Die einfachen Aktiengewinne sind vorerst gemacht
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Kommt die zweite Corona-Welle?
Immer mehr aufgehobene Wirtschaftseinschränkungen und beispiellose Fiskalprogramme haben der Konjunkturerholung auf die Sprünge geholfen. Aber ist diese Entspannung von einer zweiten Infektionswelle mit nachfolgend neuen Sperrmaßnahmen bedroht?
Tatsächlich kommt es vor allem in den USA, partiell aber auch in Europa und speziell Deutschland wieder zu Ausbrüchen. Ein erneuter Lockdown in zwei Landkreisen Nordrhein-Westfalens erinnert fatal an die Situation im Virus-Epizentrum Heinsberg im Frühjahr. Doch mit insgesamt ca. 6.200 aktiven Corona-Infektionen halten sich die Fälle bundesweit in Grenzen. Auch der Pekinger Virusausbruch scheint eingedämmt zu sein.
Grundsätzlich will die deutsche Politik neue Infektionen regional und branchenspezifisch eindämmen. Immerhin sind die Gesundheitssysteme nun krisenerprobt und haben sich Abstands- und Hygieneregeln sowie eine Corona-Warn-App etabliert. Auf keinen Fall will man allgemeine Lockdowns wiederholen, die die wirtschaftliche Stimmung erodieren ließe. Dann würden auch die opulenten Konjunkturprogramme massiv an Wirkung einbüßen. Daher ist auch bei einer zweiten Infektionswelle nicht mit einem neuen scharfen Wirtschaftseinbruch wie im I. Halbjahr zu rechnen.
Und plötzlich ist das Konjunktur-Glas halb voll
Diese positiven Erwartungen teilen auch die vom ifo Institut befragten Unternehmer. So verzeichnet der ifo Geschäftsklimaindex im Juni seinen stärksten jemals gemessenen Anstieg auf 86,2 nach zuvor 79,7. Es ist zwar erst der zweite Anstieg in Folge, also noch keine Trendwende. Doch signalisiert vor allem der erneut robuste Anstieg der ifo Geschäftserwartungen auf nahezu vor-coronalen Stand, dass die Konjunkturerholung Fahrt aufnimmt. Ebenso stabilisiert sich die aktuelle Geschäftslage.
Laut ifo Konjunkturmatrix, die Geschäftslage und -erwartungen gemäß den vier Phasen eines Konjunkturzyklus zueinander in Beziehung setzt, befindet sich die deutsche Wirtschaft zwar noch immer in der Rezession. Der Aufstieg in Richtung Konjunkturphase „Aufschwung“ setzt sich jedoch mit großen Schritten fort.
Grafik der Woche
Auf Branchenebene profitiert die Industrie von der Normalisierung der Produktion. Hier sind die Erwartungen sprunghaft auf den höchsten Stand seit Ende 2018 gestiegen. Auch bei Dienstleistern machen sich die gelockerten Eindämmungsmaßnahmen bemerkbar. Im Groß- und Einzelhandel sowie in der Bauwirtschaft steigen die Erwartungen ebenfalls, wenn auch weniger euphorisch.
Für wachsende Zuversicht bei coronal ausgebremsten deutschen Exporteuren sorgt vor allem die Wirtschaftsstabilisierung Chinas. Dabei werden die deutlichsten Zuwächse in der Auto- und Pharmaindustrie erwartet.
Selbst im Verarbeitenden und Dienstleistungsgewerbe der Eurozone verlangsamt sich die Talfahrt markant. Doch ist noch lange nicht mit einer vollständigen Normalisierung zu rechnen. Dazu sind die europäischen Standortböden zu wenig mit Reformen gedüngt.
Neben beispiellosen Konjunkturpaketen unterstützt ebenso die Geldpolitik die weltwirtschaftliche Stabilisierung. In der synchronsten Lockerung seit der Finanzkrise 2008 haben seit Jahresbeginn 71 Notenbanken 161 Zinssenkungen vorgenommen.
In diesem Zusammenhang droht den Anleihekäufen der EZB durch die Kritik des Bundesverfassungsgerichts keinerlei Einschränkung. Die vom Gericht eingeforderten Informationen über diese Liquiditätsmaßnahmen stellt keine unüberwindliche Hürde dar.
Marktlage - Mehr Volatilität, aber keine Panik
Laut dem von der Citigroup veröffentlichten Economic Surprise Index - er misst die jeweiligen Abweichungen tatsächlicher Konjunkturdaten von den zuvor getroffenen Analysteneinschätzungen - zeigen die globalen Konjunkturdaten seit Anfang Mai klar positive Überraschungen. Das schlägt sich ebenso positiv bei zyklischen deutschen Aktien (MDAX) nieder.
Folglich wird auch ein Ende der zunächst noch bestehenden Gewinnmisere deutscher Unternehmen eingepreist. Zwar wird die Berichtsaison für das II. Quartal 2020 besonders dunkel ausfallen. Doch scheint mit einer Erholung der ifo Erwartungen, denen die Unternehmensgewinne mit einer zeitlichen Verzögerung von sechs Monaten folgen, die Gewinntalsohle erreicht zu sein.
Beruhigend wirkt ebenso, dass die Hauptversammlung der Lufthansa das staatliche Rettungspaket gebilligt hat. Damit wurde eine Insolvenz in Eigenregie verhindert, die die Schlagkraft des Kranichs dramatisch geschwächt hätte. Allerdings mussten mit dem Einstieg des Staates zum Schnäppchenpreis, der Enteignung der Altaktionäre durch Ausschluss des Bezugsrechts bei der Kapitalerhöhung, der horrenden Zinsen für die staatlichen Kredite und der Aufgabe von wertvollen Start- und Landerechten in Frankfurt und München viele Kröten geschluckt werden. Entscheidend für das langfristige Wohl der Lufthansa ist der zügige Wiederausstieg des Staats nach erfolgter Sanierung. Eine „Alitalisierung“ muss verhindert werden.
Erfreulich für die allgemeine Aktienstimmung ist auch, dass der Chemie- und Pharmakonzern Bayer in einem außergerichtlichen Vergleich einen beträchtlichen Teil der rund 125.000 Glyphosat-Klagen in den USA beigelegt hat. Insgesamt fällt die vermeintliche Schadenssumme mit umgerechnet 9,8 Mrd. Euro geringer aus als erwartet. Der Blick auf das eigentliche Geschäft ist wieder frei.
Allerdings ist der Finanzskandal beim DAX-Mitglied Wirecard ein Tiefschlag für die deutsche Aktienkultur.
Insgesamt sind zwischenzeitliche Aktienkorrekturen weiterhin einzukalkulieren. Die umfangreichen geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen haben an Furore verloren. Daneben facht Amerika den transatlantischen Handelskonflikt wieder an. Die US-Regierung erhebt ab dem 26. Juli neue Importstrafzölle von 10 Prozent auf EU-Importgüter. Allerdings ist bekannt, dass diese den USA gemäß WTO-Urteil wegen rechtswidriger EU-Subventionen für den Flugzeugbauer Airbus gestattet sind. Immerhin ist dieses Volumen mit den aktuellen Strafzöllen von 3,1 Mrd. ausgeschöpft.
Insbesondere wegen seines Umfragerückstands zu Joe Biden wird der US-Präsident bis zu den Wahlen im November sicher weiterhin mit verunsichernden Schüssen aus der Hüfte auffallen.
Ein auch deshalb sich auf Rekordstand befindlicher globalpolitischer Unsicherheitsindex sorgt für erhöhte Kursschwankungen an den Aktienmärkten. Hinzu kommen zeitweise irritierende Meldungen von der Corona-Front.
Allerdings bedeutet dies nicht das Ende der Erholungsbewegung. Die Liquiditätshausse, das Fehlen einer veritablen Alternativanlageform und der harte Konkurrenz- und damit Investitionsdruck unter Vermögensverwaltern sind wichtige Stützpfeiler für Aktien.
Nur eine wider Erwarten dramatische zweite Infektionswelle mit umfangreichen Wiederschließungen der Wirtschaft würde große Aktieneinbrüche bewirken.
Sentiment und Charttechnik DAX - Verringerte Korrekturpotenziale
Aus Sentimentsicht zeigen sich Aktienanleger vergleichsweise entspannt: Der Market Risk Indicator der Bank of America Merrill Lynch misst Erwartungen am Terminmarkt bezüglich Kursschwankungen an den globalen Aktien-, Währungs- und Rohstoffmärkten. Bei Werten über Null deutet er auf zunehmende Marktrisiken und bei Werten darunter auf Risikoentspannung hin. Nachdem der Wert auf dem Höhepunkt der Corona-Krise bei rund drei lag, hat er sich aktuell deutlich auf knapp über Null zurückgebildet.
Charttechnisch liegt beim DAX auf dem Weg nach oben ein erster Widerstand bei 12.471 Punkten. Eine weitere Barriere folgt dann bei 12.764, bevor der Index Kurs auf die Marke bei 12.913 nimmt. Bei einer Fortsetzung der Korrektur liegt eine erste Unterstützung bei 12.141. Es folgen Haltelinien bei 11.968 und 11.828. Darunter findet der DAX bei 11.625 Punkten Halt.
Der Wochenausblick für die KW 27 - Konjunkturstabilisierung fasst Tritt
In Asien schreitet die chinesische Konjunkturstabilisierung laut den von der Finanzmediengruppe Caixin ermittelten Einkaufsmanagerindices für das Verarbeitende und Dienstleistungsgewerbe langsam voran. Japan steckt gemäß dem von der Bank of Japan ermittelten Tankan Index der Großindustrie für das II. Quartal tief in der Rezession.
In den USA haben die Industrieaufträge im Mai ihre Erholung eingeleitet. Zudem deutet der ISM Index für das Verarbeitende Gewerbe auf nachlassenden Konjunkturpessimismus hin, während sich der deutliche Stellenaufbau am US-Arbeitsmarkt auch im Juni fortsetzt.
In der Eurozone setzt sich der Desinflationstrend auch im Juni fort. In Deutschland schlägt sich die Wirtschaftsöffnung in einer allmählichen Belebung der Einzelhandelsumsätze im Mai nieder.
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Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG
Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:
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