Fundamentale Nachricht
11:38 Uhr, 12.08.2021

Der Kampf gegen den Klimawandel: „Eine Frage von Einsicht und Technologie“

Egal, wie das Ergebnis der Bundestagswahl am 26. September lauten wird: Um den Kampf gegen den Klimawandel zu gewinnen, sollte sich die neue Regierung nicht auf eine reine Verbotspolitik beschränken. Die Schlüssel zum Bestehen dieser Herausforderung sind vielmehr ein bewusst gewählter nachhaltiger Lebensstil und eine ideologiefreie Förderung und Nutzung von Technologie. Dabei könnten auch zahlreiche Anlagechancen entstehen, denn ohne privates „grünes“ Kapital werden wir den Klimawandel nicht stoppen können.

Der Kampf gegen den Klimawandel ist zwar eine Herausforderung für die Menschheit insgesamt. Als eine der größten Volkswirtschaften der Welt und eine traditionelle Heimat des Erfindergeists kann und muss Deutschland – und damit die neue Bundesregierung – aber einen wichtigen Beitrag dazu leisten. Eine reine Verbotspolitik könnte dafür jedoch der falsche Ansatz sein. Vielmehr setzt eine nachhaltige Lebensweise zunächst voraus, dass sich jeder Einzelne bewusst macht, was und wie er konsumiert und welchen direkten oder indirekten Einfluss das persönliche Handeln auf das ökologische und soziale Umfeld hat. „Eine gewissermaßen „nachhaltige“ Nachhaltigkeit entsteht nur durch Einsicht und nicht durch den omnipräsenten Verbotsfinger“, sagt Tim Bachmann, Fondsmanager des DWS Invest ESG Climate Tech.

Darüber hinaus gilt es, den Kampf gegen den Klimawandel nicht in erster Linie als Risiko zu betrachten, sondern als Chance. Beispielsweise muss der Umstieg auf den Elektromotor nicht den Abstieg der deutschen Automobilindustrie oder den Abschied von „Made in Germany“ bedeuten. Vielmehr haben schon in der Vergangenheit zunächst skeptisch beäugte Veränderungen wie die Einführung der Elektrizität oder des Computers die Wirtschaft beflügelt. „Der Ausstieg aus Kohle, Gas und Öl kann enorme Chancen für die langfristige Schaffung neuer Arbeitsplätze und das Entstehen neuer Industrien bergen“, so ESG-Experte Bachmann. Hierfür braucht es aber nicht nur den sprichwörtlichen deutschen Erfindergeist, sondern vor allem staatliche Rückendeckung ohne ideologische Scheuklappen.

Vor diesem Hintergrund ein Überblick über die wichtigsten Stellschrauben für eine „grüne“ Zukunft, wie viele Drehungen an ihnen noch nötig sein dürften, und welche Anlagegelegenheiten sich dadurch ergeben können:

Ausbau erneuerbarer Energien

Um den Energiebedarf in Deutschland bis zum Kohleausstieg in den späten 2030er Jahren mit erneuerbaren Energien zu decken, müssen wir einen Gang höher schalten. Um beispielsweise bis 2030 einen Anteil von 75 Prozent erneuerbarer Energie an der Stromerzeugung zu erreichen, müssen ab 2020 bis 2030 jährlich 9,8 Gigawatt Photovoltaik und 5,9 Gigawatt Wind Onshore zugebaut werden.

Auch auf der Ebene der Europäischen Union besteht noch großer Bedarf, um die Kohlenstoffemissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu reduzieren: So schlägt die Europäische Kommission vor, die Offshore-Windenergiekapazität Europas von derzeit 12 Gigawatt bis 2030 auf mindestens 60 Gigawatt und bis 2050 auf 300 Gigawatt auszubauen. Ergänzt werden soll dies bis 2050 durch 40 Gigawatt an Meeresenergie sowie durch erneuerbare Offshore-Energie aus anderen Quellen wie schwimmende Wind- und Solaranlagen. Bis 2050 sollen dafür Investitionen von knapp 800 Milliarden Euro erforderlich sein.

Energieeffizientere Gebäude

Nach Schätzungen der Europäischen Kommission entfallen rund 40 Prozent des Energieverbrauchs in Europa auf Gebäude. Um das 55-Prozent-Ziel zu erreichen, peilt sie mindestens eine Verdoppelung der Renovierungsrate an, die aktuell bei etwa einem Prozent liegt. Dies würde umfangreiche Investitionen in Klimamaßnahmen an Gebäuden erfordern, die sich durch ihre besonders hohe Kosteneffektivität auszeichnen. Dazu zählen Photovoltaikmodule auf den Dächern, der Einsatz von Dämmstoffen und die „intelligente“ Verringerung des Energieverbrauchs etwa durch den Einbau von Bewegungssensoren auf Freiflächen und in Büros.

Mehr Tempo bei der Mobilitätswende

Der Transportsektor macht derzeit rund ein Viertel der globalen vom Menschen gemachten CO2-Emissionen aus. Mehr als 90 Prozent der Weltbevölkerung leben in Regionen, die die Luftqualitätsstandards der Weltgesundheitsorganisation nicht erfüllen. In der Europäischen Union soll zum Erreichen des 55-Prozent-Ziels 2035 Schluss mit dem Verkauf von Neuwagen mit Verbrennungsmotor sein. Schon 2025 sollten daher in der Europäischen Union etwa 13 Millionen Null- oder Niedrig-Emissionsfahrzeuge rollen, die Zahl der öffentlichen Lade- und Tankstellen dürfte dann bei einer Million liegen. Global dürften Elektrofahrzeuge 2030 bereits 35 Prozent des Weltmarkts ausmachen, erwartet ESG-Experte Bachmann.

Daneben könnte der Mikromobilität eine bedeutende Rolle zufallen. Denn rund drei Viertel der im Transportwesen entstehenden Treibhausgase werden im städtischen Nahverkehr erzeugt, also auf Strecken wie gemacht für das Fahrrad. Und tatsächlich ist die wöchentliche Nutzung von Drahteseln in den vergangenen Monaten um 30 bis 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Derzeit hat der globale Markt für traditionelle Fahrräder und E-Bikes mit rund 45 Milliarden Dollar bereits ein Volumen, das auf dem Niveau der Pendants für Motorräder (39 Milliarden Dollar) und Campingwagen (50 Milliarden Dollar) liegt. Das Wachstum in den kommenden Jahren dürfte durch die E-Bikes getrieben werden: Wurden 2015 in Europa gerade einmal rund eine Million dieser Fahrräder neu verkauft, lag die Zahl 2020 bereits bei etwa 3,8 Millionen und soll sich bis 2025 auf fast zwölf Millionen verdreifachen.

Stärkung der Kreislaufwirtschaft

Schon jetzt werden auf der Welt jede Minute mehr als eine Million Plastikflaschen verkauft. Schätzungen zufolge schwimmen aktuell bereits etwa 150 Millionen Tonnen Plastikmüll in unseren Weltmeeren, was umgerechnet der Fläche Mitteleuropas entsprechen dürfte. Experten erwarten bis 2025 einen Anstieg der globalen Mengen an Müll von bis zu 70 Prozent gegenüber 2010. Die Europäische Union hat daher ein Verbot der Herstellung und Vermarktung von Einwegplastik beschlossen. Gleichzeitig wurden strikte Recycling-Quoten für Kunststoffflaschen festgelegt und die Möglichkeit geschaffen, bestimmte Branchen stärker an den Kosten für die Beseitigung der Vermüllung zu beteiligen. Konkret sieht die Richtlinie einen Anteil von 25 Prozent an recyceltem Plastik in neuen Kunststoffflaschen bis 2025 vor. Bis 2030 soll dieser Anteil gar 30 betragen. Ferner strebt die Richtlinie eine Rückführungsquote von PET-Flaschen von 77 Prozent bis 2025 und 90 Prozent bis 2029 an.

Allerdings ist die Infrastruktur für das Recycling von Plastik noch unterentwickelt: Während die Rückführungsquoten bei Metallen wie Stahl, Kupfer und Platin bei bis zu 80 Prozent und bei Papier und Kartonage bei etwa 55 Prozent liegen, kommt das Plastik-Recycling auf gerade einmal 14 Prozent weltweit. Noch dazu hat China die Einfuhr von Plastikmüll seit 2018 komplett gestoppt. Dies erhöht den Druck auf westliche Länder noch weiter, stärker in eine Recycling-Infrastruktur für Plastikmüll zu investieren.

Klimaschutz – Chancen für Anleger

Wie groß der gesamte Investitionsbedarf in all diese Schlüsseltechnologien im Kampf gegen den Klimawandel tatsächlich sein wird, lässt sich derzeit kaum abschätzen. „Allerdings wissen wir, dass, nur um die im Pariser Klimaschutzabkommen festgeschrieben Ziele zu erreichen, die globalen Investitionen bis 2030/2040 auf über drei Billionen Dollar jährlich steigen müssen“, so Bachmann. Dies entspricht in etwa dem Bruttoinlandsprodukt von Großbritannien oder Frankreich. Dies wird sich nicht ohne die Mobilisierung von privatem „grünem“ Kapital stemmen lassen, wobei der Fondsindustrie dabei eine wichtige Rolle zufallen wird.

Die interessantesten Anlagechancen dürften sich dabei gerade in den Bereichen finden lassen, die heute als die größten Klimasünder gelten, wie beispielsweise Transport, Immobilien und Energieerzeugung. Denn Unternehmen, die etwa Dämmmaterialien auf Steinwolle-Basis, Wechselrichter für Solaranlagen, Wärmepumpen, Hochspannungsleitungen oder Lithium-Batterien anbieten, könnten in den kommenden Jahren ein Gewinnwachstum im prozentual hohen zweistelligen Bereich aufweisen – deutlich über dem, was der breite globale Aktienmarkt abwerfen dürfte.

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