Kommentar
08:34 Uhr, 09.07.2015

Der japanische Boom - funktionieren die "Abenomics" jetzt?

Kaum zu fassen: Was in Japan gerade geschieht ist einerseits unglaublich, andererseits schürt es große Zweifel.

Japan wendet alles an, was das moderne Geldsystem bietet, um das Land wieder auf Wachstumskurs zu bringen. Dazu gehört nicht nur der Ankauf von Staatsanleihen, sondern auch der Kauf von Aktien und Immobilien (indirekt über Real Estate Investment Trusts). Politische Reformen gibt es dazu nicht, lediglich Druck der Regierung auf Unternehmen, die Löhne zu erhöhen und mehr zu investieren. Das absolut unglaubliche daran: es scheint zu funktionieren.

Japan befindet sich in einem großen Experiment. Als die Abenomics vor mehreren Jahren angestoßen wurden, war der Erfolg mehr als ungewiss, zumal die Wirtschaftspolitik nur einen Teil der Vorhaben auch umgesetzt hat. Premier Shinzo Abe wollte politische Reformen anstoßen und um deren Auswirkungen zu mildern und Japaner nicht zu sehr zu verunsichern, sollte eine nie dagewesene Geldflut der Notenbank für Stabilität sorgen.

Mehrere Jahre nach Beginn des Umschwungs kann man sagen, dass die Geldpolitik nicht Reformen begleitete, sondern bestenfalls umgekehrt. Reformen – oder besser gesagt Reförmchen – begleiten die Geldpolitik. Mehr braucht es anscheinend auch nicht, um die Wirtschaft wieder auf Vordermann zu bringen.

Japan ist noch nicht endgültig über den Berg. Ein nachhaltiger Erfolg der Abenomics ist in den vergangenen Monaten jedoch deutlich wahrscheinlicher geworden. Besonders wichtig für den nachhaltigen Erfolg ist der Arbeitsmarkt. Dieser kommt in Gang.

Grafik 1 zeigt die Arbeitslosenrate und die Lohnentwicklung. Die Arbeitslosenrate ist so niedrig wie zuletzt 1997. Mit 3,3% nähert sie sich der Marke, die als Vollbeschäftigung angesehen wird. Vollbeschäftigung ist für Japan im aktuellen Umfeld besonders wichtig, denn in einem deflationären Umfeld besteht keine Chance auf steigende Löhne, wenn der Faktor Arbeit nicht knapp wird.

Langsam aber sicher wird Arbeitskraft knapp. Weniger gut bezahlte Jobs in der Saisonarbeit sind immer schwieriger zu füllen. Die Zahl an Bewerbern auf neue Stellen ist auf dem niedrigsten Stand seit Jahrzehnten. Das führt in moderatem Tempo zu Lohnerhöhungen. Real stagnierten bzw. fielen die Löhne lange Zeit. Jetzt können sich Arbeitnehmer über einen Reallohnzuwachs von 2% freuen.
In einem etwas anderen Zusammenhang zeigt Grafik 1 noch einen anderen Trend: die Kreditvergabe. Nach einem langen und harten Deleveraging Prozess (Abbau der Überschuldung) im privaten Sektor ist das Kreditwachstum wieder positiv. Eine so lange Phase (3 Jahre) positiven Wachstums gab es zuletzt in den 80er Jahren. Privatpersonen und Unternehmen investieren wieder. Das ist für die japanische Wirtschaft ein sehr positiver Trend, den das Land lange Zeit nicht mehr gesehen hat.
Unternehmen blicken zuversichtlicher in die Zukunft. Ein Grund dafür ist die Zuversicht der Verbraucher. Japan ist zwar als Exportnation bekannt, hängt aber zu 60% vom inländischen Konsum ab. Dieser gab bis ins Jahr 2002 nach. Grafik 2 zeigt den Trend. Nach der Rezession Anfang des Jahrtausends stieg der private Konsum leicht um 4% und bewegte sich dann in einer 5-Prozentpunkte Range seitwärts. Seit Beginn der Abenomics ist die Tendenz deutlicher steigend.

Der Konsum stieg wegen einer Mehrwertsteuererhöhung sehr schnell an und brach nach der Steuererhöhung entsprechend tief ein. Lässt man diese beiden wilden Ausschläge außen vor, dann etabliert sich seit 2012 ein Aufwärtstrend. Die Seitwärtsphase von 2005 bis 2011 ist nach oben verlassen worden.

Wird mehr konsumiert, dann muss auch mehr produziert werden. Der Index für die Industrieproduktion tendiert noch seitwärts. Mit anziehendem Konsum und einem weiterhin schwachen Yen ist es jedoch nur noch eine Frage der Zeit, bis die Produktion spürbar steigt. Unternehmen gehen davon aus, dass der Bedarf nach mehr japanischen Produkten vorhanden ist, denn sie schrauben ihre Investitionen nach oben.

Man kann nicht von einer Explosion bei den Investitionen sprechen. Grafik 3 zeigt weshalb. Die Investitionen in langlebige Güter (Maschinen) steigen, aber sehr zaghaft. Immerhin konnten sie wieder auf den höchsten Stand seit 2008 klettern. Der Trend wird sich fortsetzen. Unternehmen sehen dank einer langsam wieder in Schwung kommenden Wirtschaft die Notwendigkeit für Investitionen. Schon allein das ist etwas vollkommen Neues. Viele Unternehmen haben ihre Technik veralten lassen, weil sie mit großer Skepsis in die Zukunft blickten.

Investitionen sind notwendig, um die Produktion ausweiten zu können. Es geht dabei insbesondere um das Thema Produktivität. Mit einer kleiner werdenden arbeitsfähigen Bevölkerung und einem Überalterungsproblem ist es für die Industrie jetzt so wichtig wie nie in die Produktivität zu investieren. Das wurde erkannt. Der Prozess läuft an.

Die Exporte geben Anlass zur Hoffnung. Die in Grafik 3 abgebildete Leistungs- und Handelsbilanz ist jedoch ein wenig verzerrt. Japans Bilanz rutschte ins Negative, weil nach der Atomkatastrophe 2011 der Atomstrom durch fossile Brennstoffe ersetzt wurde. Die Importe haben die Bilanz von einem Überschuss in ein Defizit gedrängt. Mit dem gesunkenen Öl- und Gaspreis hebt sich dieser Effekt ein wenig auf.
Auffällig ist der überproportionale Anstieg der Leistungsbilanz. Diese beinhaltet neben der Handelsbilanz auch die Dienstleistungsbilanz und Nettokapitaleinkommen. Da Japaner seit Beginn der Geldschwemme auch vermehrt im Ausland investieren ist das Nettokapitaleinkommen gestiegen. Das liegt nicht so sehr an der Aufwertung ausländischer Vermögenswerte wie Aktien, sondern vielmehr an der Abwertung des Yen.

Dank der Abwertung der Währung schreiben Unternehmen Gewinne in nie dagewesener Höhe (Grafik 3). Sofern sich der Währungstrend nicht umkehrt wird das auch so bleiben. Die Bewertung des Aktienmarktes ist nicht vollkommen aus der Luft gegriffen. Nachdem die Notenbank auch Aktien über ETFs kauft dürfte das Abwärtspotential japanischer Aktien gering bleiben. Gleichzeitig wurden Pensionsfonds und Bürger gedrängt Aktien zu kaufen. Nach einer jahrelangen Rallye fühlt sich da der eine oder andere sicherlich wohlhabender und kann sich für mehr Konsum erwärmen.

Bei so viel Erfolgt, wo können da noch Zweifel sein? – Zweifel gab es an den Abenomics immer schon. Die inzwischen kaum mehr maskierte Staatsfinanzierung der Notenbank ist in ihrem Ausmaß einfach unseriös. Geht das immer so weiter, dann kann sich eine Abwärtsspirale entwickeln. Verlieren Anleger erst einmal den Glauben an die Währung, dann wird es kritisch.
Den Glauben an die Währung verlieren sie, wenn der japanische Staat sein Schuldenproblem nicht in den Griff bekommt. Mit knapp 240% des BIPs sind die Schulden höher als in Griechenland. Setzt sich der Trend so fort, dann muss der Staat direkt durch die Notenpresse finanziert werden. Je mehr und je direkter Geld von der Notenbank an den Staat fließt, desto unglaubwürdiger wird die Sache. Die Währung würde weiter abwerten, weil Kapital aus dem Land flieht. Aktien fielen tief. Das darf allerdings nicht geschehen, weil das ganze Rentensystem nun am Tropf des Aktienmarktes hängt. Um einen Kollaps des ganzen Systems zu verhindert muss die Notenbank Aktien in rauen Mengen kaufen, um einen Crash abzufangen. Das heißt: sie muss noch mehr Geld drucken. Letztlich gießt sie damit Öl ins Feuer.

Der Erfolg der Abenomics währt nur so lange wie der Glaube an eine seriöse Währung hält. Japan bewegt sich da auf einem ziemlich schmalen Grat. Derzeit stört das niemanden und das ist verwunderlich. Das nährt Zweifel daran, dass ein vollkommen überschuldetes und marodes System tatsächlich irgendwann zusammenbrechen muss. Japan kommt derzeit mit seiner Politik davon. Haben sie damit langfristig Erfolg, dann ist es Zeit, auch unserem System ein Hauch mehr an Vertrauen zu geben. Persönlich bin ich nach wie vor skeptisch, ob das Experiment erfolgreich abgeschlossen werden kann. Ich bleibe da sehr vorsichtig. Wie schnell Vertrauen verloren gehen kann, das können wir in China beobachten. Ist das Vertrauen erst zerstört, dann kommt etwas in Gang, was sehr schwer aufzuhalten ist. Derzeit scheinen die Abenomics erfolgreich zu funktionieren, doch das letzte Wort ist noch lange nicht gesprochen.

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4 Kommentare

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  • dschungelgold
    dschungelgold

    Kein Wunder, wer seine Waren praktisch verschenkt , hat natuerlich guten Absatz. Die Japaner sind ausserhalb von Japan praktisch Bettler geworden.

    15:30 Uhr, 17.07. 2015
  • Otua
    Otua

    Zur Arbeitslosenrate wüsste ich gerne wie die Entwicklung bei Beschäftigtenzahl ist.

    Die japanische Bevölkerung überaltert ja in großen Schritten.

    Wäre es nicht auch möglich, dass die Arbeitslosenrate nur sinkt, weil immer mehr Arbeiter/Angestellte in Rente gehen und dem Arbeitsmarkt deshalb nicht mehr zur Verfügung stehen ?

    10:14 Uhr, 09.07. 2015
  • 0815
    0815

    Vielen Dank für den Beitrag. Es ist schön bei den vielen Artikeln und Goldbug Kommentaren über den nahenden unvermeidbaren Untergang des Geldsystems auch mal so etwas zu lesen.

    Ich bin auch der Meinung dass es zumindest noch die Chance gibt das System noch eine ganze Weile am Laufen zu halten und zu stabilisieren. Finanzielle Repression braucht sehr viel Zeit kann aber auch enorm wirksam sein.

    09:59 Uhr, 09.07. 2015
  • fehu001
    fehu001

    Danke, gelungener Beitrag.

    Jp. hat es ungleich schwerer, als wir, denn CN liegt dirkt vor der Tür und so sind die Jp. zum techn. innovativen Fortschritt gezwungen.

    08:53 Uhr, 09.07. 2015

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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