Kommentar
15:55 Uhr, 19.05.2020

Der Traum von der schnellen Erholung der Wirtschaft

Zu Wochenbeginn erlebten wir wahre Kaufpanik. Verantwortlich dafür ist der hartnäckige Optimismus, dass die Krise schnell überstanden sein wird.

Der Aktienmarkt ist derzeit kein Schnäppchen. So mancher Starinvestor bezeichnete die Überbewertung als die zweithöchste der Geschichte. Auf Rang 1 steht die Internetblase. Damals lag das KGV des S&P 500 auf Basis der erwarteten Gewinne bei 25. Aktuell liegt der Wert bei 21. Das ist deutlich höher als in all den Jahren nach Platzen der Internetblase und in all den Jahren davor. Anleger lassen sich trotzdem nicht aus der Ruhe bringen. Es ist ja kein Geheimnis, dass die Gewinnentwicklung kurzfristig negativ ist – und negativ ist sie. Bereits im ersten Quartal fiel der Gewinn der S&P 500 Unternehmen um insgesamt 15 %. Das war schlimm, es wird aber noch schlimmer. Im zweiten Quartal soll es 40 % nach unten gehen. Dass der Markt dennoch nicht fällt, liegt am Ausblick. Bereits für Ende 2021 werden wieder Rekordgewinne prognostiziert. Diese Prognose macht nur Sinn, wenn man an die V-förmige Erholung glaubt. In einem Jahr darf es keine Spuren der Krise mehr geben. Andernfalls gehen die Gewinnschätzungen nicht auf. Wie wahrscheinlich das ist, kann man sich denken.


Die Gewinnschätzungen für Ende 2021 kann man als extrem bezeichnen (extrem optimistisch). Das andere Extrem ist eine Wiederholung der Finanzkrise. In diesem Fall stehen die Gewinne Ende des nächsten Jahres nicht auf Rekordniveau, sondern wieder auf dem Niveau aus dem Jahr 2010. Das aktuelle Kursniveau lässt sich da schlichtweg nicht rechtfertigen.

Die Wahrheit liegt vermutlich zwischen den Extremen. Dies entspricht dem blauen Punkt in Grafik 3. Dieser stellt dar, was in einer normalen Rezession geschehen würde. Auch in diesem Fall ist das Kursniveau zu hoch. Der S&P 500 sollte ca. 10 % tiefer stehen.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Markt noch einmal weiter zurückkommt. Der Zeitpunkt dafür ist schwer zu bestimmen. Anleger müssen für einen Rücksetzer erst den Glauben an eine schnelle Erholung verlieren. Dies kann auf zwei Arten geschehen. Entweder kommt es zu einer zweiten Infektionswelle. Dann kann man die Risiken für die Gewinnschätzungen kaum mehr ignorieren. Oder es zeigt sich in den tatsächlichen Daten, dass die Erholung länger dauert.

Ohne zweite Infektionswelle kann sich der Markt noch lange in der Überbewertung befinden. Die Wirtschaft öffnet in den meisten Ländern wieder. Das sorgt in den meisten Datensätzen erst einmal für einen Sprung nach oben und das wiederum nährt die Hoffnung auf eine schnelle Erholung.

Erst wenn dieser erste Sprung nach oben abebbt und das Wachstum danach stockt, wird klar, dass zu viel Optimismus im Markt ist. Vor Ende des Jahres ist damit nicht zu rechnen. Ohne zweite Infektionswelle müssen Anleger im besten Fall noch lange auf eine weitere Korrektur warten.

Clemens Schmale


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3 Kommentare

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  • mkronen
    mkronen

    Herr Schmale, vielen Dank für die Spot-Lights aus verschiedenen Perspektiven auf die Börsenentwicklung !

    Was den Markt angeht : Hier gibt es erhebliche Schieflagen. Wir haben eine Schuldenkrise und das ganze Notenbankgeld stranguliert die junge Generation zunehmend.

    Vom Handelskrieg China-US muss man gar nicht reden. Das blendet der Markt komplett aus. Stattdessen springt er auf Werbe-PR eines Impfstoff-Börsengangs an. Rational ist das nicht.

    08:57 Uhr, 20.05.2020
  • Data75
    Data75

    An diese größeren Rücksetzer kann ich schon längst nicht mehr glauben auch wenn es diverse wirtschaftliche Gründe gibt. Wenn der Markt jetzt noch ein paar Wochen so weiter rennt, bringt einer stärkerer Rücksetzer ihn auch nur auf das aktuelle Niveau. Eine zweite Viruswelle, die nach allen Erfahrungen immer kommt, könnte das auslösen. Auch dann wird zur Not die Fed die Firmenanleihen kaufen. Diese letzte Linie ist auch bereits überschritten. Größere Einbrüche, die die Realwirtschaft abbilden halte ich -leider- für nicht mehr zeitgemäß.

    18:15 Uhr, 19.05.2020
    1 Antwort anzeigen

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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