Fundamentale Nachricht
09:42 Uhr, 29.08.2019

Der Irrsinn eskaliert

Den Gegenpol zum Wahnsinn des Weltgeschehens bilden BlackRock-Kapitalmarktstratege Martin Lück zufolge die Zentralbanker. Konjunkturabschwünge könne man mit Geldpolitik bekämpfen, aber die Unberechenbarkeit der Politik?

New York (GodmodeTrader.de) - Investoren scheinen dieser Tage mit wenig zufrieden zu sein. So konnten sich deutsche und schweizerische Aktien über den Verlauf der Vorwoche um einen runden halben Prozentpunkt erholen, nur weil es – zumindest bis Freitagmittag – keine neuen schlechten Nachrichten vonseiten der Weltwirtschaft gab, wie Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock, in seinem aktuellen „Blick auf die Märkte“ schreibt.

Italienische Risikoaufschläge seien um zehn Basispunkte gesunken, einzig und allein aufgrund der Tatsache, dass der scheidende Ministerpräsident Giuseppe Conte seinem rechtsnationalen Innenminister eine flammende Standpauke gehalten und damit die Chance auf ein Bündnis aus Sozialdemokraten und Fünfsternepartei, das heißt eine konstruktivere Regierung, eröffnet habe, heißt es weiter.

„Der Ölpreis legte trotz der unüberhörbaren Warnungen vor globaler Rezession weiter zu und steht nunmehr seit Jahresbeginn um elf Prozent im Plus. Und kaum ließ US-Präsident Trump verlauten, die Chinesen wollten verhandeln, drehen am Montagmorgen die Märkte ins Plus. Allenfalls der Goldpreis, letzte Woche um weitere 1,8 Prozent und seit Jahresbeginn um fast 20 Prozent gestiegen, erinnert an die rumorende Unsicherheit. War da was? Die Makrozahlen sind, jedenfalls sofern man von der deutschen Industrie absieht, alle noch ganz brauchbar. Gefühlt zittert dennoch der Boden, als sei irgendetwas richtig Ungutes im Anmarsch. Wie ein finsteres Menetekel brennt am Amazonas die grüne Lunge des Planeten, angefacht durch die verheerende Politik des neuen brasilianischen Präsidenten Bolsonaro. Auch dies passt ins Bild, denn der Irrsinn eskaliert weltweit“, so Lück.

An die eine oder andere Merkwürdigkeit aus dem Weißen Haus in Washington hätten wir uns derweil gewöhnt. Auch dass Präsident Trump auf die neuen chinesischen Zölle (zusätzlich fünf Prozent auf rund 75 Milliarden US-Dollar Importe aus den USA), die ihrerseits eine Vergeltungsaktion gegen die vorher erhöhten US-Zölle gewesen seien, mit einer neuen Runde Zusatzzölle reagiere, könne nicht überraschen. Dabei sei jede weitere Schwächung des Welthandels Gift für die ohnehin angeschlagene globale Konjunktur. Kein Land, nicht einmal die USA, könnten sich dauerhaft von der Weltwirtschaft abkoppeln, protektionistische Maßnahmen würden unweigerlich auch zu Hause spürbar, heißt es weiter.

„Im Fall der vereinigten Staaten werden etwa die stark erhöhten Zölle auf chinesische Importe zu deutlich höheren Einfuhrpreisen führen. Diese werden dann entweder auf die Einzelhandelspreise überwälzt und betreffen somit direkt die Kaufkraft der Wähler. Oder die Handelsunternehmen fangen sie in ihren Margen ab, mit negativen Folgen für ihr Betriebsergebnis und damit den Aktienkurs. Mal sehen, wie Trump damit im Wahlkampf umgeht. Aber es dreht sich nicht nur um die USA. Wegen der vielfach verflochtenen, Grenzen bzw. ganze Erdteile überschreitenden Wertschöpfungsketten werden auch Volkswirtschaften in den US-chinesischen Handelskrieg hineingezogen, die gar nicht direkt betroffen sind. Abgesehen davon also, dass Trump mit seiner kindischen Polterei gegenüber China auf Sicht auch seinem eigenen Land schweren Schaden zufügt, zerstört er Schritt für Schritt das, was in den letzten Jahrzehnten in weiten Teilen der Welt Wohlstand – wenn auch sehr ungleich verteilten – geschaffen hat“, so Lück.

Dabei schauten ihm die Vertreter der G7-Länder ratlos zu, scheinbar mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen. Trumps Fremdschäm-Auftritt in Biarritz gerate zur Normalität, auf die Formulierung eines Abschlusskommuniqués habe man vorsichtshalber gleich verzichtet. Aufmerksamkeit errege bestenfalls noch ein unverhohlener Erpressungsversuch des neuen britischen Premierministers Johnson, der androhe, beim anstehenden Brexit die EU auf den rund 39 Milliarden Pfund sitzen zu lassen, die Großbritannien der EU noch schulde, es sei denn, man schnüre den Austrittsvertrag wieder auf und streiche die Regelung zum sogenannten Irland-Backstop. Was in normaleren Zeiten als bespielloser, geradezu historischer Affront gelten würde, gerate in einer Welt, die sich an Trump, Bolsonaro & Co. gewöhnen musste, scheinbar zur Nebensache, heißt es weiter.

„Den Gegenpol zum Wahnsinn des Weltgeschehens bilden die Zentralbanker. Auf ihrem Symposium in Jackson Hole war am Wochenende aber auch Ratlosigkeit spürbar. Konjunkturabschwünge kann man mit Geldpolitik bekämpfen, aber was macht man mit der Unberechenbarkeit der Politik? Fed-Chef Powell fand eine angemessene Einschätzung, in dem er die Bereitschaft seines Instituts erklärte, im Falle fortschreitender wirtschaftlicher Eintrübung die Zinsen weiter zu senken. Die Zentralbanken bleiben also die Hoffnung der Anleger an Aktien- und Anleihemärkten, auch wenn sich zunehmend die Erkenntnis zu verfestigen scheint, dass all dies nicht dauerhaft tragfähig sein kann. Für Anleiheinvestoren bedeutet dennoch der verstärkte ‚Easing Bias‘ – zumindest auf Sicht – ein Weiterlaufen der Rally. Für Aktienanleger scheint ein Übergewicht in Anteilsscheinen alternativlos, zumindest solange die Rezession nur in den Frühindikatoren stattfindet“, so Lück.

4 Kommentare

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  • Generik
    Generik

    Den Mann Boris Johnson als "dumm" zu bezeichnen, scheint mir nicht gut überlegt und ...beleidigend. Niemand kann doch besser wissen, was sich hinter den Kulissen abspielt, als er selbst. Die Informationen aus der Presse und den Nachrichten sind nur allgemein und müssen hinterfragt werden, wie alles sonst. Man sollte sich erst einmal die Frage stellen, warum ein Staat aus der EU austreten will? Doch nicht, um später schlechter zu stehen?

    Und am Rande gesagt: jemand der die Schulden, falls welche sich da tatsächlich angeheuft hat - nicht begleichen will - bedeutet noch lange nicht, dass er zahlungsunfähig ist.. Quod erat demonstrandum.

    23:02 Uhr, 30.08. 2019
  • Market Impact
    Market Impact

    Wenn GB seine Schulden nicht bezahlt dann ist es Zahlungsunfähig. Ob das der dumme Boris weiß? Es sieht so aus als sei er der englische Donald :))

    19:06 Uhr, 29.08. 2019
  • EsJay
    EsJay

    Den Gegenpol zum Wahnsinn des Weltgeschehens bilden die Zentralbanker…Konjunkturabschwünge kann man mit Geldpolitik bekämpfen"

    Hierzu ein Zitat aus Epoch Times: Laut Jahnke grenze diese Politik der EZB immer mehr an „verzweifeltem Wahnsinn“. Resultieren diese Zinsen etwa nicht gerade aus der von der EZB produzierten Geldmenge, die nicht investiert und somit wieder bei der EZB eingeparkt wurde? Die eingeparkte Summe entspreche 69 Prozent der seit 2015 produzierten Geldmenge (in Zahlen: 1,7 Billionen Euro).

    Wenn soviel gedrucktes Geld gar nicht in der Wirtschaft landet, dann ist wohl der Schaden größer als der Nutzen. Die Idee, dass man generell mit Geldpolitik einen Konjunkturabschwung bekämpfen kann, verneinte Ex-Finanzminister Schäuble, das Finanzministerium, der DIW, u.v.m. Selbst Draghi hat immer wieder betont, dass ohne fiskalische Maßnahmen der EZB-Plan nicht aufgehen kann.

    Die Zentralbanker haben ja vielleicht mal mit guter Absicht begonnen, nachdem sie aber jeden möglichen Ausstieg aus dem Gelddrucken versäumt haben, sind sie zur Ursache des Wahnsinns geworden. (Dass die Erratik der Politik ein eigenes Übel ist, ist dennoch wahr.)

    12:51 Uhr, 29.08. 2019
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Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

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