Kommentar
15:46 Uhr, 05.09.2014

Die EZB will nicht scheitern, weil sonst die Eurozone scheitert

Die globale Konjunkturerholung zeigt sich durchaus stabil. Zwar schwächte sich in China der offizielle Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe im August auf 51,2 nach zuvor 51,7 etwas ab. Immerhin bleibt er aber im expansiven Bereich. Im Übrigen ist die Abflachung aber auch Ausdruck einer moderateren, dafür aber nachhaltigeren, konsumgetriebenen Wirtschaft.

Unterdessen setzt die US-Wirtschaft ihren Wachstumskurs nach einem ohnehin robusten II. Quartal 2014 fort. Die Neuauftragskomponente des ISM Index für das Verarbeitende Gewerbe in den USA zeigte sich im August mit einem Wert von 69 nach 63,4 äußerst expansiv. Insbesondere die ungebrochen starke Nachfrage der Schwellenländer nach US-amerikanischen Industrieprodukten ist ein massiver Treiber des Erholungsprozesses. Bestätigt wird diese positive Entwicklung auch durch den Konjunkturbericht der Fed sowie einen robusten Auftragseingang der US-Industrie.

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Was ist eigentlich mit Rohstoffen?

Im Rohstoffsektor zeigt sich ein zweigeteiltes Bild. Palladium - es wird aufgrund seiner industriellen Bedeutung unter anderem bei der Fertigung von Abgaskatalysatoren in der Autoindustrie nachgefragt - erhält dank weltkonjunktureller Impulse Rückenwind. Sicherlich tragen aber auch Sorgen vor Angebotsverknappungen aus Russland - dem weltgrößten Palladiumproduzenten - zu den im Trend steigenden Preisnotierungen bei. Dagegen scheint Gold wenig auf die geopolitischen Verwerfungen und die weiterhin lockere Geldpolitik zu reagieren. Mit Blick auf den gesunkenen Euro sowie das rekordniedrige Zinsniveau - die Opportunitätskosten der Goldhaltung sind nahezu null - sollte Gold jedoch im Seitwärtstrend verbleiben.

Energierohstoffe scheinen die theoretische Gefahr von Gas- oder Ölverknappungen zu ignorieren. Während in früheren Krisenszenarien auch nur der Hauch von Lieferengpässen zu teilweise erheblichen Preissteigerungen geführt hat, ist aktuell eher das Gegenteil zu beobachten. Die Einschätzung, dass Russland zur Devisenerwirtschaftung und Stützung seiner rezessiven Wirtschaft weiter sehr an Gasverkäufen nach Europa interessiert und die Industrienationen der Welt zur Abwehr einer Ölkrise auch vor militärischen Interventionen nicht zurückschrecken, hat an den Rohstoffmärkten Oberhand gewonnen. Aufgrund eines Überangebots findet in den USA sogar eine Drosselung des Öl- und Gas-Frackings statt. So sind seit Jahresbeginn sogar Preisrückgänge bei Brent-Rohöl von gut sechs Prozent und Naturgas um sieben Prozent zu beobachten. Bei Öl und Gas ist zukünftig von einem Seitwärtstrend auszugehen.

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Unterstützt von den positiven Konjunktursignalen erhalten immerhin Industriemetalle Rückenwind. Die Preisstabilisierung bei Kupfer setzt sich seit dem massiven Abverkauf Mitte März unter Schwankungen fort. Einen sehr klaren Aufwärtstrend zeigt der weltwirtschaftliche Frühindikator Aluminium als „Modern Economy-Metall“. Die internationale Konjunkturverfassung ist offensichtlich stabiler, als es beim traditionellen Industriemetall Kupfer zum Ausdruck kommt.

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Aktien der Schwellenländer mit Rückenwind

Die Schwellenländer haben ihre Aktienschwächephase vom Frühjahr längst hinter sich gelassen. Die Angst vor einer vermeintlichen Zinswende in den USA führte ebenso wenig zu einer Kapitalflucht ex Emerging Markets wie das „Luxusproblem“, dass China „nur noch“ mit gut sieben Prozent plus wachsen kann. Die Finanzmärkte beruhigt, dass viele Schwellenländer über so hervorragende Stabilitätskennzahlen verfügen, dass sie mühelos die Maastricht-Kriterien erfüllen. Zudem versprechen stabile Binnenkonjunkturen nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Dagegen verspielt Russland gerade viele seiner Talente. Wenn man alleine die theoretischen Opportunitäten der umfangreichen Rohstoffvorkommen betrachtet, wird das Land praktisch suboptimal regiert. Nach den kürzlichen Wahlen in Indonesien, die eine wirtschaftsfreundliche Regierung hervorgebracht haben, wächst die Zuversicht auf einen zügigen Ausbau der Infrastruktur in der größten Volkswirtschaft Südostasiens, u.a. zum verbesserten Transport von Agrar- und Industrierohstoff. Indonesien ist der eindeutige Outperformer unter den Schwellenländern.
Ähnliches gilt für Indien, dessen Qualitäten als Produktionsstandort durch die neue reformfreudige Regierung stärker in den Fokus der Finanzmärkte rücken. Auch im Rohstoffland Brasilien sorgen die Aussichten auf einen Wahlsieg der Opposition mit anschließenden Strukturreformen für einen starken Aufwärtstrend bei Aktien. Thailand lässt die Konjunkturdelle aus dem I. Quartal zunehmend hinter sich und profitiert trotz Militärregierung von seinem kostengünstigen Produktionsstandort. Türkische Aktien feiern ein Comeback, nachdem die angespannte innenpolitische Lage in den Hintergrund getreten ist und die türkische Notenbank nach der überraschend markanten Erhöhung im Januar ihre Leitzinsen allmählich wieder senkt. In China sind die hard landing-Ängste dank von der Regierung vorgezogener Infrastrukturprojekte in den Hintergrund getreten. Im Aufwärtstrend des südkoreanischen Aktienmarkts, dessen Industrie- und Technologieunternehmen eine ernste Konkurrenz zur westlichen Welt darstellen, zeigen sich die Vorteile stetiger und nicht nur vorübergehender Reformen. Malaysia festigt seinen Status als Zentrum für Technologie- und Chemieunternehmen im südostasiatischen Raum weiter. Insgesamt bleiben die Schwellenländer für Anleger aus fundamentaler und finanzwirtschaftlicher Sicht strategisch interessant. Euro-Anleger kommen nicht in den Genuss einer schwächeren Gemeinschaftswährung.

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Euroland - Der kranke Mann der Weltwirtschaft

Gegenüber den USA und den Emerging Markets zeigt sich die Konjunkturstimmung in Euroland deutlich nüchterner. Erneut hat sich der Einkaufsmanagerindex in Euroland auf einen Wert von aktuell 50,7 nach 51,8 im Vormonat eingetrübt. Auch wenn dieser Indexwert weiter auf eine leichte wirtschaftliche Expansion hindeutet, gehen von den reformrenitenten Missständen in der Euro-Südzone ernste Konjunkturrisiken aus. So ist es in Italien zuletzt still um die vollmundigen Reformversprechen der Regierung Renzi geworden. Laut Global Competitiveness Report des Weltwirtschaftsforums liegt das Land in punkto Wettbewerbsfähigkeit auf einem für ein G7-Land erbärmlichen Platz 49 von 144. In Italien ist die Konjunkturstimmung im August unter die Expansion anzeigende Schwelle von 50 gefallen. Und Frankreich glaubt, sich eine konjunkturblockierende, reformverweigernde Wirtschaftspolitik, angereichert mit politischer Instabilität, erlauben zu können. Der französische Einkaufsmanagerindex ist von seinem Hoch im März bei 52,1 auf zuletzt 46,9 dramatisch eingebrochen. Und selbst die deutsche Wirtschaft muss der Ukraine-Krise Tribut zollen. Deutschland als exportsensitives Land wäre in besonderem Maß von wirtschaftlichen Sanktionen betroffen. Lag die Konjunkturstimmung in Deutschland zu Jahresbeginn noch auf einem Indexwert von 56,5, hat sie sich aktuell auf 51,4 eingetrübt.
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EZB als ultimativer Konjunkturstabilisator

Die auch sehr stark selbst verschuldete Wirtschaftseintrübung und Deflationstendenzen in der Euro-Peripherie zwingen die EZB zum konjunkturpolitischen Handeln. Sie geht für 2014 und 2015 nur noch von einem Konjunkturwachstum von 0,9 bzw. 1,6 Prozent und einer schwächeren Inflationsentwicklung von 0,6 Prozent für 2014 aus. Sie reagiert mit erneuten Zinssenkungen auf neue Tiefststände und dem Aufkauf kreditbesicherter Wertpapiere und Pfandbriefe ab Oktober. Genaue Details zur Höhe und Dauer des ABS-Aufkaufprogramms werden auf der nächsten EZB-Zinssitzung am 2. Oktober bekannt gegeben. Schätzungen gehen jedoch von einem Volumen über 500 Mrd. Euro aus. Insgesamt setzt die EZB ein unmissverständliches Signal zur euroländischen Konjunkturstabilisierung.

Grundsätzlich verfolgt EZB-Chef Mario Draghi zwei Effekte. Zunächst sorgt er mit der erneuten Zinssenkung dafür, dass euroländische Banken Liquidität noch zinsgünstiger zur Anlage in euroländische Staatsanleihen aufnehmen können. In der Folge niedrig bleibende bzw. sogar weiter fallende Renditen für Staatspapiere ermöglichen über eine günstige staatliche Neuverschuldung künstliche Konjunkturimpulse. Bei erhoffter Euro-Konjunkturstabilisierung sinken nicht zuletzt auch die Kreditausfallrisiken für Banken, was deren Kreditvergabeentscheidungen angesichts der im September und Dezember von der EZB zu vergebenden, zweckgebundenen Langzeitkredite erleichtern könnte.

Um hier einen größtmöglichen Durchbruch zu erzielen, kommt das Instrument des Aufkaufs eines breiten Portfolios kreditbesicherter Wertpapiere hinzu. Diese Maßnahme hat die US-Notenbank bereits seit 2008 durchgeführt, um den US-Banken zumindest teilweise Ausfallrisiken abzunehmen. Spätestens seit dem sehr dynamischen Einsatz dieses Instruments ab 2012 wurde der privaten Kreditvergabe in den USA erfolgreich zum Durchbruch verholfen. Auf diesen Effekt hofft auch die EZB, die im Vergleich zur Fed seit 2012 eine restriktivere Liquiditätspolitik verfolgte. Die EZB tritt jetzt als Spätzünder in die Fußstapfen der Fed.

Liquiditätsausstattung Eurolands und der USA, gemessen an der Bilanzsumme der Notenbank, in Mrd. Euro

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Wie viel Kritik muss sich die EZB gefallen lassen?

Die Kritik an diesen Fed-ähnlichen Maßnahmen der EZB ist aus einer Stabilitätsposition der früheren Bundesbank ohne Zweifel gerechtfertigt. De facto betreibt die EZB unverhohlen Fiskal- bzw. Konjunkturpolitik. Das kollidiert gewaltig mit dem geldpolitischen Verständnis in Deutschland, wonach man die Wirtschaft begleitet, aber nicht wie einen Hütehund leitet. So eine „weichspülende“ Wohlfühl-Geldpolitik gibt Anreize, Fehlinvestitionen zu tätigen, kann Blasen erzeugen und drängt die marktwirtschaftlichen Elemente aus den Zinsmärkten. Die Zinsarmut lässt eine Altersvorsorge, die auf Zinsvermögen fußt - was in Deutschland zu 80 Prozent der Fall ist - schrumpfen. Dennoch müssen sich Kritiker der EZB-Politik auch die Frage nach der Alternative stellen. Wenn die Euro-Peripherie fatalerweise keine Aktivitäten zur Verbesserung des Wirtschaftsstandorts betreibt, die Eurozone darüber in Deflationsterrain gerät und im Extremfall in schweres sozialpolitisches Fahrwasser kommt, stellt sich früher oder später auch die Existenzfrage der Eurozone. Die EZB hat festgestellt, dass die Wirtschafts- und Finanzpolitik das Wirtschafts-Kind in den Brunnen haben fallen lassen und will es jetzt so schnell wie möglich herausholen, koste es, was es wolle.

Immerhin hat sich damit die Wahrscheinlichkeit für ein breit angelegtes Aufkaufprogramm der EZB von Staatsanleihen vorerst deutlich verringert. Denn die Renditen sind bereits auf historischen Tiefständen. Ohnehin würden Aufkäufe von Staatspapieren den Verdacht verdeckter Staatsfinanzierung nähren. Politisch und technisch sind sie ohnehin schwer durchzusetzen bzw. durchzuführen. Völlig vom Tisch sind sie jedoch nicht. Sollten alle bisherigen Stricke reißen, wird die EZB auch diese Karte ziehen.

In diesem Zusammenhang kommt der Abwertung des Euros eine besondere Rolle zu. Erfreulicherweise ist ein schwächerer Euro eine Unterstützung für die euroländische und deutsche Exportindustrie. Sollte ein schwacher Euro aber als Anlass für Nicht-Euro-Investoren dienen, umfangreiche Gewinne auf Staatspapiere der Euro-Peripherie zu realisieren und damit eine Renditewende einleiten, könnte sich die EZB zur Wahrung des niedrigen Renditeumfelds für Aufkäufe von Staatspapieren genötigt sehen.

Der Euro hat bereits zum US-Dollar auf 1,29 stark nachgegeben und damit die signifikante Marke von 1,30 unterschritten. Am Devisenterminmarkt wird klar auf eine fortgesetzte Abwertung spekuliert. Die Netto-Long Positionen sind auf den tiefsten Stand seit Juli 2012 gefallen. Die Euro-Baisse nährt die Euro-Baisse.

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  • student
    student

    ​Sehr geehrter Herr Halver,

    solange die EZB nicht scheitert, haben wir eine Eurokrise. Erst durch den Euro war eine Verschuldung und sehr kurz darauf eine Überschuldung der schwachen Länder erst möglich. Genutzt hat es nur den großen Banken, die fortan dank der europäisierten deutschen Arbeitsleistung keine Abwertung mehr erwarten durften. Damit hat man aber den ganzen Club MED und Frankreich zum Zinssklaven für die Halter risikoloser Euroanleger gemacht. Die deutsche Bevölkerung hat man durch viel zu niedrige Zinsen fortlaufend - bis heute - enteignet.

    Seitdem siechen die Bevölkerungen und damit auch deren Volkswirtschaften vom größten Teil Europas - ausser Deutschland - vor sich hin. Die EZB kümmerts nicht. Das produktive Volk ist anscheinend nicht so systemrelevant wie die Zinsparasiten.

    Wenn die EZB scheitert, erhalten die Staaten ihre eigene Währung zurück, Aus Furcht vor Abwertung investieren gierige Anleger nicht mehr, Die Südländer aber, können ihre nicht bezahlbaren Staatsanleihen abschreiben und ihre Währung abwerten, um mehr ins Ausland zu verkaufen. Dadurch werden Arbeitsplätze geschaffen und Marktanteile auf dem Weltmarkt zurückgeholt. Das ist der einzige Weg für eine gesunde Wirtschaft ohne Überschuldung.

    Die Arbeitsleistung wird im Idealfall durch die Währung des Landes angemessen wiedergegeben. Um Marktanteile zu halten, muss die Währung direkt proportional über eine unabhängige Notenbank der Wirtschaft angepasst werden.

    Das ist mit der EZB nicht der Fall. Sie dient keiner Wirtschaft Europas, sondern ist Generalgläubiger im Auftrag der Banken, die ihre faulen Kredite und spekulativen Investitionen mit Zinsen zurückfordern.

    Was hat das noch mit der währungspolitischen Abbildung wirtschaftlich produktiver Leistung zu tun? Oder gar mit Volkswirtschaft?

    Das Vorgehen der EZB kann nur verstanden werden, wenn man begreift, dass deren Primat in der Rettung der Banken und damit deren Kapitalanlagen besteht, koste es der europäischen Bevölkerung auch, was es wolle.

    18:27 Uhr, 05.09.2014