Der Smallcap-Wikifolio-Wahnsinn
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Ich bin ein absoluter Fan von Nebenwerten. Abseits vom Mainstream unterbewertete Aktien auszugraben, macht mir persönlich jede Menge Spaß. Meine Stammleser auf GodmodeTrader dürften an der einen oder anderen Smallcap-Analyse in den vergangenen Jahren auch gut verdient haben.
Was im Nebenwerte-Bereich in den vergangenen Monaten aber „abging“, und anders kann man es fast nicht formulieren, erinnert mich stark an den Hype zu Neuer-Markt-Zeiten. Werte, für die sich zuvor niemand interessierte, vervielfachten sich plötzlich innerhalb kürzester Zeit. Ein Chart nach dem anderen wies fahnenstangenähnliche Züge auf. KGVs explodierten auf 25, 30, 40. Die Gier griff um sich. Nun sieht man langsam, wie die Blase platzt. Ein Beispiel dafür ist die Aktie von bet-at-home. Doch was war eigentlich passiert?
Multimillionen-Wikifolios investieren in Smallcaps
Meiner Einschätzung nach ist dieser Hype zu einem Großteil auf den Trend, in Wikifolios zu investieren, zurückzuführen. Hier entstand eine regelrechte Sogwirkung. Bei Privatanlegern sind Nebenwerte sehr beliebt, viele Wikifolio-Trader füllen ihre Depots mit Smallcaps. Die gute Performance so manchen Traders zog weitere Gelder an, die wiederum in die bestehenden Nebenwertepositionen investiert werden mussten. Die Hausse nährt die Hausse, heißt es so schön. Im Falle der Smallcaps könnte man sagen, der Hype nahm stetig zu.
Verwundern kann das keinen, denn auch durch viele Kommentare auf GodmodeTrader sieht man, dass der Blick der Anleger einzig und allein auf die Performancedaten geht. Mit welchem Risiko ein Trader diese Performance erzielt hat, da hört es bei der Analyse der meisten dann auch schon wieder auf. Interessenten gehen also auf die Wikifolio-Seite, suchen sich die besten Performer der letzten drei oder sechs Monate aus und schon ist das Geld investiert.
Die Konsequenzen, die sich daraus ergeben haben, sind nicht zu unterschätzen. Inzwischen haben Smallcap-Wikifolios Volumina von mehreren Millionen Euro erreicht, das Top-Wikifolio nach Volumen liegt bereits über 30 Millionen Euro und hat ebenfalls ausnahmslos Smallcaps gekauft. Warum ist das grenzwertig?
Risiko- und Moneymanagement oftmals kein Thema
Die Trader auf Wikifolio traden ein fiktives Portfolio. Beispielsweise ist dieses Portfolio mit fiktiven 100.000 Euro bestückt. Wenn ein Trader nun 10 Prozent dieses Portfolio in einen Smallcap steckt, wären das 10.000 Euro. Das kann im Einzelfall bei sehr marktengen Werten im „echten Leben“ auch schon viel sein. In der Regel sollte es aber kein Problem darstellen. Nun ist ein Trader über einige Monate hinweg erfolgreich, hat sogar mehrere Millionen Euro an Geldern einsammeln können: Wir gehen einmal von 5 Millionen Euro aus. Behält er nun seine Strategie bei, investiert er fiktiv in seinem vielleicht bei inzwischen 150.000 Euro stehenden Depot erneut 10 Prozent des Volumens, also 15.000 Euro. In der Realität bewegt er damit aber nicht mehr 15.000 Euro, sondern bereits 500.000 Euro.
Trader, die Erfahrung haben und gutes Risiko- und Moneymanagement betreiben, würden nun ihre prozentuale Depotgewichtung natürlich enorm herunterfahren. In der Realität ist es aber so, dass viele Trader in ihren Wikifolios nicht umstellen. Sie investieren weiterhin gleichgewichtet, beispielsweise in 10 Positionen à 10 Prozent.
Müssen nun Positionen verkauft werden, würden auf einen Schlag mehrere 100.000 Euro bewegt. Im Falle eines Verkaufs dürfte das diverse Smallcaps prozentual zweistellig nach unten drücken. Im Falle eines Kaufs macht der Wikifolio-Betreiber sich den Kurs dagegen quasi „selbst“, sorgt durch seine große Order für gehörigen Kaufdruck und einen Kursschub in der Aktie. Andere Trader sehen das, teilweise auch in ihren Wikifolios, springen auf, und der Trend verselbstständigt sich.
Alles auf eine Karte
Einzelne Trader sind mir bereits aufgefallen, die bis zu 40 Prozent (!!!) ihres Portfolios in einen einzigen Wert stecken, in die Aktie und zusätzlich in Optionsscheine. Und das bei einem Portfoliowert von mehreren Millionen Euro.
Ich kann mich dem Eindruck nicht erwehren, dass hier Trader ihr Unwesen treiben, die vielleicht offiziell eine Trading-Erfahrung von 15 oder 20 Jahren angeben, aber nicht einmal durch eine Korrektur erfolgreich durchgekommen sind. Einen anderen Eindruck kann man auch nicht gewinnen, wenn man deren Risiko- und Moneymanagement betrachtet.
Weitere „nette" Beiwerke des Wikifolio-Hypes: Trotz Marktmissbrauchsverordnung werden Wikifolios mit Werten bestückt, die anschließend von den Redakteuren in diversen Börsengazetten künstlich nach oben getrieben werden. Auch machen Research-Reports zu den in Wikifolios gehaltenen Werten die Runde. Für diese sollen Trader, die ja eigentlich sowieso schon durch erhöhte Nachfrage die Kurse der Portfoliowerte des Erstellers nach oben treiben und ihm so in die Hände spielen, auch noch Geld bezahlen.
Die nächste Korrektur kommt bestimmt
Das Projekt „Wikifolio" existiert seit 2012. Seit 2011 kennen die Märkte eigentlich nur eine Richtung: nach oben. Keines der Portfolios musste folglich bislang einen echten Crash überstehen. Ich bin seit 1999 am Markt. Ich habe einige Crashs erlebt. Wenn ich mir die Portfoliostruktur der Millionen-Wikifolios ansehe, so lässt sich eine einfache Prognose abgeben: Die nächste Korrektur werden viele Depots nicht überleben, Millionen Euro werden vernichtet werden. In den vergangenen Wochen wurden bereits Hunderttausende von Euro vernichtet.
Bildlich vor mir sehe ich das Börsen-Urgestein André Kostolany, der am 4. September 1998 in einer NDR-Talkshow loswetterte, viele Greenhorns seien am Markt, der Neue Markt Betrug und manipuliert, und das werde böse enden. Er würde sich angesichts der einen oder anderen aktuellen Entwicklung am Markt wohl auch im Grabe umdrehen.
Über die Marktmissbrauchsverordnung wurde im vergangenen Jahr viel diskutiert. Vielleicht sieht sich die Bafin ja das Gebaren rund um die Smallcap-Wikifolios in Zukunft etwas genauer an. Ich würde es auch begrüßen, wenn die Wikifolio-Verantwortlichen bei der Gestaltung der Portfolios strengere Regeln etablierten.
Grundsätzlich bin ich gespannt, wie es ausgehen wird. Wobei, den Ausgang kenne ich eigentlich schon ...
29 Kommentare
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