Kommentar
22:19 Uhr, 05.08.2009

Die Legende von der „Talsohle“

Politiker und Medien werden nicht müde, uns zu erklären, dass das Schlimmste der Krise bald überstanden sei. Die Wirtschaft hätte die Talsohle erreicht. Es ginge bald wieder aufwärts. Bevor wir uns einige Daten anschauen, möchte ich Sie daran erinnern, dass der Begriff Wirtschaft nicht nur die Unternehmen sondern auch die Privathaushalte umfasst. Die Konsumtionskraft der Privathaushalte ist keine zu unterschätzende Größe für die wirtschaftliche Entwicklung.

Wer uns erklärt, dass jetzt die Talsohle da sei, sieht die Lage wahrscheinlich durch die Brille der Unternehmen oder gar seiner Hoffnungen. Hier sind einige Tatsachen. Kreditvergabe rückläufig Bereits vor einer reichlichen Woche teilte die EZB mit, dass erstmalig binnen Monatsfrist das Kreditvolumen in der EU um 35 Mrd. € zurückging. Das entsprach einem Rückgang von 0,7 %. Betroffen sind sowohl Unternehmenskredite als auch Privatkredite. Dies deutet auf eine Abnahme wirtschaftlicher Aktivität hin. Sowohl Unternehmen als auch Privatleute prüfen heute genauer, was sie sich auf Kredit noch leisten können, zumal die Banken mehr Sicherheiten und Risikozuschläge verlangen. Geringere Kapazitätsauslastungen bei vielen Unternehmen stellen frühere Expansionskonzepte infrage, weshalb teure Erweiterungsinvestitionen vorerst fallen gelassen oder aufgeschoben werden. Das gilt in ähnlicher Weise auch für Privathaushalte. Wer über kein stabiles Einkommen verfügt, tut gut daran, sich Schulden genau zu bedenken und teure Käufe auf später zu verlegen. Unternehmens- und Privatinsolvenzen führen dazu, dass etliche Kreditforderungen als uneinbringlich abgeschrieben werden müssen.

Die 2009 eingeführte „Abwrackprämie“ mag viele Deutsche dazu verführt haben, dem Schuldenrisiko forscher ins Auge zu sehen, doch die Zeit dafür läuft langsam ab. Bundesbürger schnallen den Gürtel enger

Am 03.08.2009 meldete das Statistische Bundesamt, dass im Monat Juni die Einzelhandelsumsätze saison-, kalender- und preisbereinigt auf Monatssicht um 1,8 % gefallen sind. Rein zahlenmäßig (nominal) waren es 1,6 %. Die „Markterwartungen“ hatten bei einem Plus von 0,5 % gelegen. Bereits für Mai 2009 hatten die Bundesstatistiker einen Rückgang von 1,3 % (real) und 1,4 % (nominal) festgestellt. Im Jahresvergleich verringerten sich die Einzelhandelsumsätze bis Juni um 1,6 %, nominal um 2,0 %. Damit verhalten sich die Bundesbürger angesichts der Krisenfolgen risikobewusster, als es sich die professionellen Analysten mit ihren „Markterwartungen“ vorstellen konnten.

Dieses Gürtel-enger-Schnallen läuft natürlich darauf hinaus, dass Peu a Peu eine wichtige Säule der Wirtschaft, nämlich der Massenkonsum, herunter gefahren wird. Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit im Vormarsch Unsere Politiker sind sehr mit sich zufrieden, weil die Auswirkungen der Wirtschaftsund Finanzkrise sich bisher nur verhalten in der Arbeitslosenstatistik widerspiegeln.

Im Monat Juli stieg die Arbeitslosigkeit „nur“ um 52.000 betroffene Personen auf insgesamt 3.462.000. Im Vergleich zum Vorjahresmonat erhöhte sich die Zahl der Arbeitslosen um 252.000. Die Zahl der Erwerbstätigen ging im Juni um 36.000 zurück, im Jahresvergleich um 92.000. Doch die Verunsicherung bezüglich der Arbeitsplätze reicht viel weiter. Allein im Juli gab es wieder neue Anzeigen von Kurzarbeit für 170.000 bis 180.000 Mitarbeiter der Unternehmen. Wie viele Menschen tatsächlich von Kurzarbeit betroffen sind, können die Statistiker immer erst zwei Monate später genau veröffentlichen.

Wundern Sie sich bitte nicht, wenn diese Zahl bei 1,5 Mio. oder mehr liegt. Bei all den Zahlen sollten Sie auch beachten, dass in einem „normalen“ Wirtschaftsjahr im Laufe der Sommermonate die Arbeitslosigkeit zurück geht. Weil 2009 ein Krisenjahr ist, bleibt dieser Beschäftigungsaufschwung aus. Dass Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit mit Einkommensverlusten einher gehen, ist eine Binsenweisheit.
Der Konsumrückgang beim Einzelhandel findet darin seine logische Erklärung. Schlechte Kapazitätsauslastung in der deutschen Exportindustrie, speziell im Maschinenbau, setzt die Unternehmen trotz der Kurzarbeiterregelung unter enormen Kostendruck. Zwar spricht die Zeitarbeitsbranche schon wieder von Personaleinstellungen, aber das wird die über kurz oder lang zu erwartende Entlassungswelle nicht auffangen können.

Maschinenbau auf Sparflamme Statt der erhofften Erholung beklagte die Maschinenbau-Branche im Juni einen Auftragsrückgang um 46 %. Die Orders aus dem Inland lagen um 43 % und die aus dem Ausland um 48 % unter denen des Vorjahres. In die USA nahm der Export in den ersten sechs Monaten dieses Jahres um 23,6 % ab. Bislang konnten sich viele Unternehmen noch mit restlichen Auftragsbeständen aus dem Vorjahr über Wasser halten. Aber angesichts der geringen Neuzugänge muss die Auslastung deutlich reduziert werden. Unternehmer mit sozialem Gewissen werden versuchen, ihre qualifizierte Stammbelegschaft mittels der Kurzarbeiterregelung ohne Kündigungen durch die stürmische Krisensee zu lotsen. Doch wie lange lässt sich das in Anbetracht des Kostendrucks durchstehen, wenn die Konjunktur nicht wieder anspringt?

Gerade die Verringerung der Inlandsaufträge zeigt uns, dass in vielen Branchen, die gewöhnlich Maschinenbauerzeugnisse als Investitionsgüter benötigen, die investiven Ausgaben drastisch gesenkt wurden. Erst wenn die Nachfrage dort einen spürbaren Schub bekommt, dürfte die Investitionsneigung wieder steigen. Doch das kann dauern... Den deutschen Maschinenbau, eines der Flaggschiffe unserer Industrie, erwarten demnach noch schwere Zeiten.

Fazit

Gestützt auf diese wenigen Fakten und Tendenzen lässt sich erkennen, dass von einer „Talsohle“ in der wirtschaftlichen Entwicklung keine Rede sein kann. Erst in der vorigen Woche titelten einige Zeitungen, dass die Krise nun auch im Einzelhandel angelangt sei. Unter dem Aspekt von steigender Arbeitslosigkeit und sinkendem Massenkonsum ist sogar damit zu rechnen, dass sich selbst in bisher nicht von der Krise betroffenen Branchen wie der Nahrungsgüterindustrie die Umsätze merklich verringern werden. Die Wirtschaftskrise ist also dabei, sich umfassender und tiefgreifender auszuprägen. Außerdem werden sich auch Kapriolen in anderen Ländern der Welt bei uns auswirken. Zum Beispiel stehen die baltischen Staaten mit dem Rücken zur Wand. Selbst im „europäischen Hort des Wachstums“, Polen, breiten sich mehr und mehr Krisenzeichen aus. Bereiten Sie sich deshalb darauf vor, dass wir im Spätherbst auf einen vorläufigen Krisenhöhepunkt zusteuern werden. Zu diesem Zeitpunkt sollte Ihre Krisenvorsorge wirklich belastungsfähig und zuverlässig sein.

Gerhard Spannbauer

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