Kommentar
13:36 Uhr, 07.05.2007

Der Fluch des Gewinnens

Wer bei einer Auktion den Zuschlag erhält, muss später nicht selten feststellen, dass er zu teuer eingekauft hat. Dennoch wird auch bei der nächsten Versteigerung wieder zuviel geboten. Besonders relevant ist der „Winner’s Curse“ bei Firmenübernahmen und Börsengängen, was auch Konsequenzen für unsere Einzelwertauswahl hat.

Beispiele für Firmenübernahmen, die Shareholder Value vernichten, gibt es viele. Aber nicht minder zahlreich sind die Unternehmen, die andere Firmen übernehmen wollen. Wenn ein Unternehmen oder Unternehmensteil als Übernahmeziel identifiziert oder zum Verkauf angeboten wird, schätzen die potentiellen Käufer, was es für sie voraussichtlich wert ist. Es kommt zu einem Bieterprozess, an dessen Ende die Eigentümer des Zielunternehmens eines der Angebote annehmen oder alle Angebote ablehnen können. Der tatsächliche Wert des Zielunternehmens ist naturgemäß nicht bekannt. Außerdem ist er für jeden Bieter ein anderer. Jeder Bieter gibt also ein Angebot in Höhe des geschätzten Werts des Unternehmens für ihn abzüglich eines Abschlags ab.

Wir gehen davon aus, dass der Wert des Zielunternehmens für jeden möglichen Bieter gleich dem Barwert der zukünftigen Cashflows dieses Unternehmens plus dem Barwert der durch die Übernahme entstehenden Synergieeffekte ist. Zu beachten ist auch, dass zwischen der Verkäufer- und der Käuferseite üblicherweise eine Informationsasymmetrie besteht, die Bieter den Wert des Zielunternehmens also weniger gut kennen als der Verkäufer.

Ein Spiel, das nur Verlierer kennt?

Eine der ältesten Veröffentlichungen zu diesem Thema berichtet über die Ergebnisse des sogenannten Glas-Experiments: In einem Universitätsseminar werden Gläser mit Münzen versteigert. Fast immer liegt das erfolgreiche Angebot über dem tatsächlichen Wert der Münzen, während der Durchschnitt aller abgegebenen Angebote unter dem Wert der Münzen liegt.

Wir haben das Experiment mit zwei Gruppen von Investmentspezialisten (amerikanische und europäische) und einem Glas britischer Münzen wiederholt. Die Ergebnisse des ursprünglichen Experiments haben sich bestätigt: In beiden Gruppen war der Durchschnitt aller Angebote niedriger als der tatsächliche Wert der im Glas enthaltenen Münzen, während das Höchstgebot über ihrem Wert lag. Eines fiel jedoch auf: Im Durchschnitt waren die Angebote der Amerikaner (die offensichtlich weniger vertraut mit britischem Kleingeld sind) erheblich niedriger als die der Europäer. Weil aber die Angebote der amerikanischen Investmentspezialisten eine wesentlich höhere Streuung aufwiesen, erhielt am Ende ein Amerikaner den Zuschlag. Dieses Resultat entspricht den Ergebnissen anderer Experimente: Das Durchschnittsangebot ist umso höher und die Streuung der Angebote ist umso niedriger, je vertrauter die Bieter mit dem zur Auktion gestellten Objekt sind. Fast immer ist aber das erfolgreiche Angebot objektiv zu hoch.

Sind Manager denn nicht lernfähig?

An den hier vorgestellten Experimenten nahmen Studenten und Investmentspezialisten teil, weil sie es interessant fanden. Die Teilnahme kostete sie nichts und hatte keine Konsequenzen. Im wirklichen Leben ist es aber anders. Eigentlich sollte man davon ausgehen können, dass der Mensch lernt, nicht an Spielen teilzunehmen, bei denen er nur verlieren kann. Ganz offensichtlich lernen die Bieter aber nicht, und das hat viele Gründe. Zum einen gibt es Anreizprobleme, da die Entlohnung des Managers positiv mit der Größe des von ihm geführten Unternehmens korreliert ist und Übernahmen ein sicherer Weg zur Steigerung der Unternehmensgröße sind. Auch gibt es eine große Beraterbranche, die ihre Dienste vor allem im Zusammenhang mit Übernahmen anbietet und ein Eigeninteresse an immer mehr und immer größeren Übernahmen hat. Schließlich finden sich in der Behavioural Finance auch noch zwei Wahrnehmungsverzerrungen, die Manager zur Abgabe von zu hohen Angeboten veranlassen können: zu großes Selbstvertrauen und zu großer Optimismus.

Das ist aber noch nicht alles. Hinzu kommt, dass, wer die Auktion nicht gewinnt, immer als Verlierer gilt – insbesondere wenn der Verkäufer mangels akzeptabler Gebote am Ende gar nicht verkauft, und man als Bieter möglicherweise mit einer nur geringfügigen Erhöhung seines Angebots den Zuschlag erhalten hätte. Als Gewinner der Auktion hingegen kann man die Übernahme auch dann als Erfolg darstellen, wenn der Preis eigentlich zu hoch war. Wieviel ein Unternehmen tatsächlich wert ist, zeigt sich nämlich erst viel später.

Erklärungen für den Winner’s Curse gibt es also viele – aber wie kann man ihm entkommen? Das ist Gegenstand des folgenden Exkurses.

Exkurs: Wege aus der Siegerfalle?

Um zu teure Übernahmen zu verhindern, können sich Unternehmen beispielsweise um einen Corporate- Governance-Rahmen bemühen, der das Interesse an der Teilnahme an Auktionen verringert – insbesondere indem auf unternehmensgrößenabhängige Leistungsanreize verzichtet wird. Sinnvoll sind auch Maßnahmen zur Verbesserung des Informationsstandes aller Bieter: Anders als man meinen könnte, begünstigt eine starke Informationsasymmetrie die bestinformierten Bieter nämlich nicht. Vielmehr wird sie dazu führen, dass am Ende viel zu optimistische Angebote den Zuschlag erhalten, da die Streuung der Angebote zunimmt.

Auch könnten die Vorstände der potentiellen Bieter versuchen, die Dynamik des Bieterprozesses in ihrem Sinne zu verbessern. Wenn ein Bieter darauf hinwirkt, dass das Zielunternehmen für ihn wesentlich mehr wert ist als für andere, kann er es später leichter erwerben. Dies dürfte auch die Zahl möglicher Bieter verringern, wovon er ebenfalls profitiert.

Sonderfälle: Private Equity und IPOs

Ständig an neuen Übernahmen interessiert sind Private-Equity-Gesellschaften. Sie bemühen sich um den Kauf börsennotierter ebenso wie nicht börsennotierter Unternehmen und steigern ihren Wert. Anschließend verkaufen sie sie entweder an ein anderes Unternehmen (oder auch eine andere Private-Equity-Gesellschaft) oder bringen sie als IPO an die Börse. Private-Equity-Gesellschaften stehen also vor dem gleichen Problem wie andere Unternehmenskäufer. Es gibt allerdings zahlreiche Faktoren, die es ihnen etwas leichter machen könnten. Einerseits können sich Private-Equity-Gesellschaften sehr stark spezialisieren. Dies führt zu genaueren und besser durchdachten Angeboten, da das Unternehmen den Wert des Übernahmeziels leichter abschätzen kann. Auch ist für sie das Übernahmeziel aufgrund ihrer speziellen Kenntnisse und Fähigkeiten häufig objektiv mehr wert als für andere, und schließlich konzentrieren sie sich oft auf den Kauf nicht börsennotierter Unternehmen. Dies bedeutet weniger öffentliche Aufmerksamkeit und weniger Wettbewerber.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass Private- Equity-Gesellschaften das übernommene Unternehmen in der Regel nicht für immer behalten, sondern weiterverkaufen wollen. Dann kehrt sich der Winner’s Curse in sein Gegenteil um. Beim Kauf musste er überwunden werden, jetzt kann die Private-Equity-Gesellschaft von ihm profitieren. Dies hat wichtige Konsequenzen: Bei Transaktionen zwischen Private-Equity-Gesellschaften gilt es genau hinzusehen, und bei Börsengängen müssen Anleger vorsichtig sein. Es bedeutet aber auch, dass Private-Equity-Fonds in Schwierigkeiten geraten können, wenn das Interesse an den von ihnen zum Verkauf angebotenen Unternehmen nachlässt.

Für Börsengänge bedeutet das oben Gesagte deshalb nichts Gutes. Aufgrund des Winner’s Curse ist damit zu rechnen, dass der durchschnittliche IPO sich schlecht entwickelt, was auch empirisch bestätigt wird.5

Es gibt aber auch Faktoren, die diesen Effekt abschwächen. Die Investmentbanken, die an den meisten Märkten IPOs initiieren, sind nicht nur an der Maximierung des Wertes eines bestimmten IPOs interessiert, sondern wollen auch ihre Reputation erhalten. Dies dürfte sie dazu veranlassen, angemessene Emissionskurse festzulegen. Auch werden die Verkäufer oft dazu bewogen, eine Beteiligung an dem Unternehmen, das an die Börse gebracht wird, zu behalten. Da Aktien, die innerhalb kürzester Zeit deutlich an Wert verlieren, in keiner Bilanz ein gutes Bild abgeben, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der IPO zumindest zu Beginn nicht überbewertet ist.

Fazit: Wie man bei der Einzelwertauswahl vom Winner’s Curse profitieren kann

Für die Einzelwertauswahl hat das zwei Konsequenzen:

• Vorsicht bei IPOs: Wer die Attraktivität eines neu an die Börse gebrachten Unternehmens zu optimistisch einschätzt, hat wahrscheinlich nur wenige Mitbewerber und erwirbt deshalb möglicherweise sehr viele Aktien dieser Firma. Dagegen hilft, sich des anonymen Zitats aus dem Jahr 2000 zu erinnern: „Wenn ich viel von etwas haben kann, will ich nichts davon“.

• Vorsicht bei übernehmenden Unternehmen: Es gilt, potentielle Übernehmer zu identifizieren und sie dann unterzugewichten oder gar leerzuverkaufen. Häufig emittieren übernehmende Unternehmen Aktien oder Anleihen, um größere Akquisitionen durchzuführen. Unternehmen, die Aktien zurückkaufen oder Schulden zurückzahlen, sind in der Regel hingegen nicht verdächtig. Auch weil der Winner’s Curse nicht sofort greift, lassen sich unattraktive Unternehmen daran erkennen, dass die Zahl ihrer umlaufenden Aktien oder das im Umlauf befindliche Fremdkapital heute erheblich höher ist als vor einem Jahr.

Quelle: INVESCO

INVESCO zählt als Teil der AMVESCAP Gruppe zu den führenden Asset Managern weltweit – mit über 380 Mrd. US-Dollar (per 30. September 2005) verwaltetem Vermögen. Über 5.900 Mitarbeiter, darunter rund 500 Investmentspezialisten, sind in 20 Ländern im Einsatz.

Keine Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen

Das könnte Dich auch interessieren

Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

Mehr Experten