Kommentar
08:35 Uhr, 24.04.2012

Die Börsen sind politischer geworden

Viele Anleger haben den starken Kursanstieg verpasst. Lohnt es sich jetzt noch einzusteigen?

Marco Herrmann: Wir hatten zu Jahresanfang durchaus eine positive Marktmeinung. Niemand hatte jedoch damit gerechnet, dass unser Kursziel von 7.200 Punkten bereits in den ersten drei Monaten erreicht wird. Schließlich sind die Probleme in der Eurozone noch relativ groß. Für ein Aktienengagement spricht jedoch die bessere Konjunktur und die Liquidität ist ausreichend vorhanden. Deswegen glauben wir, dass durchaus noch weiteres Potenzial vorhanden ist. Zumal noch mancher Anleger an der Außenlinie steht.

Thomas Metzger: Wir hatten eine ähnliche Meinung. Von dem Ausmaß des Kursanstieges waren wir daher überrascht. Wir gehen davon aus, dass die Märkte noch etwas weiter nach oben gehen. Bereits vergangene Korrekturen haben gezeigt, dass Anleger bereit sind, auch auf höheren Niveaus Aktien nachzukaufen. Gerade bei Zyklikern, Rohstoffaktien und Autos können wir uns daher vorstellen, dass es noch ein Stückchen weiter geht. Dann sollte man aber auch mal Gewinne mitnehmen.

Ihnen als Rentenspezialist kann das ja ziemlich egal sein, oder?

Dr. Bernd Früh: Nein überhaupt nicht. Der Rentenmarkt hat diese Entwicklung spiegelbildlich vollzogen. Wir haben einen gewaltigen Zinsrutsch erlebt, sehr viel Fluchtkapital schwappte in den Markt. Und von dem sich erholenden Aktienmarkt wird natürlich auch der Rentenmarkt betroffen sein. Das zeigt sich auch gerade. Wir stehen wahrscheinlich vor einer Phase steigender Zinsen.

Kann denn überhaupt eine Korrektur an den Märkten stattfinden, wenn die EZB ständig den Markt mit Geld flutet?

Dr. Bernd Früh: Konjunkturell wird ein positives Szenario untermauert. Da wird es schwierig für den Rentenmarkt, das derzeit niedrige Zinsniveau zu rechtfertigen, zumal wir derzeit eine erhöhte Inflationsrate haben. Tatsache ist jedoch: am kurzen Ende von deutschen Staatsanleihen bis hin zu drei- und vierjährigen Anleihen haben wir einen Zinssatz von unter 0,5 Prozent. Und bei einer Inflationsrate, die deutlich darüber liegt, hat man eine negative Realverzinsung. Man muss sich als Anleger schon fragen, ob man investiert bleiben will.

Sind deutsche Staatsanleihen sicher?

Dr. Bernd Früh: Das ist eine berechtigte Frage, vor allem vor dem Hintergrund der Haftungsprobleme aus dem EU-Rettungsschirm für Deutschlands. Im Augenblick genießen Bundesanleihen noch einen Bonitätsbonus.

Als Portfoliomanager betrachten Sie die Märkte übergeordnet. Wie gehen Sie mit der aktuellen Situation um?

Thomas Gerner: Ich sehe das Thema aus der Multi-Asset-Sicht. Wir können ganz verschiedene Assetklassen nutzen. Anstatt vermeintlich teure deutscher Staatsanleihen zu kaufen können wir in gutgeratete Unternehmensanleihen gehen. Auch defensive Aktienstrategien spielen heute eine wichtige Rolle.

Wie ist Ihre Sicht zur EU-Schuldenkrise?

Dr. Bernd Früh: Das Thema Staatspleiten halte ich für etwas überbewertet. Das Problem ist, dass bestimmte Peripherieänder in der Euro-Zone nicht mehr die geld- und devisenpolitische Hoheit haben. Auf Sicht mehrerer Quartale haben wir wohl konjunkturellen Rückenwind. Das erleichtert diesen Ländern und der Eurozone insgesamt, diesen Krisenmodus etwas zu entspannen. Das Problem wird uns aber wahrscheinlich wieder einholen. Denn die wahre Ursache ist, dass die südeuropäischen Länder nicht wettbewerbsfähig sind.

Macht es Sinn, gutem Geld schlechtes hinterherzuwerfen?

Dr. Bernd Früh: Das ist der fromme Wunsch der Notenbanken. Man löst die Probleme nicht, sondern verschleppt sie nur, später schlagen sie dann schlimmer zurück. Die Hoffnung ist, dass man die Schulden weginflationieren kann. Das ist Glaubenssache, ich glaube dies nicht. Wir haben Inflation heute nur in den Finanzmärkten, aber nicht in der Realwirtschaft.

Marco Herrmann: Nach dem zweiten Weltkrieg hat es aber funktioniert. In den USA hatte man auch einen im Prinzip manipulierten Zinsmarkt. Die Anleihezinsen schwankten zwischen 2 und 3 Prozent, während die Inflation zwischen 5 und 15 Prozent betrug. In knapp 10 Jahren haben sich die Staaten Real um rund 40 Prozent ihrer Verschuldung über Inflation entledigt. Das droht uns auch.

Dietmar Zantke: Das schaffen sie aber nur über entsprechendes Wachstum.

Marco Herrmann: Wir müssen Wachstum insgesamt anstreben, ob das dann real ist oder nur nominal, werden wir sehen. Keiner kann jedoch ein Interesse an höheren Zinsen haben, das kann sich keiner leisten.

Dietmar Zantke: Wenn die Inflation nicht nur auf dem Assetmarkt stattfinden soll, sondern wirklich in der Realwirtschaft, dann schaffen sie Inflation. Dann brauchen sie auch höhere Löhne.

Dr. Bernd Früh: Das ist ein frommer Wunsch. Die Frage ist doch, wie generieren ich nominales Wachstum? Schauen wir nach Japan: Seit dem Platzen der Immobilien- und Aktienblase vor 20 Jahren liegt das nominale Wachstum ungefähr bei 1 Prozent. Wo bleibt da Platz für Inflation.

Wir haben aber überhaupt keine effizienten Märkte mehr.

Dietmar Zantke: Das ist ja das große Problem. Der in den vergangenen Jahren gezahlte Preis war nicht nur ein Finanzbetrag in Milliardenhöhe, sondern auch ein massiver Demokratieabbau. Wir haben quasi eine Notenbank, die über allem steht, wir haben ineffizientere Märkte, als wir sie vorher hatten, die Korrelation funktioniert überhaupt nicht mehr, weil der Markt nur noch von Angst und der Politik betrieben ist. Der Glaube an das System ist bei vielen verloren gegangen.

Thomas Gerner: Gerade der Aspekt Zugriff des Staates auf das Vermögen der Anleger wird aus meiner Sicht ein ganz spannendes Thema. Die Herausforderung für den Anleger wird sein, wie schaff ich es überhaupt, mein Vermögen so anzulegen, um es vor dem Zugriff des Staates oder vor Inflation oder Deflation zu schützen.

Und wie schütze ich als Privatanleger mein privates Vermögen vor dem Staat?

Thomas Gerner: Man muss international denken und auch die Regeln beachten, die beim Anlegen generell gelten sollten: Das heißt, in mehreren Anlageklassen investieren. Der Deutsche neigt traditionell dazu, Sparbuch und Immobilie zu bevorzugen. Gerade bei der Immobilie ist der Zugriff des Staates einfach möglich, denn alle Immobilien sind über Grundbuchämter erfasst. Es wäre ja in der deutschen Geschichte nicht das erste Mals, dass man eine Immobilie mit einem Lastenausgleich belegt.

Thomas Metzger: Mit Aktien hat man auch Kriege überstanden. Aber sicherlich sollte man dabei international denken, nur in Deutschland investieren ist nicht optimal. Gerade deshalb ist der Multi Asset Ansatz wichtig, man muss dabei aber nicht nur geographisch Anlageklassen streuen, sondern insbesondere auch das Risiko diversifizieren, in dem man in jeder Assetklasse unterschiedliche Strategien einsetzt.

Muss sich der Anleger darauf einstellen, dass die auf- und Abwärtsphasen an den Börsen immer schneller werden?

Dr. Bernd Früh: Ich glaube schon. Die Börse ist politischer geworden. Und da die Krisen immer existenzbedrohlicher werden, muss die Notenbank immer unkonventioneller, noch aggressiver reagieren, um den Karren noch aus dem Dreck zu ziehen. Das bedeutet am Ende, dass es auch kurzatmiger wird und die Volatilität erhalten bleibt. Für Multi Asset Manager bedeutet das, dass man sehr aktiv die Portfolios steuern muss.

Wie sollten sich nun Anleger auf Sicht der nächsten 6 – 12 Monate verhalten?

Dr. Bernd Früh: Aus Sicht von drei bis vier Monaten sehe im Rentenmarkt, speziell bei Staatsanleihen, eine weiteranhaltende Korrektur, unter Umständen auch sehr scharf, weil sehr viel Fluchtkapital speziell in Bundesanleihen hineinmanövriert wurde, das auch wieder sehr flüchtig werden kann.

Thomas Gerner: Das Geld, das aus Staatsanleihen herausgeht, geht irgendwohin. Momentan sind es die Aktien, am Rohstoffmarkt ist noch nicht so viel passiert. Sollte die Weltkonjunktur im zweiten Halbjahr tatsächlich stärker werden, dann ist damit zu rechnen, dass sich auch am Rohstoffmarkt die Preise verteuern.

Thomas Metzger: Im Wesentlichen kann ich mich der Meinung meiner Vorredner anschließen. Wichtig ist eine Streuung nicht nur über Anlageklassen, sondern auch über Strategien. Es können also auch mal Absolut- Return Ansätze sein. Auch als sicher geltende Staatsanleihen würde ich ersetzen durch Unternehmensanleihen oder defensive Aktienstrategien. Sollte der DAX noch weitere 10 Prozent zulegen, würde ich wie zu Beginn erwähnt auch mal Gewinne mitnehmen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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Über den Experten

Markus Jordan
Markus Jordan
Finanzmarktanalyst

Markus Jordan ist seit knapp 20 Jahren im Wertpapierbereich aktiv. Er ist ein ausgewiesener Experte für Exchange Traded Funds (ETFs) und darauf basierende Anlagestrategien. Seit 2008 veröffentlicht er Deutschlands zudem das führende Magazin im Bereich Exchange Traded Funds (ETFs) – das EXtra-Magazin. Auf dem Internetportal www.extra-funds.de veröffentlicht er regelmäßig Fachbeiträge und News zum Thema passive Anlagestrategien. In zahlreichen Vorträgen und Webinare hat er in den vergangenen Jahren tausende Anleger von den Vorteilen passiver Anlageinstrumente überzeugt. Er steht für passive Anlagestrategien, Portfoliostrukturierungen mit ETFs und bietet Wissen und Strategien für einen langfristigen Kapitalaufbau und ist damit eine perfekte Ergänzung zu den aktiven Handelsstrategien vieler anderer Experten auf Guidants.

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