Kommentar
07:33 Uhr, 30.09.2014

Deutschland: die fetten Jahre sind vorbei

An Krisen mangelt es derzeit nicht. Deutschland kann sich davon nicht isolieren. Es hat aber noch ganz andere Probleme. Einen langfristigen Abstieg kann man nicht mehr ausschließen.

Aufschwung ade

Auf wundersame Weise ging die Eurokrise an einigen Ländern fast spurlos vorüber. Unter diesen wenigen Ländern war auch Deutschland. Während die Arbeitslosigkeit andernorts beängstigende Höhen erreichte, sank sie in Deutschland. Während in vielen Ländern die Wirtschaft dramatisch schrumpfte, konnte Deutschland Wachstum vorweisen. Während die Staatsschulden im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt fast überall explodierten, gingen sie in Deutschland zurück.

Die Liste lässt sich noch lang fortführen. So schön diese Vergleiche aber auch sein mögen, sie beschreiben letztlich doch nur die Vergangenheit. Auf dieser ruht sich Deutschland gerade aus. Das ist ein Fehler. Zudem steht Deutschland nur so gut da, weil es allen anderen viel schlechter geht. Das kann eigentlich nicht der Anspruch sein.

Die ersten dunklen Wolken ziehen am Horizont auf. Das Wachstum der „Konjunkturlokomotive“ Deutschland lässt nach. Im zweiten Quartal 2014 ist die Wirtschaft geschrumpft. Damit liegt Deutschland hinter Ländern wie Frankreich, Spanien, Portugal, Irland, Belgien, Schweden und Großbritannien. Deutschland liegt im zweiten Quartal gleichauf mit Italien. Das ist schon eine Überraschung. Ein einzelnes Quartal darf man sicherlich nicht überbewerten, aber man sollte es auch nicht ignorieren. Deutschlands Wachstum ist insbesondere von der globalen Wirtschaft abhängig. Durch die Abhängigkeit vom Export macht sich ein globaler Abschwung in Deutschland besonders deutlich bemerkbar. Im Aufschwung wächst Deutschland mehr als Länder, die ein ausgeglicheneres Verhältnis von Export und Konsum haben. Im Abschwung trifft es Deutschland dann stärker.

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Aktuell deutet die Wachstumsdynamik einen Abschwung an. Wenn Länder, die weniger vom Export abhängig sind, stärker wachsen, dann ist das oft das erste Signal für den Abschwung. Das Bild wird auch von den Auftragseingängen bestätigt. Industrie und Investitionsgüter konnten ihren starken Einbruch im Juni wieder ausgleichen. Dafür schwächeln Konsum und Bau erheblich. Das Gesamtbild zeigt keine hohe Dynamik an.

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Was ist da los, möchte man fragen. Will die Welt keine deutschen Produkte mehr? Das ist es wahrscheinlich nicht allein. Dennoch ist da etwas dran. Deutschland verliert langsam wieder an Wettbewerbsfähigkeit und andere Länder stehen nicht still. Plakativ ausgedrückt: auch Chinesen können inzwischen Maschinen bauen. Viel wird immer noch aus Deutschland bezogen, aber vergleichsweise immer weniger. Schuld daran sind die mangelnde Innovationskraft und teils mangelnde Investitionen. In diesem Fall ist die Regierung dafür sicherlich nicht allein verantwortlich, sondern insbesondere auch die Unternehmen, die hier viel verschlafen haben. Beispielhaft muss man sich nur Siemens anschauen. Das Unternehmen tritt seit dem Jahr 2000 auf der Stelle. 15 Jahre Stagnation zeugen nicht gerade von überlegener Innovationskraft...

Deutsche Unternehmen fallen in vielen Branchen zurück (ausgenommen ist natürlich die Autoindustrie). Das kann die Regierung alleine nicht richten. Sie muss sich auch mit ganz anderen Sorgen herumschlagen.

Schläft die Regierung?

Deutschland wird schrumpfen – und das nicht zu knapp. Das wissen alle. Eine Zeit lang wurde darüber so viel geredet, dass man es nicht mehr hören konnte. Getan hat sich allerdings nichts. Der demographische Wandel wird nach wie vor komplett ignoriert. Dabei ist er keine ferne Entwicklung, sondern etwas, was gerade passiert. Die Entwicklung ist langsam, weshalb es vielleicht an Dringlichkeit zu mangeln scheint und welcher Politiker will schon drastische Reformen zu verantworten haben?

Dabei wäre es höchste Zeit. Die Bevölkerung in Deutschland schrumpft bereits. Das statistische Bundesamt geht von einem Rückgang von ca. 0,5% jährlich bis 2060 aus. Damit würde die Bevölkerung von 82 Mio. auf 64 Mio. schrumpfen. Ein nicht so kleiner Teil der 64 Mio. wird in Rente sein. Irgendjemand muss das alles zahlen.

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Als Wundermittel gegen die Überalterung der Bevölkerung gilt Wachstum. Nachdem das Wachstum nicht aus einem Anstieg der Bevölkerung kommen kann, muss es durch Produktivitätsgewinne erzielt werden. Die Produktivität wächst in Deutschland nicht wesentlich schneller oder langsamer als im internationalen Vergleich. Das reicht aber nicht. Während in vielen Ländern die Bevölkerung wenigstens stagniert, schrumpft sie in Deutschland. Um das fehlende Bevölkerungswachstum über Produktivitätsgewinne wettzumachen, müsste die Produktivität sehr viel schneller anziehen. Das tut sie aber nicht. 0 bis 2% Zuwachs pro Jahr sind zu wenig. Der Durchschnitt sollte vielmehr bei 2-4% liegen.

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Schnelleres Produktivitätswachstum ist nicht in Sicht. Der Ausblick für Wachstum verwundert daher auch nicht. Die OECD geht in den kommenden Jahrzehnten von einem deutlich niedrigeren Wachstum für Deutschland aus. Die nächste Grafik zeigt das historische Wachstum in Deutschland und zum Vergleich auch das von Japan sowie die OECD Prognose. Diese passt interessanterweise ziemlich gut zur Projektion des 5-Jahresdurchschnitts und wäre die natürliche Fortsetzung der Entwicklung der letzten Jahre. Der Trend zeigt deutlich nach unten und dürfte sich bei ca. einem Prozent BIP Wachstum pro Jahr einpendeln.



Droht der Kollaps?

Ob der Kollaps droht, sei dahingestellt. Japan befindet sich in der Entwicklung einige Jahre voraus. Hier lohnt ein regelmäßiger Blick in den fernen Osten. Die Japaner kämpfen ja gerade mit allen Mitteln gegen die Stagnation und den weiteren Niedergang. Wir werden sehen, ob das Experiment dort gelingt. Tut es das, dann gibt es sicherlich auch für Deutschland Hoffnung.

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Letztlich wird es aber schwer mit der Notenpresse gegen Überalterung anzukämpfen, abgesehen davon, dass Deutschland keine eigene Notenpresse mehr zur Verfügung hat. Ohne große Einwanderung sieht es düster aus. Die Eurokrise wäre die Gelegenheit gewesen, mehr qualifizierte Zuwanderer in Deutschland zu begrüßen. Geschehen ist fast nichts. Man darf also daran zweifeln, dass auf wundersame Weise Deutschland über Zuwanderung die Kurve kriegen kann. Es hilft auch nicht gerade, dass deutsche Unternehmen an Wettbewerbsfähigkeit einbüßen, weil die Innovationskraft nachlässt. Das Exportmodell wird so nicht ewig weiter Bestand haben können.

Ein unterdurchschnittliches Exportwachstum könnte durch den Binnenmarkt ausgeglichen werden. Seit Jahren wird Deutschland aufgefordert, mehr zu konsumieren. Wie aber soll das gehen, wenn einerseits die Einkommensschere immer weiter aufgeht und anderseits jegliche Steuerreform zur Entlastung des Mittelstands beharrlich vermieden wird?

Wie man es dreht und wendet, es geht bergab. Nicht dramatisch und nicht von heute auf morgen, dafür aber konsequent jedes Jahr ein bisschen. Das wird nicht zum Kollaps führen. Deutschland hat immerhin einen großen Vorteil: es baut im Vergleich zur Wirtschaftsleistung Schulden ab und bewahrt sich so etwas mehr Spielraum für die Zukunft. Der Spielraum könnte noch viel größer sein, wenn die Regierung nicht Geldgeschenke in 100 Mrd. Höhe verteilt hätte...

Zugute kommen Deutschland auch die extrem niedrigen Zinsen. Das sind inzwischen schon fast japanische Verhältnisse. Für Schulden zehnjähriger Laufzeit werden aktuell Renditen unterhalb der 1% Marke erreicht. Das wird vielleicht nicht ewig so weitergehen, ein rasanter Anstieg auf 5% ist allerdings auch nicht zu erwarten. So, wie sich Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum derzeit darstellen, wird es in Deutschland ähnlich zu Japan deflationäre Tendenzen geben. Das hält die Renditen niedrig.

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Wenn trotzdem nichts mehr hilft, dann kann man auch zu ganz anderen Mitteln greifen. Man kann sich einfach reich rechnen. Die Generalrevision der Berechnung des Bruttoinlandsproduktes erhöht das BIP Deutschlands um ca. 3% und schon sind auch die Schulden wieder geringer.

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Wie es der Zufall im übrigen so will, erhöht sich das BIP um ziemlich genau jenen Betrag, den die Rentenreform gekostet hat. Würden die Mehrausgaben dafür komplett durch Schulden finanziert, dann fiele das gar nicht mehr auf.

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19 Kommentare

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  • netzadler
    netzadler

    ​Hauptfaktoren für die zukunftsfähigkeit sind Geburtenrate und Bildung, insofern wird herr schmale zu 99% recht behalten. der 1% rest sind krieg und Revolution, deren Ergebnisse nach allen seiten offen sind.

    fehler liegt im kapitalistischen System und dem im System transportierten materiellen wertecodex, in dem jeder für sich selbst verantwortlich ist bzw. gemacht wird und daher insgesamt nur unzureichende Ressourcen für den qualitativen fortschritt einer Gesellschaft bereitstellen kann oder will.

    dazu trägt auch die ungleichverteilung von Reichtum bei, die einhergeht mit gesellschaftlicher und politischer machtverteilung. hier müsste die Politik handeln, aber natürlich nicht als einzelstaat.

    wenn die entwickelten Staaten realisieren, dass sich im selben boot sitzen, wäre schon etwas gewonnen, aber derzeit wird immer noch versucht, sich über die währungswechselkurse gegenseitig auszuspielen.

    künftiges Wachstum scheint nicht unmöglich, sinnvoll jedoch nur, wenn mensch und Natur davon profitieren (Gesundheit, Umweltschutz).

    die zukunftsaufgaben sind höchst anspruchsvoll, höhere Bildung zur Beseitigung des Fachkräftemangels (Zuwanderung ist ein Witz, weil die Leute anderswo fehlen). dazu müsste die Gesellschaft eine Geburtenrate von mindestens 2,0 "organisiert" bekommen. diese Prozesse zeigen erst in Jahrzehnten erfolge, man muss es also idealistisch betrachten und wollen.

    wenn das nicht klappt bleibt nur der geordnete Rückzug, den ich der ultimativen Katastrophe immer noch gern vorziehe

    09:13 Uhr, 01.10. 2014
    1 Antwort anzeigen
  • moneymaker22
    moneymaker22

    Guter Artikel kann man im großen und ganzen so zustimmen, @german2, wir haben die DDR schon zurück, wer mit offenen Augen durch die Strassen geht sieht das auch, nur Vorsicht sonst fällt man in eines der Schlaglöcher in der Strasse, weiter Beispiele Berliner Flughafen BER, Hamburg Elbphilharmonie und neustes der riesige Schrottplatz Bundeswehr, hier in Berlin ist das dann gut zu beobachten, wenn denn nach 20 Jahren Bauzeit mal zwei U-Bahn Stationen und 100 Meter Strasse fertig werden sind wir natürlich die Größten und feiern das dann 2 Wochen lang

    06:59 Uhr, 01.10. 2014
  • fallenangel
    fallenangel

    14:52 Uhr, 30.09. 2014
  • 3 Antworten anzeigen
  • Daniel Kühn
    Daniel Kühn

    ​Interessant und zu dem Kontext passend auch folgender Artikel von Simon Hauser: http://www.godmode-trader.de/artikel/deleveraging-what-deleveraging,3901506

    08:43 Uhr, 30.09. 2014
  • TheKingOfUm
    TheKingOfUm

    ​Ich kann meinem Vorredner nur zustimmen. Die nüchterne Analyse von Fakten und das Ziehen von Schlussfolgerungen daraus, ohne gleichzeitig politisch motiviert auf den jeweiligen vermeintlich Schuldigen einzuschlagen, ist sonst selten zu finden.

    Zum Thema des Artikels: Man bemerkt in Deutschland eine zunehmende Selbstzufriedenheit. Wir sind die besten, wir sind die fleißigsten, wir sind die schlausten, die Griechen sollen sich mal ein Beispiel an uns nehmen und nicht den ganzen Tag in der Sonne liegen, und überhaupt, Fußballweltmeister sind wir auch, uns kann keiner was. Wenn ein Land so satt ist, so zufrieden mit dem Erreichten, so besitzstandswahrend, so unwillig sich aus seiner Komfortzone herauszubewegen; dann wird es unbeweglich, und während es sich noch zufrieden seinen dicken Bauch sonnt, wird es links und rechts von agileren, hungrigeren Ländern überholt.

    08:34 Uhr, 30.09. 2014
  • Acheloos
    Acheloos

    ​Wieder ein sehr guter und tiefgehender Artikel. Ich lese Ihre Beiträge mit großem Interesse .

    08:29 Uhr, 30.09. 2014
  • Löwe30
    Löwe30

    Was die Projektionen in die Zukunft betrifft, so fällt mir dazu spontan Ludwig von Mises ein: „... den mathematischen Nationalökonomen [fehlt] die Erkenntnis, dass menschliches Handeln mit künftigen Verhältnissen zu tun hat, über die nichts Sicheres bekannt ist. Wenn man von der Unbestimmtheit der künftigen Dinge absieht, kann man freilich großartige mathematische Kartenhäuser bauen.“

    Was ist beispielsweise, wenn noch mal ein solcher Einbruch beim Produktivitätswachstum oder den Auftragseingängen erfolgt wie 2008?

    Was ist wenn die Flüchtlingswellen, die z.Z. die nach Deutschland schwappen, ungezählte gering qualifizierte Menschen nach hier bringt und die Produktivität deutlich sinken lässt?

    Was ist wenn die Motivation der Leistungserbringer deutlich einbricht, oder diese in Scharen unser Land verlassen, weil die Regierung beschließt die Steuern für die "Wohlhabenden" deutlich zu erhöhen (siehe Frankreich)?

    Usw...

    Zu den Irrtümern der keynesianischen Mainstreamökonomen mehr hier:

    http://www.misesde.org/?p=7511

    08:29 Uhr, 30.09. 2014

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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