Kommentar
11:42 Uhr, 19.10.2014

Deutschland: 40 Jahre Stagnation und kein Ende in Sicht

Der IWF drängt Deutschland mehr zu investieren. Deutschland hält dagegen: Deutschland muss Stabilitätsanker in Europa bleiben. Das mag sein, doch der Preis der Stabilität ist Stagnation.

Vielleicht erinnern Sie sich noch an die Schwarz-Gelbe Koalition und Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, der vom „Aufschwung XXL“ in Deutschland nach der Finanzkrise schwärmte. Die Zeiten sind lange vorbei. Das Wachstum 2010 war mit 4% beeindruckend. Zuvor hatte die Wirtschaftsleistung aber auch über 5% nachgegeben. Seit Beginn der Finanzkrise steht das Gesamtplus bei lediglich 3,5%. Auf knapp 6 Jahre gerechnet ist das nicht viel.

Ich will nun aber gar nicht weiter darauf herumreiten, dass sich Deutschland weder im Aufschwung befindet noch Konjunkturlokomotive ist. Vielmehr geht es mir um die langfristige Entwicklung der Wirtschaft. Hier scheinen die vergangenen Jahre eine Besonderheit zu sein. Zumindest wird es häufig so dargestellt. In Realität waren die vergangenen Jahre zwar volatiler, unterm Strich hat sich aber nicht viel im Vergleich zu den letzten 40 Jahren getan.

Das merken vor allem die Menschen in Deutschland. Deutschland wird immer als Wohlstandsland bezeichnet. Viele Länder sehen in Deutschland ein Vorbild. Ob das gerechtfertigt ist, sei dahingestellt. Einerseits entwickelt sich Deutschland relativ stabil und nach den Makrodaten auch sehr gut. Anderseits bekommen die Menschen davon sehr wenig mit.

Ich kann in diesem Zusammenhang immer nur die Frage stellen: Was nützt Wachstum, wenn es bei den Menschen nicht ankommt? In Deutschland geht das Wachstum seit Jahren fast komplett an den Menschen vorbei. Die Reallöhne entwickeln sich so schwach wie schon lange nicht mehr. Im Durchschnitt steigen sie noch leicht an, aber eben nur im Durchschnitt. Das liegt daran, dass die hohen Einkommen steigen während die mittleren und unteren Einkommen stagnieren oder sogar zurückgehen.

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Geschichtlich ist diese extrem lange Phase der Stagnation ungewöhnlich. Zur Jahrhundertwende (19. auf 20. Jahrhundert) gab es einen regelrechten Wachstumsschub. Die Reallöhne stiegen um ein Viertel innerhalb eines Jahrzehnts. Vor dem Ersten Weltkrieg kam es zu einer starken Abflachung des Aufwärtstrends. Wie sich die Löhne zur Kriegszeit entwickelten kann man kaum sagen. Die Daten sind dünn und teils widersprüchlich. Die Daten ab Mitte der 20er Jahre sind wieder zuverlässiger. Demnach schrumpften die Reallöhne durch Krieg und Hyperinflation um mindestens ein Fünftel.

Die Jahre bis zum Zweiten Weltkrieg waren sehr volatil. Zuerst gab es nach dem wirtschaftlichen Chaos einen bis dato ungesehenen Aufschwung. Dieser endete allerdings jäh mit dem weltweiten Abschwung Anfang der 30er Jahre. In dieser Zeit sanken die Reallöhne um knapp 20%. Es wird immer nur von der Großen Depression in den USA geredet. Viel besser war es in Deutschland und anderen Ländern weltweit auch nicht.

Der Zweite Weltkrieg spricht für sich selbst. Nach dem Krieg war Deutschland wieder soweit wie kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Die Zeit des Wirtschaftswunders danach ist außergewöhnlich. Eine so lange Phase des Booms sieht man selten. Gut 30 Jahre lang ging es steil bergauf. Seit Mitte der 70er Jahre ist das Wirtschaftswunder vorbei – zumindest für die Bevölkerung. Von den Aufschwungphasen kommt beim Durchschnittsbürger nichts mehr an und das seit ca. 40 Jahren.

Unsere Politiker haben eine ganz klare Meinung zur weiteren Entwicklung: weiter so. Es ist richtig, den Wünschen nach massiven Konjunkturprogrammen nicht einfach so nachzugeben. Es hilft letztlich nicht, wenn Deutschland sich jetzt auch noch weiter verschuldet und (wie es Bundesbank-Chef Jens Weidmann sagte) ein konjunkturelles Strohfeuer entfacht. Die Devise „weiter so“ ist nun aber auch nicht wirklich eine Aussicht, die sonderlich schön ist. Ein klein wenig dürfte man schon wagen, zumal der Investitionsstau auch langfristig auf dem Wohlstand lasten wird.

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49 Kommentare

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  • student
    student

    ​Löwe 30

    schau doch mal auf Hayeks Mont-Pélerin-Society, und welche Mitglieder sie seit ihrer Gründung hatte. Das sind die ewig gestrigen, die mit Industrialisierung nichts am Hut haben und das Rad des technologischen Fortschritts zugunsten von Wohlstand für die Bevölkerung zurückdrehen wollen. Dagegen wird die Technologie gutgeheißen, die der Unterhaltung und Kontrolle der Bevölkerung dient. Das ist der feine Unterschied.

    12:05 Uhr, 21.10. 2014
    1 Antwort anzeigen
  • student
    student

    ​Ein Aufschwung in Deutschland stellt für mich kein Problem dar: die Bevölkerung, die man am Wohlstand durch satte Lohnzuwächse teilhaben lässt, muss wachsen und/oder hochwertiger konsumieren. Die Stagnation korreliert direkt mit der Vergreisung und dem fehlenden Konsum der Gesellschaft.

    Ergo: ein alter Mensch hat eine ganz andere Bedürfnisstruktur als ein Heranwachsender, der später eine Familie gründen will. Vorausgesetzt, er verdient dafür genug Geld.

    Wenn sich die Bevölkerung verjüngt, so steigt auch wieder der Konsum.

    Aller Arbeit und wirtschaftlichem Handeln liegen die B e d ü r f n i s s e des aktiven Menschen zugrunde. Erst kommt die Nachfrage durch den Menschen, dem hat sich die Wirtschaft anzupassen! Alles andere ist Überproduktion, Verschwendung oder Mangelwirtschaft.

    19:22 Uhr, 20.10. 2014
    1 Antwort anzeigen
  • Löwe30
    Löwe30

    ​Sehr guter Artikel. Danke!

    Die Grafik zeigt auch, dass es eben nichts nützt Geld aus dem Nichts zu Schöpfen - was nach der Aufhebung des Goldstandards durch Nixon ja leicht möglich war - denn das führt nur dazu, dass das neue Geld den bereits wohlhabenden zufließt.

    In die 1970er Jahre fällt zusätzlich zur Aufhebung des Goldstandards ja auch die Durchsetzung einer extrem hohen Lohnforderung der ÖTV (Heinz Kluncker). Was wiederum zeigt, dass überhöhte Lohnforderungen zur Arbeitslosigkeit führen und die gesamtwirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft geschwächt wird.

    Konjunkturprogramme a la Keynes führen immer nur zu Scheinblüten ohne nachhaltiges Wachstum. Es kommt dann immer wieder zu Wirtschaftseinbrüchen, die zu immer neuer Arbeitslosigkeit führen, aus der die Menschen nur schwer wieder heraus kommen.

    Der Staat ist halt ein schlechter Investor. Wenn private nicht investieren, ist das ein Zeichen dafür, dass es sich nicht lohnt. Dann ist etwas faul im Staate und es nützt nicht wenn die Politik, die in aller Regel von Ökonomie so viel versteht wie meine Katze, da versucht Unternehmer zu spielen.

    Nach meiner Überzeugung wird es nun endlich Zeit mal Keynes in den Orkus der Geschichte verschwinden zu lassen und sich an Hayek und den Ökonomen der Österreichischen Schule der Nationalökonomie zu orientieren. Ganz wesentlicher Bestandteil einer solchen Ökonomie wäre dann, ein anderes Geldsystem, denn das größte Übel unserer Zeit ist der "Geldsozialismus" (Roland Baader).

    09:12 Uhr, 20.10. 2014
    1 Antwort anzeigen
  • MDADVISORY
    MDADVISORY

    ​Der Aufschwung nach dem II. Krieg war logisch. Deutschlands Kapitalstock war auf 0 dezimiert. Da kann es nur wachsen. Was man seit ca. 20 Jahren sieht, ist folgendes: Keine großen Produkitivitäszuwächse mehr und eine stagnierende Bevölkerung. Da kann nix mehr wachsen. Sollte die Bevölkderung wie prognostiziert in den nächsten Jahren langsam sinken, wird es seitens des BIP Wachstums noch mauer. Denn Produktivitäszugewinne wird es hier (außer es gibt ganz neue Innoviationen) in Deutschland nicht mehr geben - die finden woanders statt.

    Das einzige was Deutschland helfen würde, wäre den Fokus auf qualifizierte Einwanderung zu legen und diese deutlich zu unterstützen. Beispiel BWM: In München arbeiten über die Hälfte der Mitarbeiter in Forschung und Entwicklung. So leid es mir tut - aber Schrauber und Schweisser brauchen wir hier nicht mehr (bitte nich falsch verstehen). Wir sind auf dem Sprung raus aus dem tertiären Sektor, rein in den sekundären Sektor. Die Frage ist nur, ob das gelingt.

    08:47 Uhr, 20.10. 2014
    1 Antwort anzeigen
  • 280a
    280a

    ​Dazu möchte ich noch erwähnen dass sich die Kurve abflacht als der Goldstandard 1971 von Nixon aufgehoben wurde und er damit die ganze Welt betrogen hat! Alles nur Zufall?

    23:48 Uhr, 19.10. 2014
    1 Antwort anzeigen

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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