Der aktuelle Wasserstand des Rheins weckt Erinnerungen an das Jahr 2022
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Die aktuelle Entwicklung der Wasserstände des Rheins weckt Erinnerungen an das vergangene Jahr, als es im Sommer zu massiven Problemen für die Rheinschifffahrt kam. Seit Juni ist der Pegel nun ähnlich stark gesunken wie im letzten Jahr. Sollten sich die Wasserstände den Tiefstständen von 2018 oder 2022 annähern oder diese erreichen, könnte dies die Erholung der deutschen Wirtschaft beeinträchtigen, die wir bereits jetzt als eher bescheiden einschätzen.
Ein Blick auf die aktuelle Entwicklung der Wasserstände des Rheins weckt Erinnerungen an das vergangene Jahr, als es im Sommer zu massiven Problemen für die Rheinschifffahrt kam. Sollten sich die Pegel den Tiefstständen von 2018 oder 2022 annähern oder diese erreichen, könnte dies die wirtschaftliche Erholung (Prognose BIP-Wachstum Q2: 0,2 % qoq, Q3: 0,4 %) beeinträchtigen, die wir bereits jetzt als eher bescheiden einschätzen (BIP 2023: -0,3 %).
Die geringen Niederschläge der zurückliegenden Wochen und die unterdurchschnittlichen Schneefälle des vergangenen Winters (vor allem in den schweizerischen Einzugsgebieten) ließen die Pegel des Rheins bereits merklich sinken. Der vielbeachtete Pegel in Kaub ist seit Mitte Mai abgesackt. Der Ort Kaub ist von besonderer Relevanz, weil er zentral in der sogenannten Mittelrhein-Felsenstrecke liegt (d.h. die Fahrrinne ist vergleichsweise schmal und flach). Dort bedeuten beispielsweise Wasserstände unter 135 cm (75 cm), dass ein großes Containerschiff (Klasse Va, 200 TEU (Twenty-foot equivalent unit) oder bis zu 3.000 Tonnen, Länge 110m, Tiefgang ca. 3m) in der Regel seine Ladung auf ca. 50 % (30 %) reduzieren muss.
Obwohl die aktuellen Wasserstände noch deutlich über dem für die Schifffahrt kritischen Niveau liegen, ist die Entwicklung dennoch besorgniserregend, da die Pegel bereits deutlich unter dem zehnjährigen Durchschnitt liegen. Seit Juni entspricht die Dynamik in etwa dem Trend des letzten Jahres bzw. dem des Jahres 2018, welches ebenfalls von Trockenheit geplagt war.
Charakteristisch für die deutsche Binnenschifffahrt ist die Beförderung von trockenen und flüssigen Massengütern mit Anteilen von 58,5 % bzw. 24,7 % an der gesamten Beförderungsmenge im Jahr 2022. Im Vergleich dazu liegt der Anteil der Containerbeförderung bei rund 10 %. Insbesondere die Produktion in der chemischen und erdölverarbeitenden Industrie, aber auch der Containertransport im Allgemeinen, könnte daher von potenziellen Einschränkungen von Transportkapazitäten betroffen sein.
Im Jahr 2018 war die Güterbeförderung der Binnenschifffahrt (197,9 Mio. t) um 11,1 % gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen. Im vergangenen Jahr wirkten sich die niedrigen Wasserstände des Rheins (7.-19. August, 40 cm im Durchschnitt) und vieler anderer Flüsse auch negativ auf die Binnenschifffahrt aus. Infolgedessen waren die Gütertransporte im August 2022 um mehr als ein Viertel (-26,8 %) niedriger als im Vorjahresmonat. Mit 11,7 Millionen Tonnen wurden im August 2022 so wenig Güter auf Binnenwasserstraßen transportiert wie noch nie seit der deutschen Wiedervereinigung.
Wenn der Wasserstand sinkt, nimmt die Ladekapazität der Schiffe ab. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass für die gleiche Menge an Ladung mehr Schiffsraum zur Verfügung gestellt werden muss. Die Kosten können erheblich steigen, da neben der geringeren Auslastung der vorhandenen Schiffe die Anmietung von zusätzlichen Kapazitäten notwendig wird. Zur Deckung der Mehrkosten werden vertraglich vereinbarte Kleinwasserzuschläge in Abhängigkeit von den Wasserständen an Referenzpegeln (z.B. Kaub oder Duisburg-Ruhrort für die Rheinabschnitte südlich bzw. nördlich von Koblenz) erhoben.
Für das Jahr 2018 schätzte das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW), dass die Produktion des Verarbeitenden Gewerbes um etwa 1 % sank, als der Wasserstand am Pegel Kaub für einen Zeitraum von 30 Tagen unter die 78-Zentimeter-Marke fiel. Im November 2018 könnte das Niedrigwasser die Industrieproduktion sogar um 1,5 % im Vergleich zu dem errechneten kontrafaktischen Wert reduziert haben. Bei einem Anteil der Industrieproduktion an der gesamten Bruttowertschöpfung von rund 25 % entsprach dies einem Rückgang des BIP um knapp 0,4 % während dieser Zeit.
Obwohl insbesondere Rohstoffe und Zwischenprodukte über den Rhein transportiert werden, erscheinen uns die heutigen Verhältnisse bisher noch weniger dramatisch. Zum einen ist die Industriekonjunktur derzeit gedämpfter, zum anderen dürften die Erfahrungen der letzten Jahre zu Anpassungen in den potenziell betroffenen Lieferketten beigetragen haben. Dazu gehören nicht zuletzt auch angepasste (Tank-)Schiffstypen.
Die Kombination aus Nachrichten über zu wenig Regen, die Möglichkeit regionaler Wasserknappheit (z.B. Umweltbundesamt), Waldbrände sowie sinkende Flusspegel dürfte die Debatte über Klimaschutzmaßnahmen weiter anheizen.