Kommentar
13:18 Uhr, 10.06.2014

Die langfristigen Argumente für die Schwellenmärkte

Im Großen und Ganzen definieren sich die Schwellenmärkte durch das, was sie nicht sind. Sie sind keine Industrienationen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Finanzmärkte dieser Volkswirtschaften so unausgereift sind, dass den Anlegern der Zugang verwehrt bleibt. Die Schwellenmärkte sind folglich eine heterogene Mischung aus Ländern, von denen manche aufstreben, während immer wieder auch Länder absteigen. So gehörten Venezuela, die Ukraine und Argentinien im Jahr 1965 zu den größten Volkswirtschaften. Die schlechten Entscheidungs- und Verwaltungsstrukturen dieser Länder haben jedoch dazu geführt, dass sie wieder abstiegen und die wirtschaftliche Konvergenz ausblieb.

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Die langfristigen Argumente für die Schwellenländer hängen davon ab, ob sich diese im Hinblick auf Einkommen und Produktivität sowie in ihren Entscheidungs- und Verwaltungsstrukturen an die Industrienationen angleichen können. Ein höheres Einkommensund Produktivitätsniveau hat ein höheres Wirtschaftswachstum zur Folge, wovon sowohl die Unternehmen in den Schwellenländern als auch jene in den Industrienationen profitieren. Zudem wird die Dynamik der Staatsverschuldung dadurch positiv beeinflusst. Eine stärkere Konvergenz der Entscheidungs- und Verwaltungsstrukturen führt unterdessen dazu, dass die für Finanzanlagen erforderlichen Risikoprämien sinken. Ich bin der Ansicht, dass die langfristigen Argumente für die Schwellenmärkte nach wie vor gültig sind. Die Länder weisen jedoch erhebliche Unterschiede auf, was die Fortschritte bei der Verbesserung der Entscheidungsund Verwaltungsstrukturen angeht – und die Gefahr, dass sich einzelne Nationen in ihrem Status als Schwellenland verschlechtern, ist allgegenwärtig.

Was ist mit den Marktkursen geschehen?

Die Schwellenländer haben im vergangenen Jahr in allen Anlageklassen steigende Risikoprämien verzeichnet. Im Hinblick auf die Credit Spreads ist festzustellen, dass sich der aktuelle JP Morgan EMBI+ Index in seiner Rating-Zusammensetzung und regionalen Diversität radikal anders gestaltet als noch vor 10 oder 20 Jahren. Beim Vergleich der Gesamtspreads wird also nicht Gleiches mit Gleichem verglichen. Stellt man jedoch die Credit Spreads von Staatsanleihen hoher Bonität den Spreads US-amerikanischer Investment-Grade-Unternehmensanleihen gegenüber, wird deutlich, dass die relativ starke Korrelation, die seit 2007 zwischen den Spreads im Investment-Grade-Bereich beobachtet wurde, nicht mehr existiert. Die Spreads von Schwellenmarktanleihen werden inzwischen mit einem Abschlag gehandelt, der an die Währungskrise zwischen 1998 und 2002 erinnert.

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Die steigenden Risikoprämien bei den Anleihen spiegeln sich auch in den Kursabschlägen der Aktien wider, die auf den Aktienmärkten der Schwellenländer im Vergleich zu den Industrienationen verzeichnet werden (wenn man die Forward-KGV als Bewertungsmaßstab verwendet).

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Welche konkreten Probleme sind für diese Schwächephase bezeichnend?

Von der Krise in den Schwellenländern (1997-2002) (Asien, dann Russland und letztendlich Lateinamerika) waren Länder betroffen, in denen eine Währungskopplung bestand und die dann feststellen mussten, dass ihre realen effektiven Wechselkurse überwertet und nicht wettbewerbsfähig waren. Dies hatte zur Folge, dass große Mengen an Fremdwährungsschulden angehäuft und erhebliche Leistungsbilanzdefizite verzeichnet wurden. Nach der Aufgabe der Währungskopplung explodierte die Schuldenlast (als Anteil des BIP und in Lokalwährung) und die Bonität verschlechterte sich. Diese Entwicklungen mündeten in einer selbsterfüllenden Abwärtsspirale, der nur jene Länder entkommen konnten, deren Leistungsbilanzen stark genug waren.

Um auf die gegenwärtige Lage zurückzukommen: Die US-Notenbank hat ihre Geldpolitik im Zuge der weltweiten Finanzkrise aggressiv gelockert und den Schwellenländern nur die Wahl zwischen zwei potenziell nachteiligen Szenarien gelassen:

1. Eine Wiederholung der Ereignisse von 1998. In diesem Fall könnten die höheren Inlandszinsen (verglichen mit der lockeren Geldpolitik der US-Notenbank) ausländisches Kapital anlocken und zu einer Überbewertung der Wechselkurse führen. Dies könnte wiederum die Fremdwährungsschulden der inländischen Unternehmen und Privathaushalte erhöhen, ein Leistungsbilanzdefizit zur Folge haben und das Binnenwachstum hemmen.

2. Ein inländischer Kreditboom, ausgelöst durch Zinssätze, die im Verhältnis zur Binnenkonjunktur zu niedrig waren.

Die meisten Schwellenländer haben sich für das letzte Szenario entschieden. Insgesamt haben die Schwellenländer Leistungsbilanzüberschüsse erzielt, von einem beschleunigten Binnenwachstum profitiert und bei ihren inländischen Krediten und Devisenreserven einen Aufschwung erlebt. Auch ihre Währungen haben nicht an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Der inländische Kreditboom setzte jedoch genau dann ein, als die Leistungsbilanz in der Eurozone einen Überschuss auswies. Dies brachte die Exportmärkte zum Erliegen, während die Importe durch die niedrigen Zinssätze beflügelt wurden. Da die Schwellenmärkte nicht den Weg von 1998 einschlugen, stellt die Auslandsverschuldung erfreulicherweise kein generelles Problem dar, und auch die negative Dynamik, die zwischen 1997 und 2002 zu verzeichnen war, ist ausgeblieben. Die folgenden zwei Grafiken machen jedoch deutlich, dass gewisse Schwellenländer während des Ausverkaufs vom Markt bestraft wurden. In der ersten Grafik wird die Entwicklung der lokalen Renditen mit dem Leistungsbilanzdefizit von 2012 verglichen. Die zweite Grafik kombiniert den Anstieg („Back-up“) der Renditen mit der Währungsschwäche und vergleicht diese Faktoren mit der Performance des Aktienmarktes seit Mai 2013, als die US-Notenbank die Drosselung der lockeren Geldpolitik thematisierte.

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China will nicht so recht ins Bild passen. Das Land kontrolliert den Wechselkurs seiner Währung, weist anhaltende Leistungsbilanzüberschüsse aus und bleibt aufgrund seiner geschlossenen Kapitalbilanz weitestgehend unberührt von den Kapitalströmen internationaler Anleiheportfolios. China erlebte jedoch einen inländischen Kreditboom, dessen Ausmaß besorgniserregend ist. Die Anleihen der Zentralregierung und sogar Lokalwährungsanleihen als prozentualer Anteil des BIP sind in China relativ gering (zusammen rund 45 %). Dagegen ist die private Kreditvergabe im Land in den letzten Jahren (Abbildung 7) um rund 60 % des BIP explosionsartig angestiegen. Zu diesem Kreditwachstum hat auch ein neues Schattenbanksystem beigetragen, das im internationalen Vergleich zwar klein ausfällt, jedoch gefährliche Merkmale erkennen lässt.

Die Schätzungen bezüglich der potenziellen Verluste innerhalb des chinesischen Bankensystems variieren. Der chinesische Finanzsektor fällt im globalen Finanzsystem jedoch nicht so weit ins Gewicht, dass sich eine Finanzkrise in China wesentlich auf die globale Finanzstruktur auswirken würde. Wenn die vom Staat aufzufangenden Kreditausfälle im gesamten Bankensystem und auf dem Markt für Unternehmensanleihen bei 10 % und im Schattenbanksystem bei 15 % lägen, würde die Schuldenstandsquote 70 % betragen und damit immer noch ein tragfähiges Niveau (Abbildung 8) aufweisen. Darüber hinaus hat China uneinbringliche Forderungen dieses Umfangs sowohl 1994 als auch 2004 in revolvierende Kredite umgewandelt, ohne ein finanzielles Armageddon zu erleiden. Die wahren Auswirkungen auf die chinesische und die weltweite Wirtschaft werden jedoch in Form eines verlangsamten Kreditwachstums in China zu spüren sein - und nicht in Form von Kreditausfällen. Ein gebremstes Kreditwachstum könnte die Immobilienpreise beeinträchtigen und auch die Anlageinvestitionen senken, die das chinesische BIP-Wachstum genährt haben. Dies würde sich nachhaltig auf das Wachstum der Schwellenländer außerhalb Chinas auswirken und möglicherweise sowohl das globale Wirtschaftswachstum als auch das Ertragswachstum von Unternehmen in den Schwellenländern und Industrienationen in Mitleidenschaft ziehen.

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Wie können die Schwellenmärkte diesen Teufelskreis kurzfristig durchbrechen?

Wir können zwei mögliche Faktoren erkennen:

1. Eine schnelle Anpassung der Auslandspositionen der Schwellenländer. Steigende Zinsen und schwächere Währungen werden die Importnachfrage senken, während eine anhaltende Wachstumserholung in den Industrienationen (z. B. wenn sich die Wachstumsdynamik in den USA fortsetzt und die Erholungstendenzen in Europa anhalten – siehe erste Grafik unten) zur Eigenfinanzierung jener Schwellenländer führen wird, die momentan von den Finanzmärkten bestraft werden. Es spricht einiges dafür, dass eine solche Entwicklung tatsächlich im Gange ist. Die Märkte dürften jedoch erst dann nachgeben, wenn weitere Anzeichen für eine Verbesserung vorliegen. Wir analysieren die monatlichen Handelsdaten, um Aufschluss darüber zu gewinnen, wie sich diese Schwachstellen weiter entwickeln. Auch wenn es für eine endgültige Beurteilung noch zu früh ist, hat es den Anschein, dass die Anpassungsphase bereits läuft und die Leistungsbilanzdefizite (soweit vorhanden) schrumpfen.

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2. Die Bewertungen werden so günstig, dass Risikokapital angelockt wird. Die Bewertungskennzahlen deuten insgesamt darauf hin, dass der Markt günstig ist – aber selbstverständlich könnten die Bewertungen noch günstiger werden.

Fazit

  • Es wird zunehmend riskant, Anleihen (bzw. Aktien oder Währungen) aus Schwellenländern als homogene Anlageklasse zu behandeln. Nicht umsonst haben Anleger ihren häufig bemühten Grundwortschatz um den Begriff „die fragilen Fünf“ erweitert und damit anerkannt, dass manche Volkswirtschaften tatsächlich äußerst anfällig sind für Schocks im Zusammenhang mit der Auslandsfinanzierung. Im Umkehrschluss bedeutet dies jedoch, dass viele, ja sogar die meisten Länder weitaus weniger anfällig sind. In Asien, Europa und selbst in Lateinamerika stellen Einzelländerverluste von US-Dollar-basierten Anlegern die Ausnahme und nicht die Regel dar. Fakt ist, dass nur zwei Länder im EMBIG Index im Jahr 2014 Verluste mit sich brachten: Russland und die Ukraine. Da bei den Renditen von Emerging-Markets-Anleihen eine zunehmende Granularität festzustellen ist, sollte das aktive Management eine äußerst wichtige Rolle spielen.
  • Währungen sind der primäre Regulierungsmechanismus für Schwellenmärkte mit Leistungsbilanzdefiziten: Eine schwache Währung kann Importe unerschwinglich und Exporte so günstig werden lassen, dass die Handelsbilanz von negativ auf positiv springt. Doch die Frage, wie schwach eine Währung hierfür wirklich sein muss, lässt sich nur in der Retrospektive beantworten. In diesem Bereich ist also nichts sicher, auch wenn die Aussichten auf Stabilität besser erscheinen als noch vor einigen Wochen. Ein Großteil der Anpassungsphase, in der die Leistungsbilanzdefizite anhand eines langsameren Binnenwachstums, schwächerer Importe und eines besseren Exportumfelds ausgeglichen werden, ist meines Erachtens bereits abgeschlossen.
  • Das eigentliche Problem ist China. Es stellt sich die Frage, was für die Märkte gefährlicher ist – das Heilmittel oder die Krankheit: also ein stark rückläufiges Kreditwachstum und der damit verbundene Rückgang der Anlageinvestitionen oder die Wertberichtigungen in den Bilanzen, die mit dem rasanten Kreditwachstum einhergehen dürften. Die Frage ist auch, wo sich die Maßnahmen zur Bewältigung dieses Problems hauptsächlich niederschlagen werden: in den Risikoanlagen der Industrienationen (die im Hinblick auf das Wachstumsrisiko in China keine wesentlichen Risikoprämien aufweisen) oder in den Risikoanlagen der Schwellenländer (die sehr wohl mit Risikoprämien versehen sind – die Auswirkungen eines Wachstumsschocks in China wären hier unmittelbarer zu spüren).
  • Die Risikoprämien auf den Märkten für Schwellenländer-Staatsanleihen in Hartwährungen erscheinen hoch, wenn man diese mit den Risikoaufschlägen vergleicht, die in den Industrienationen für Investment-Grade-Unternehmensanleihen verzeichnet werden. Darüber hinaus spiegelt sich in diesem Verhältnis die relative Bewertung der künftigen Erträge von Emerging-Markets-Aktien gegenüber den Erträgen von Aktien aus Industrienationen. Wir sind der Ansicht, dass die Ertragserwartungen für Schwellenländeraktien nach wie vor zu hoch sind. Die Bewertungen sind jedoch attraktiv genug, um eine begrenzte Anzahl an Emerging-Markets-Aktien in die Portfolios aufzunehmen. Mit unseren „Total Return Asset Allocation“-Portfolios, bei denen wir versuchen, die Volatilität in Schach zu halten, möchten wir von günstigen Bewertungen in den Schwellenländern profitieren und uns gleichzeitig vor den möglichen Nachteilen einer Konjunkturabschwächung in China schützen. Dies erreichen wir, indem wir Aktien aus Schwellenländern mit Lokalwährungsanleihen (teilweise währungsabgesichert) kombinieren und diese mit langfristigen australischen Staatsanleihen (vollständig währungsabgesichert) ergänzen, die unseres Erachtens eine Wertsteigerung erfahren werden, wenn es tatsächlich zu einer Wirtschaftsabkühlung in China kommt.

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