Kommentar
22:00 Uhr, 22.04.2008

Die Kernprobleme: Negative Equity und Deleveraging

Die aktuelle Wirtschaftskrise hat sicherlich viele Gründe: Rekord-Commodity-Preise, Vermögensverluste des Durchschnittsverbrauchers durch fallende Aktienindizes, fallender Dollar mit entsprechenden volkswirtschaftlichen Auswirkungen, historisch hohe Leverage-Quoten, die Stellung der Rating-Agenturen & Monoliner, in diesem Zusammenhang baldige Sammelklagen, weltweite Immobilienblasen, gestiegene Risikoaversion mit entsprechenden Auswirkungen auf Spreads, schwieriger Zugang zu Krediten, geplatzte Emerging Markets Blasen, …

Es gibt jedoch zwei Aspekte, die mit Abstand die größte Bedeutung haben: Negative Equity und Deleveraging. Man kann sicherlich Negative Equity auch als Leverage-Problem ansehen. Ich werde im folgenden jedoch beide Aspekte getrennt voneinander betrachten:

Deleveraging bezeichnet das Gegenteil von Leveraging. Es bezeichnet also den Abbau von Fremdkapital bzw. Aufbau von Eigenkapital. Resultat ist eine Reduzierung der Leverage-Quote. Retailbanken haben zum Beispiel in der Regel eine Leverage-Quote von 10-12; Investmentbanken zwischen 20-25. Jan Hatzius, Chef-Volkswirt von Goldman Sachs, beschäftigt sich in einer Studie mit den Auswirkungen des Deleveraging ([Link "Deleveraging Paper" auf www.chicagogsb.edu/... nicht mehr verfügbar]). Für alle, die Herrn Hatzius nicht kennen: er ist einer der ganz wenigen Ökonomen gewesen, der bereits im letzten Jahr auf die Krise hingewiesen hat. Seine Studien sollte man sich daher immer genauer anschauen:

“There is a positive relationship between changes in leverage and changes in balance sheet size. Far from being passive, financial intermediaries adjust their balance sheets actively and do so in such a way that leverage is high during booms and low during busts. Leverage is procyclical in this sense. ….Procyclical leverage can be traced directly to the counter-cyclical nature of value at risk. Leverage is high when value at measured risks are low – which occurs when financial conditions are buoyant and asset prices are high. Leverage is low in the troughs of the financial cycles, reflecting increased volatility of asset prices as well as increased correlation of asset returns.”

Geringere Leverage-Quote bei Banken führt zu geringerer Kreditvergabe. Dies hat natürlich gewaltige Auswirkungen auf das GDP:

“As a back of the envelope calculation, we can use the estimate from Exhibit 5.2 along with the potential $910 billion contraction in end-user credit to calculate a GDP effect from the deleveraging. This contraction is equivalent to a 3.0-percentage-point drop in DNFD growth. The results in Exhibit 5.2 imply that this corresponds to a hit to real GDP growth of 1.3 percentage points over the course of the following year. This impact should be viewed as additive to the impact of housing on real GDP growth via other channels, such as the decline in residential investment and any potential wealth effects tied to falling house prices. We emphasize that the calculation is very rough, and should be viewed as quite speculative. But, it does suggest that the feedback to the economy from the deleveraging could be substantial.”

Die GDP Reduzierung durch Deleveraging allein wird also seiner Meinung nach 1,3 % betragen. Dies ist in meinen Augen sehr konservativ geschätzt, zumal zwei Aspekte in der Studie nicht berücksichtigt worden sind: erstens, werden wir aufgrund von Moral Hazard Problematik im Underwriting historisch hohe Ausfallraten im Mortgage-Geschäft sehen. Der Boom im Verbriefungsmarkt hat nämlich dafür gesorgt, dass die Bonität des Keditnehmers eine viel geringere Rolle als historisch üblich gespielt hat. Dementsprechend müssten seine Abschreibungsannahmen eigentlich höher sein, was wiederum zu einer größeren Kreditkontraktion führt (und damit GDP Reduzierung um mehr als 1,3 %) . Zweitens, wurde nicht auf den Leverage von Hedge Funds eingegangen. Auch dieser wird derzeit deutlich zurückgefahren. Das Hedge Fund Sterben ist derzeit nämlich in vollem Gange (siehe die Immobilienpreisentwicklung der letzten 3 Monate in Connecticut). Dadurch werden generell Spreads in den nächsten Jahren höher sein (viele Hedge Funds haben einfach auf sinkende bzw. konstante Spreads gewettet). Dies wiederum bedeutet, dass die Finanzierungskosten für Unternehmen deutlich wachsen.

Negative Equity liegt vor, wenn der Hauskredit höher ist als der aktuelle Wert des Hauses. Im Gegensatz zu den meisten europäischen Ländern hat der Kreditnehmer in den USA sogar die Option, den Kredit gegen das Haus einzutauschen. Dies macht natürlich nur im Falle von negative Equity Sinn. Dann hat er nämlich sozusagen eine im Geld stehende Put-Option. Auch hierzu liefert Hatzius interessante Zahlen:

“About 7 % of U.S. mortgage holders had negative equity at that point. Another 4 % had equity of 0 %-5 %, and 5 % each had equity of 5 %-10 % and 10 %-15 %. Thus, the proportion of mortgage holders with negative equity would rise to 11 % given a (uniform) home price decline of 5 %, 16 % given a drop of 10 %, and 21 % given a drop of 15 %.8 These are very large numbers. There are approximately 50 million households with mortgages in the United States, so 21 % of all mortgage holders corresponds to about 10.5 million households. If negative-equity homeowners on average have mortgage debt of $250,000, this would imply that a 15 % home price decline would put about $2.6 trillion of mortgage debt “under water.””

Durch die im Geld stehende Put-Option ergeben sich demnach weitere Verluste für Banken. Je nachdem welche “Umtauschraten” man annimmt, kommt man dann zu einer unterschiedlichen Höhe von Verlusten (Nouriel Roubini setzt die in meinen Augen immer sehr hoch an - das soziale Stigma wird da in meinen Augen unterschätzt). Aber unabhängig von der genauen Verlusthöhe ist die Fokussierung auf die Bankverluste als solches irreführend. Kernproblem ist der Vermögensverlust (durch geringeren Wert des Hauses) des Durchschnittsverbrauchers (derzeit 2 Billionen USD allein in den USA). Da dieser zusätzlich noch durch eine historisch hohe Verschuldung und negative Sparquote belastet wird (von der Inflation ganz zu schweigen), gibt es für diesen nur eine Konsequenz: viel weniger konsumieren! Aufgrund des Konsum-Stopps werden wir eine äußerst schwere Rezession in den USA (und auch in anderen Ländern) sehen. Dies kann man bereits deutlich am Einzelhandelsgeschäft ablesen (jüngstes Beispiel J.C. Penny). Andere Möglichkeit ist das aktuelle Verbrauchervertrauen. Hierzu schreibt JPMorgan:

“Consumer confidence sank much lower than projected, falling to 64.5 in March from 76.4 in February. The expectations component of the survey was abysmal, falling to its second-lowest reading on record; the previous low was in December, 1973, the first month of one of the worst recessions in the post-war era. Of the three expectations questions – on business conditions, employment, and income – each looked horrible but the income question was worst of all, sinking to a new low.”

Bemerkenswert dabei ist, dass wir gerade erst am Anfang des Abschwungs sind. Die Arbeitslosigkeit beginnt gerade erst zu wachsen. Konsum-Stopp wird daher die zwangsläufige Devise für den Durchschnittsverbraucher sein.

Autor: Jürgen Martinschledde - Quantitative Analyst bei PIMCO. Bei den von ihm verfaßten und öffentlich zugänglichen Kommentaren handelt es sich um seine privaten Einschätzungen. Blog: http://martinschledde.wordpress.com/

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