Kommentar
15:37 Uhr, 04.03.2015

Der jüngste Verfall des Ölpreises könnte Rückenwind bieten

Einige Marktbeobachter prognostizieren ein trübes Wachstum für dieses Jahr. Dr. Michael Hasenstab, Chief Investment Officer bei der Templeton Global Macro Group (ehemals Templeton Global Bond Group), vertritt hingegen eine entgegenläufige Meinung und sieht die Dinge anders. Er stellt dem seiner Meinung nach „exzessiven Pessimismus“ in Hinsicht auf die Weltwirtschaft Argumente entgegen und erklärt, warum der jüngste Verfall des Ölpreises Rückenwind bieten könnte – nicht nur für das Wirtschaftswachstum in den USA, sondern auch für das in Europa. Er schildert außerdem auch seine Ansichten zu dem „Abenomics“ genannten geldpolitischen Experiment in Japan.

Die aktuellen Einschätzungen zum globalen Wachstumsausblick sind unserer Meinung nach von übermäßigem Pessimismus geprägt. Viele Beobachter sehen durch verringerte globale Wachstumsprognosen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) eine nachlassende globale Konjunktur bestätigt. In dieser negativen Einstellung spiegelt sich auch eine Fehlinterpretation der Gründe für den drastischen Ölpreisrückgang und seiner voraussichtlichen Konsequenzen wider. Viele Analysten und Kommentatoren sehen die Ursache für den Ölpreisverfall im nachlassenden Wachstum der Weltwirtschaft und manche glauben, der rückläufige Ölpreis wird das globale Wachstum seinerseits dämpfen, indem er die Investitionen im Energiesektor verringert und in manchen Regionen Deflation auslöst. Mit Blick auf die maßgeblichen Wirtschaftsregionen beurteilen die meisten Beobachter die USA etwas zuversichtlicher, doch viele erwarten eine größere Abschwächung in China und sehen die Eurozone am Rande einer Rezession.

Selbst die neuesten IWF-Prognosen, die so viele pessimistische Schlagzeilen ausgelöst haben, weisen jedoch nicht auf eine nachlassende, sondern auf eine anziehende weltweite Konjunktur hin. Nach Ansicht des IWF ist die rückläufige globale Ölnachfrage zum Teil insbesondere der nachlassenden Dynamik in Schwellenländern zuzuschreiben. Diese sind energieintensiver als höher entwickelte Volkswirtschaften. Doch die Abschwächung auf den Schwellenm��rkten fiel insgesamt marginal aus, und vor allem Chinas Ölnachfrage nahm bis Ende 2014 weiter zu.

Ein Teil der Risikoscheu, die wir in letzter Zeit in den Märkten beobachten konnten, lässt sich in Wirklichkeit auf das letzte Jahr zurückführen. Wir glauben auch, es hat viel damit zu tun, dass der Markt den Ölpreisverfall falsch auslegt. Unseres Erachtens hat der Markt drei Aspekte falsch interpretiert.

Zunächst einmal ist da die Frage, ob der fallende Ölpreis durch eine zurückgehende Nachfrage oder eine Veränderung im Angebot ausgelöst wurde. Ist er nachfragebedingt, gäbe es unserer Meinung nach gute Gründe zum Pessimismus bei der Beurteilung der Aussichten für riskante Anlagen in einem schlechteren globalen Wachstumsklima. Unseren Einschätzungen zufolge ist der heutige Ölpreis aber weitgehend das Ergebnis einer Veränderung der Angebotssituation aus politischen Gründen, die insbesondere durch Saudi Arabien und die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) geschaffen wird. Aus diesem Grund denken wir, Anleger sollten die Ölpreisveränderung viel mehr als eine hohe, globale Steuersenkung für die Ölimporteure in der Welt sehen. Wenn wir uns die meisten größeren Volkswirtschaften ansehen – China, die USA, Europa und Japan – sie sind alle große Ölverbraucher und werden daher aller Wahrscheinlichkeit nach von den niedrigeren Ölpreisen profitieren können. Die Tatsache, dass der Rückgang des Ölpreises sich vorwiegend auf Angebotsfaktoren zurückführen lässt, dürfte unserer Meinung nach also tatsächlich einen Rückenwind für die Weltwirtschaft 2015 darstellen.

Der zweite Aspekt hängt mit der Abfolge der Effekte zusammen. Die anfängliche Reaktion auf den Ölpreisverfall könnte in den USA zum Beispiel ein Investitionsrückgang und der Verlust von Arbeitsplätzen in ölintensiven Sektoren sein. Aber das dürften kurzfristigere Folgen sein, die sich unserer Meinung nach im Verlauf des Jahres umkehren dürften, wenn in anderen Sektoren der Wirtschaft Bedarf für diese Ressourcen aus den ölintensiven Sektoren entsteht und die effektiven Steuersenkungen (niedrigerer Ölpreis) sich auch bei den US-Verbrauchern bemerkbar machen. Wir erwarten also, dass diese sich verändernden Dynamiken in den Ölmärkten sich bis Mitte oder Ende des Jahres 2015 auch auf die Gesamtwirtschaft in den USA und, auf Grundlage ähnlicher Dynamiken, auch weltweit positiv auswirken. Investitionen und Beschäftigung im Energiesektor spielen für die Wirtschaft eine viel kleinere Rolle als der gesamte private Verbrauch, auf den rund 70% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entfallen. Nach unseren Schätzungen sollten niedrigere Ölpreise das US-Wachstum um rund 0,7% pro Jahr steigern.

Auch China als größter Ölimporteur der Welt wird maßgeblich von den gesunkenen Energiepreisen profitieren. Das sollte die derzeit verhaltene und gesunde Abschwächung weiter dämpfen, sodass wir für 2015 mit einem Wachstum von rund 7% rechnen – unwesentlich weniger als im letzten Jahr. Insbesondere ist die Qualität der Investitionen gestiegen, wenngleich langsamer. Im Zusammenspiel mit Wachstumsbeiträgen durch steigenden Konsum ist China damit auf gutem Weg zur seit Langem angestrebten Neuausrichtung. Ferner stellen wir fest, dass Chinas Wirtschaft in den letzten zehn Jahren deutlich gewachsen ist. Selbst bei geringeren Wachstumsraten ist der Gesamtbeitrag des Landes zum globalen Wachstum weiterhin größer als der der USA. Erzielt China 2015 ein Wachstum von 7%, wird sein Nachfragebeitrag zum globalen BIP ebenfalls größer ausfallen als im Vorjahr.

Der dritte Aspekt ist die Inflation. Öl spielt bei der Ermittlung der Gesamtteuerungsstatistiken eine wichtige Rolle. Ein Rückgang des Ölpreises um 50% würde sich also in einem starken Rückgang der Gesamtteuerung äußern. Für uns ist das aber nur vorübergehender Natur. Sofern der Ölpreis nicht noch einmal um 50% von seinem aktuellen Stand aus fällt, werden sich die Auswirkungen bis Ende dieses Jahres legen. Die zugrunde liegenden Dynamiken einer sich verbessernden Nachfrage dürften in der Tat beginnen, einen Teil der Inflationszahlen wieder umzukehren. Wir denken, der Markt hat sich, mit zurückgehenden Zahlen für die Gesamtteuerung, in eine gewisse Bequemlichkeit einlullen lassen. Wir gehen aber nicht davon aus, dass dies von Dauer ist. Wir glauben, Anleger müssen sehr vorsichtig sein, dass sie sich in diesem Klima keinem zu großen Zinsrisiko aussetzen.

Wirtschaftswachstum und Geldpolitik in den USA: Macht die Fed bei den Zinsen Ernst?

Unserer Meinung nach wird die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) 2015 damit beginnen, die Zinsen zu normalisieren. Es stimmt zwar, der Tatsache, dass die Löhne nicht so sehr steigen, wie die Fed das gerne hätte, wird viel Aufmerksamkeit geschenkt. Es ist aber wichtig nicht nur auf das Lohnwachstum zu schauen, man muss auch die Lohnkosten insgesamt betrachten. Das heisst, es geht nicht einfach nur um Löhne, sondern um die Zahl der Beschäftigten und deren Stundenzahlen. Wenn man sich die Zahlen für das gesamte Lohneinkommen anschaut, sieht man, dass es deutlich höher liegt, als dies vor der Finanzkrise 2007-2009 der Fall war. Bei der Betrachtung des realen verfügbaren Einkommen gibt es außerdem eine Reihe von Metriken, die alle das Niveau von vor der Krise überschritten haben. Es kam ganz sicherlich zu einigen Verschiebungen im Arbeitsmarkt. Wir glauben aber nicht, dass die extrem niedrigen Zinsen, die die Fed nun schon seit Jahren hält, sich immer noch rechtfertigen lassen.

Europa: Gegen- und Rückenwind

Europa sieht sich ganz gewiss einer Reihe von Gegenwinden ausgesetzt. Darunter sind umfangreiche strukturelle Störungen in den Arbeits- und Produktmärkten und eine mangelhafte Koordination zwischen mehreren Volkswirtschaften in der Region. Unserer Meinung nach wird sich dies 2015 auch nicht sehr ändern. Das ist aber im Großen und Ganzen in den Markterwartungen und Prognosen für das Wachstum 2015 bereits berücksichtigt.

Beim Rückenwind gibt es jedoch wichtige Aspekte, die der Markt unserer Meinung nach ignoriert. Diese könnten jedoch, was den Ausblick für Europa betrifft, noch positiv überraschen. Am wichtigsten darunter ist die Abwertung des Euro. Wir rechnen mit weiteren Wechselkursverlusten, wenn die Europäischen Zentralbank (EZB) ein ausgesprochen aggressives QE-Programm (quantitative Lockerungen) in Angriff nimmt. Diese Währungsabwertung dürfte den Exporten zugute kommen, was sich unserer Meinung nach auch positiv auf das europäische Wachstum auswirken dürfte. Eine starke Verbrauchernachfrage aus den USA dürfte den europäischen Exporten weiteren Rückenwind bieten.

Weitere Unterstützung dürfte sich für Europa, wie ja schon angesprochen, aus dem fallenden Ölpreis ergeben. Als Ölimporteur dürfte die Eurozone insgesamt von den niedrigeren Ölpreisen profitieren können. Schätzungen des IWF zufolge könnten sich die Folgen des sinkenden Ölpreises mit bis zu 0,5% auf das Wachstum des Euroraums auswirken. Die Prognose der EZB ist konservativer. Unserer Meinung nach ist der wesentliche Faktor aber der fallende Ölpreis, der das Wachstum unterstützen wird – das erhöht die Wahrscheinlichkeit positiver Überraschungen, während den Erwartungen zufolge die Region im vor uns liegenden Jahr weiter stagnieren wird. Diese Faktoren lassen uns die Eurozone ganz anders beurteilen als die geltende Meinung, nach der von der Eurozone globale Wachstumsrisiken ausgehen, und die damit aufgrund des drohenden Nachfragerückgangs zum Teil auch Ursache für den Ölpreiseinbruch ist.

Abenomics: Ansichten zu Japan

Das japanische BIP-Wachstum sollte sich in diesem Jahr auf über 1% erholen und läge damit über dem Potenzial. Das ist expansiver makroökonomischer Politik und einem günstigen externen Umfeld zu verdanken. Der IWF schätzt, dass eine Reduzierung des Ölpreises um 50% das japanische BIP 2015 wahrscheinlich um 0,5% anheben wird. Diese Schätzung wird, angesichts des deutlichen Anstiegs der Ölimporte nach dem Fukushima Erdbeben 2011, von einer gewissen Unsicherheit begleitet. Die positiven Wachstumseffekte dürften sich allmählich und um mehrere Quartale verzögert einstellen.

Bleibt die Frage, ob damit ein vorübergehender oder dauerhafter Ausstieg Japans aus der Deflation-, Schulden- und Schrumpfungsspirale einsetzt. Die Antwort wird sich danach richten, ob Premierminister Shinzō Abes Regierung auch bei anderen wichtigen Reformen ähnlich entscheidende Fortschritte erzielen kann.

Abgesehen vom Effekt der Ölpreise nehmen wir eine gewisse Skepsis bezüglich der Wirksamkeit der Abenomics wahr, des japanischen Makropolitikexperiments, das seit Anfang 2013 im Gang ist. Unserer Meinung nach müssen die Abenomics – die ehrgeizige, nach dem japanischen Premierminister Shinzō Abe benannte Geldpolitik mit ihren drei Ansatzpunkten zur Förderung von Wachstum und Inflation in Japan, darunter QE-Maßnahmen – in zwei Perspektiven unterteilt werden: die kurzfristigen Entwicklungen und die mittel- bis langfristigen Entwicklungen. Kurzfristig betrachtet waren die Abnomics unserer Meinung nach erfolgreich. Das Risiko einer Deflation in Japan ist drastisch gesunken. Einige Beobachter schätzen, dass das Deflationsrisiko in Japan derzeit niedriger ist als in den meisten anderen Volkswirtschaften weltweit. Die Abenomics unterstützten außerdem, bei sinkenden Realzinsen, die Preise für Anlagegüter und die Abwertung des Yen. Wir werten dies als Hinweise auf den Erfolg der ersten Phase der Abenomics.

Hasenstab postiiver Trend

Ob die Abenomics letztlich über einen Zeitraum von mehreren Jahren erfolgreich sein werden, hängt unserer Meinung nach mit den Strukturreformen zusammen. Japan benötigt unserer Meinung nach eine Reform des Arbeitsmarkts und eine Reform des Produktmarkts sowie Steuererhöhungen, so dass die Verschuldung des Landes kontrollierbar wird. Die erste Phase war unserer Meinung nach also erfolgreich und Abe ein umsichtiger politischer Taktiker. Er legte seine Reformen auf eine Weise auf, die es ihm erlaubte, seine politische Popularität zu erhalten. Das verleiht ihm Legitimität in Zukunft auch die Arten von Reformen durchzuführen, die nicht sehr populär sein werden. Die Sequenzierung von einem politischen Standpunkt aus war unserer Meinung nach sehr erfolgreich und Abe hat Anerkennung dafür verdient. Es bleibt aber abzuwarten, ob er diese politische Legitimität nun dazu nutzen wird, um die langfristigen und äußerst schwierigen Reformen durchzuführen, die erforderlich sind, um die Verschuldung Japans auf einen nachhaltigeren Pfad zu lenken.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, die globalen Finanzmärkte erhielten in den letzten Monaten auf breiter Front Impulse durch auflebendes Wachstum in den USA, eine Stabilisierung der chinesischen Wirtschaft und die reichliche Bereitstellung globaler Liquidität durch die Bank of Japan und die EZB.

Kern unserer Strategie für 2015 bleibt die Positionierung für ein Klima steigender Zinsen in den USA. Wir favorisieren daher weiterhin eine kurze Portfolioduration und setzen auf eine negative Korrelation mit den Renditen von US-Schatzanleihen. Außerdem achten wir aktiv auf Chancen, die positive reale Renditen ohne unnötige Zinsrisiken bieten können. Wir gehen fest von einem Anziehen des US-Dollars gegenüber Yen und Euro aus und halten auch künftig Ausschau nach Anlagepotenzial in Währungen und Rentenmärkten bestimmter Schwellenländer.

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