. Angefangen hat es mit der Finanzkrise 2008 als Notenbanken weltweit als „Lender of Last Resort“ auftraten. Sie waren das letzte Glied in der Kette, welches dem Finanzsystem Rückendeckung geben konnte.

Die Welt befand sich in einer Vertrauenskrise, die bis zu einem gewissen Grad überhaupt erst durch die Notenbanken hervorgerufen wurde. Konkret entschieden sich die US Notenbank und die US Regierung dazu die Investmentbank Lehman Brothers fallen zu lassen. Das löste die größte Vertrauenskrise seit vielen Jahrzehnten aus.
Das Finanzsystem beruht letztlich auf Vertrauen. Privatpersonen und Unternehmen müssen Banken vertrauen und Banken müssen einander vertrauen. Gibt es dieses Vertrauen nicht, dann bricht das System zusammen. Der gesamte Geldfluss kommt ins Stocken. Innerhalb kürzester Zeit kann das zum Zusammenbruch einzelner Banken oder des ganzen Finanzsystems führen.

In der Finanzkrise geriet der Kreislauf ins Stocken. Das ganze eskalierte in dem Moment, indem Lehman Brothers fallen gelassen wurde. Banken bekamen Zweifel an der Qualität der Assets, die Lehman als Sicherheit für Refinanzierungsgeschäfte anbot. Diese Assets waren vor allem Kreditmarktpapiere, deren Wert nicht eindeutig nachvollziehbar war.

Banken hörten auf diese Assets als Sicherheiten zu akzeptieren. Lehman konnte sich daher nicht mehr ausreichend refinanzieren. Innerhalb weniger Tage riss der stockende Interbankenmarkt ein riesiges Liquiditätsloch in Lehmans Bilanz. Wenige Tage vor der Insolvenz hatte Lehman über 40 Mrd. USD an frei verfügbaren Mitteln. Diese reichten nicht einmal eine Woche, um die fehlenden Refinanzierungsmöglichkeiten auszugleichen.

Das Problem ist letztlich immer das gleiche: hören Akteure auf dem Finanzmarkt auf, einander zu vertrauen, dann bricht das System zusammen. Es bricht zusammen, weil Banken mit hohen Hebeln arbeiten. Vor dem Bankrott von Lehman Brothers hatten die größten US Investmentbanken Hebel von über 25. Lehman hatte einen Hebel von 30, Bear Stearns von über 33 (Bear Stearns musste bereits Anfang 2008 notverkauft werden), Merrill Lynch von 31, Morgan Stanely von 32 und Goldman Sachs von 25.

Der Hebel von 30 bedeutete für Lehman Brothers, dass sie nur ein dreißigstel des Gegenwertes ihrer Assets in Eigenkapital hielten. 100 Mrd. an Assets standen 3,33 Mrd. an Eigenkapital gegenüber. Eine Reduktion des Wertes der Assets um lediglich 3,33% hätte das Eigenkapitalpolster komplett aufgebraucht.

Im Nachhinein ist vollkommen klar, dass eine so geringe Eigenkapitalquote brandgefährlich ist. Ein Asset kann schnell über 3% an Wert verlieren. Das erkannten auch die Refinanzierungspartner von Lehman und hörten auf der Investmentbank Geld zu leihen. Sie befürchteten, dass die Assets, die Lehman als Sicherheiten bot, zu wenig wert waren, um im Ernstfall die Verluste abzudecken.

Solche Vertrauenskrisen lassen sich nicht vermeiden, sie lassen sich nur begrenzen. 2008 und 2009 wurde versucht das Vertrauen wieder herzustellen, indem die Notenbanken einsprangen. Die US Notenbank realisierte nach Lehmans Bankrott relativ schnell, dass das Finanzsystem ohne ihre Hilfe innerhalb kurzer Zeit der Vergangenheit angehören würde. Die Notenbank ersetzte letztlich einen großen Teil des Interbankenmarktes. Sie war die letzte Instanz, die dem System die notwendige Liquidität bereitstellte.

Market Maker of Last Resort

Die Krise hat zwei Problemfelder aufgedeckt. Das erste Problem war die Liquiditätskrise, die entstand, als sich Banken untereinander kein Geld mehr liehen, weil sie sich nicht mehr vertrauten. Das zweite Problem war ein Kapitalproblem. Wenn Banken einen zu hohen Hebel haben und Assets an Wert verlieren, dann reicht eine Eigenkapitalquote von 3 oder 5% einfach nicht aus, um die Verluste abzudecken.
Um beide Probleme anzupacken wurde die Regulierung verschärft. Die Regulierung soll verhindern, dass das Finanzsystem erneut in eine Vertrauenskrise gerät und dass der Steuerzahler Kapital bereitstellen muss. Um beides zu erreichen müssen Banken mehr Eigenkapital halten. Dabei haben unterschiedliche Assetklassen unterschiedlich hohe Anforderungen. Risikoreichere Geschäfte müssen mit mehr Eigenkapital unterlegt werden.

Die Regulierung hat dazu geführt, dass Banken viele Geschäftszweige drastisch reduziert haben. Anstatt Geschäftszweige zu verkleinern hätten Banken auch einfach mehr Kapital unterlegen können, doch das macht in den meisten Fällen keinen Sinn. Banken haben nur eine begrenzte Mengen an Kapital zur Verfügung und müssen es dort einsetzen, wo es die höchste Rendite bringt. Je mehr Eigenkapital für einen Geschäftszweig vorgehalten werden muss, desto höher muss die Rendite letztlich sein, damit die Eigenkapitalrendite stimmt.

Dazu ein Beispiel: vor der Krise hielt eine Bank im Handelsgeschäft 1 Mrd. an Eigenkapital und erwirtschaftete 100 Mio. Gewinn in diesem Bereich. Die Eigenkapitalrendite lag bei 10%. Jetzt, nach der Krise unter der neuen Regulation, muss die Bank für das gleiche Geschäft 2 Mrd. an Kapital vorhalten. Die Eigenkapitalrendite liegt nun nur noch bei 5%. Andere Geschäftszweige verdienen nun aber z.B. 7%. Um die Gesamtrendite zu steigern macht es für die Bank Sinn das Handelsgeschäft auf ein Minimum zu verkleinern. Die neuen Eigenkapitalvorschriften machen es für Banken unattraktiv sich in risikoreichen Geschäftsfeldern zu betätigen. Dadurch sollen sie für zukünftige Krisen besser gewappnet sein.

Die Risiken, die vor der Krise in den Bankbilanzen lagen sind nicht verschwunden. Die Risiken gibt es immer noch. Sie liegen nur nicht mehr bei den Banken, sondern bei anderen Unternehmen, Investoren, Pensionsfonds und Privatanlegern. Das Problem wird häufig als Liquiditätsproblem zusammengefasst. Darüber hatte ich bereits berichtet (go.guidants.com/start/?strm1=39455 und go.guidants.com/start/?strm1=36536). Um es kurz zusammenzufassen: kommt es zur nächsten Krise und wollen Fonds und Anleger innerhalb kurzer Zeit ihre Assets verkaufen, dann fehlt die Liquidität, um faire Preise zu garantieren. Wenn Liquidität knapp ist, dann kommt es zu größeren Verwerfungen.

Wie so etwas aussehen kann zeigte die Aufgabe des EUR/CHF Mindestkurses Anfang des Jahres. Die Aufhebung des Mindestkurses führte zu großem Chaos. Weil gleichzeitig so viele Positionen liquidiert wurden gab es für relativ lange Zeit keine Kurse. Anleger konnten ihre Positionen nicht schließen. Erst Minuten später, teils auch erst eine Stunde später, wurden Positionen abgewickelt – und zwar zu absurden Preisen.

Eine solche Verwerfung kann mehrere Assetklassen gleichzeitig treffen, wenn es zur nächsten Krise kommt. Banken stellten früher als Market Maker Liquidität zur Verfügung. Anleger konnten ihre Assets immerhin verkaufen. In Zukunft wird das deutlich schwieriger.

Wer hier vor allem an Aktien und Anleihen denkt blendet einen Großteil des Marktes aus. Banken hatten vor der Krise große Kreditmarktportfolios (CDOs, MBOs, MBS usw.), die selbst in normalen Zeiten relativ illiquide Assets darstellten. Diese Assets liegen seit Jahren immer weniger bei Banken, sondern bei Investoren, Unternehmen, Fonds und Privatanlegern. Brauchen diese im Krisenfall Liquidität, dann wird es sehr, sehr schwer, diese auch zu bekommen.

Seit der Krise übernehmen z.B. Hedge Fonds Risiken, die früher bei Banken lagen. Hedge Fonds müssen sich ebenso wie Banken refinanzieren. Im Krisenfall haben sie nun aber keine Zentralbank zur Verfügung, die ihnen Liquidität bereitstellt. Brauchen diese Fonds Liquidität oder müssen sich refinanzieren (geschieht über Banken und andere Fonds), aber haben die Gegenparteien kein Vertrauen, dann kommt es reihenweise zu Insolvenzen.

Die Risiken sind eben nicht verschwunden, sondern liegen nun an anderen Orten. Das macht zukünftige Krisen deutlich schwieriger zu kontrollieren. Die Notenbanken haben klare Prozesse wie sie Banken helfen können. Wenn es darum geht Privatinvestoren aus Schieflagen zu befreien, dann fehlen die Möglichkeiten – noch.
Das Problem der Investoren und Hedge Fonds ist, dass sie im Krisenfall ihre Assets nicht verkaufen können. Entweder nimmt ihnen die Assets keiner ab oder sie werden nicht mehr als Sicherheiten für Refinanzierungen akzeptiert. Das ist genau wie 2008 bei Lehman Brothers und die Folgen wären ähnlich.

Um ein Desaster zu verhindern müsste die Notenbank eine Möglichkeit haben diesen Markt zu stabilisieren. Aber wie soll sie es tun? – Der Internationale Währungsfonds und die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIS) machen vorsichtige Lösungsvorschläge. Eines der größten Probleme von illiquiden Assets ist, dass keiner weiß, was sie wert sind, wenn kein Marktpreis gebildet werden kann. Ohne Preis lassen sich diese Assets nicht beurteilen und können kaum als Sicherheiten dienen. Das Problem kann nur behoben werden, wenn es einen Market Maker gibt, der für sonst illiquide Assets jederzeit An- und Verkaufspreise stellt und eben auch Liquidität bereitstellt, indem die Assets ge- und verkauft werden.

Unser Finanzsystem ist durch neue Regulierung nur auf den ersten Blick stabiler geworden. Tatsächlich kann man sagen, dass die nächste Krise schlimmer wird, weil die Risiken momentan nicht durch die Notenbanken abgefedert werden können. Lender of Last Resort ist schön und gut, hilft aber dem ganzen Finanzsystem jenseits der Banken wenig und genau dort liegen ja die Risiken.

Das Problem ist bekannt und es wird an Lösungsvorschlägen gearbeitet. Einer dieser Vorschläge ist, dass Notenbanken im Krisenfall als Market Maker of Last Resort für die risikoreichen Assets einspringen sollen. Das klingt einfach wie bestechend. Trotzdem ist auch das keine Lösung. Springen Notenbanken hier ein, indem sie im Krisenfall intervenieren, dann geben sie die falschen Anreize. Wenn ein Investor jederzeit seine illiquiden und risikoreichen Assets an die Notenbank verkaufen kann, wieso sollte er dann überhaupt noch Risiken managen und begrenzen?

Notenbanken als Market Maker of Last Resort fördert vor allem eines: noch mehr Risiko und entsprechende Fehlbewertung von Assets.

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6 Kommentare

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  • Cristian Struy
    Cristian Struy

    wie immer schreiben sie top Artikel, die mit fundierten Gedanken hinterlegt, trader wie mich, also die vorwiegend chart-, trend-, und positrading orientierte Menschen wie mich zwingen, immer mal wieder über den trading- Horizont hinaus zu schauen. Danke dafür!

    01:24 Uhr, 16.08. 2015
  • Viktor Koß
    Viktor Koß

    @ Artikel:

    "Das Problem ist letztlich immer das gleiche: hören Akteure auf dem Finanzmarkt auf, einander zu vertrauen, dann bricht das System zusammen."

    Nicht nur das. Es bilden sich schwarze Löcher, Geldfresser - Geldvernichter, die rückwirkend, sehe Griechenland, aber auch bei einer Reihe anderer Fälle, ihre korrupte Gewinne und legal erworbene kriminelle Gewinne auf das eine oder andere Konto weiter übertragen. Das Spiel ist aus und wurde von vielen vor der Lehman-Pleite erkannt. Das Grundprinzip ist das gleiche, man kann das ganze System beliebig komplizieren und verschleiern, irgendwann zeigen die gleichen Symptohmen die gleiche Wirkung.

    11:47 Uhr, 12.08. 2015
  • 1 Antwort anzeigen
  • 2020
    2020

    Sehr geehrter Herr Schmale. Ein grosses Daumen hoch für Ihre Beiträge. Spannend, gut und für einen grossen Blick auf das Ganze sehr hilfreich. Weiter so :)

    10:40 Uhr, 12.08. 2015

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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