Kommentar
08:01 Uhr, 11.07.2008

Der Zertifikatemarkt ist tot, es lebe der Zertifikatemarkt

Na, auch noch flugs Steuern gespart und vor dem 30. Juni 2008 schnell noch ein paar Zertifikate gekauft? Und dabei heißt es doch immer, man sollte nicht allein aus Steuergesichtspunkten Investitions-Entscheidungen treffen, noch dazu in einem Markt wie diesem, der noch immer keinen Boden zu finden scheint. Also kräftig ins fallende Messer gefasst, was? Das ist aber doch schließlich immer noch besser, als die restlichen sechs Monate des Jahres nur noch neidvoll auf die angelaufene Marketing-Maschinerie der Fondsgesellschaften zu blicken, die sich vom Gesetzgeber bewusst protegiert, ihrerseits anschicken, steueroptimierte Produkte für die Ewigkeit zu stricken.

Oder sollte man im zweiten Halbjahr doch noch etwas tun, vielleicht sogar umfallen und sein letztes freies Kapital in schnuckelige neue ETF’s oder aktiv gemanagte Dachfonds stecken? Nein, das käme doch wirklich einer Art von Fahnenflucht gleich. Schließlich ist man von seinen „Strukturierten“ überzeugt und auch davon, dass die jetzt wieder ins Blickfeld des Anlegerinteresses gerückten entsprechenden Fondshüllen nur eine Art „Staffage“ darstellen, mit hohen Kosten belastet und dafür auch noch mit Renditen ausgestattet, die den Steuervorteil schnell wieder auffressen. Nur dass man am Ende von sich sagen kann, dass man Steuern gespart hat. Nein, das muss doch wirklich nicht sein, wobei wir ja wieder beim Thema wären.

Aber wie sieht es die Branche selbst. Wie will man dort angesichts schon deutlich zurückgegangener Umsätze die saure Gurkenzeit überstehen und womit den Anleger künftig bei Laune halten. Das Institutionellen-Magazin „Der Zertifikateberater“ hat bei 28 Emissionshäusern hinter die Kulissen geblickt. Dabei zeigt sich eine ganz eindeutige Tendenz, die sich bei den Neuemissionen auch schon seit längerem beobachten lässt: Der Trend zum vollständigen Kapitalschutz. Bisher als Finanzinnovation noch steuerlich benachteiligt, drängen Garantie-Produkte jetzt ebenso wie auch in etwas eingeschränkterer Form Reverse Convertibles besser bekannt als Aktien- oder Index-Anleihen als Substitut für Discounter ins Rampenlicht. Kaum ein Anbieter kann es sich künftig leisten, den Garantiesektor nicht mit den unterschiedlichsten Konstruktionen und Basiswerten zu beackern. Die aktuell sehr angeschlagenen Märkte tun ihr Übriges dazu. Man kennt ja das zyklische Anlegerverhalten: Je weiter die Märkte ins Abseits geraten, desto lauter wird auch der Ruf nach Sicherheit, auch wenn volatilitätssensitive Teilschutz-Produkte mit intelligenten Absicherungslösungen möglicherweise die bessere Wahl wären.

Bei den zugrundeliegenden Basiswert-Segmenten zeigt sich inzwischen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Aktien und Rohstoffen, die als aktuell einziger Boommarkt längst ihren bloßen Beimischungscharakter verloren haben und gezielt aus Rendite- und zunehmend auch Inflationsschutz-Gründen erworben werden. Einige Emittenten nehmen gerade die hohe Teuerungsrate zum Anlass, um seit kurzem diverse inflationsgebundene Papiere anzubieten. Ein weiterer Trend könnte vielleicht auch darin bestehen, dem Anleger eine Art Zertifikate-Baukasten an die Hand zu geben, mit der er auch künftig etwas aufwendiger herzustellende Strukturen, die entsprechende Barrieren-Optionen erfordern, zusammenbasteln kann, wie es die WestLB aktuell mit ihrem Bonus-Bausätzen versucht. Schließlich ist Deutschland ja auch das Land der Heimwerker und so manche Tüftelei könnte am Ende den Steuerfrust auch ein wenig in den Hintergrund treten lassen.

Überhaupt sehen viele Anbieter die ganze Abgeltungssteuerproblematik sowieso längst nicht so eng. Warum auch, werden sie doch auch weiterhin Produkte liefern, die extrem zeitnah genau auf die Bedürfnisse des Anlegers zugeschnitten sind. So kann sich dieser ja immerhin damit trösten, dass die steuerliche Orientierung an der 12-Monatsfrist wegfällt und jetzt Renditefaktoren wie die Dividendentermine die Oberhand bei der Anlageentscheidung gewinnen. Inwieweit das auch zu einem verstärkten Interesse an „Kurzläufern“ führen wird, bleibt allerdings abzuwarten.

Vor einem Risiko können aber auch alle noch so wohlgemeinten Worte und Durchhalteparolen einzelner Emittenten nicht schützen und das sind sie selbst bzw. deren Bonität, wie sich nicht zuletzt am Fall Bear-Stearns oder an den Gerüchten um Lehman zeigte. Bleibt nur zu hoffen, dass solche Beispiele auch in der finstersten Stunde der Kapitalmarktkrise nicht weiter Schule machen und auch andere Geschäftsbanken unter Generalverdacht gestellt werden, wie schon von so manchem Discount-Broker beklagt wurde.

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Über den Experten

Armin Geier
Armin Geier

Armin Geier beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren sehr intensiv mit Anlage-Zertifikaten. Begonnen hat sein berufliches Interesse im Jahr 2000, als er bei einem Münchner Internet-Portal über mehrere Jahre die erste Datenbank für diese spezielle Materie aufbauen konnte und dadurch die rasante Entwicklung dieser Spezies damals noch ganz hautnah Produkt für Produkt mitbekam. Wie sehr sich die Zeiten seitdem verändert haben, kann man allein an der Explosion der Produktzahl von anfangs nicht einmal 3.000 auf heute über eine Million Stück erkennen. Bei seinen nächsten Stationen wechselte er dann ganz in den journalistischen Bereich über, ohne seine Vorliebe für die diversen Produktstrukturen aufzugeben, an denen ihm nach wie vor gerade wegen ihrer asymmetrischen Chance-Risiko-Profile sehr gelegen ist. Insbesondere interessiert ihn dabei die Möglichkeit, aus Einzelansätzen langfristig funktionierende Strategien zu entwickeln. Leider wird dieser Zielsetzung seit Lehman vor dem Hintergrund einer immer kurzfristigeren Denkweise an den Märkten von Emittentenseite immer weniger entsprochen. Bei der BörseGo AG/Godmode-Trader ist Armin Geier seit sechs Jahren mit journalistischen Beiträgen in diversen Rubriken und Publikationen als Experte für Anlage-Zertifikate präsent.

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