Kommentar
12:08 Uhr, 20.05.2015

Der Ärger mit den deutschen Leistungsbilanzüberschüssen

  • Deutschland ist drauf und dran, mit seinem Leistungsbilanzüberschuss wieder Ärger zu bekommen.
  • Positivsalden im Verkehr mit dem Ausland sind akzeptabel, wenn sie nicht zu groß sind und wenn die daraus resultierenden Geldzuflüsse klug angelegt werden.
  • Sie sind Ergebnis einer Marktentwicklung und daher wirtschaftspolitisch schwer zu korrigieren.

Es sieht so aus, als würde demnächst ein altes Thema wieder aufpoppen: Deutschlands Leistungsüberschüsse. Die Bundesrepublik exportiert traditionell mehr als sie importiert. In den letzten Jahren schien es, als habe sich die Welt daran gewöhnt und toleriere es. Inzwischen steigt der Überschuss jedoch auf eine Größenordnung, die auch für deutsche Verhältnisse ungewöhnlich ist. In diesem Jahr wird er vermutlich EUR 250 Mrd. betragen. Das sind über 8 % des Bruttoinlandsprodukts (siehe Grafik). So hoch war er noch nie. International haben nur die viel kleineren Niederlande sowie Exoten wie Katar oder Singapur noch größere Salden. Länder wie die Schweiz oder China, beide ebenfalls erfolgreiche Exporteure, haben bei Weitem nicht so ein großes Plus.

Im roten Bereich

Deutscher Leistungsbilanzüberschuss in % des BIP

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Quelle: IWF

Damit kommt vermutlich auch der Ärger über die deut­schen Leistungsbilanzüberschüsse zurück. Es gibt auf internationaler Ebene wenig Themen, bei denen sich sonst vernünftige Politiker so heftig in die Haare geraten können wie darüber. Die Deutschen finden das Plus überwiegend gut. Sie sehen darin ein Zeichen für ihre hohe Wettbewerbsfähigkeit und preisen es als Vorbild für andere.

Die anderen finden es schlecht, weil Deutschland damit auf Kosten der Defizitstaaten lebe. In der EU wird die rote Linie bei 6 % des BIP gezogen. Alle Überschüsse, die darüber hinaus gehen, gelten als zu hoch und sollen zurückgeführt werden. Die Bundesrepublik wird daher vermutlich wieder einen "blauen Brief" aus Brüssel be­kommen. Außerhalb der EU gehören die Amerikaner – die traditionell Fehlbeträge in den laufenden Posten auf­weisen – zu den größten Kritikern der deutschen Hal­tung.

Eine Einigkeit in dieser Frage ist kaum möglich. Denn es handelt sich bei Leistungsbilanzsalden immer um Ver­teilungsfragen. Der Überschuss des einen ist das Defizit des anderen. In der Welt können nicht alle ein Plus ha­ben. Wenn einer ein Plus hat, dann sollte es daher we­nigstens nicht zu groß sein, sich nicht als Dauerzustand verfestigen und daraus resultierende Geldzuflüsse soll­ten sinnvoll angelegt werden.

Gemessen an allen drei Kriterien steht Deutschland nicht gut da. Es wird daher nicht umhin kommen, sich den Partnern zu fügen und die Überschüsse zu verrin­gern. Das liegt im Übrigen auch im eigenen Interesse. Denn letztlich produziert die deutsche Industrie derzeit mehr als sie selbst in Inland benötigt. Sie exportiert, um es platt zu formulieren, Porsche und erhält dafür Papier­forderungen.

Durch die Leistungsbilanzüberschüsse hat sich in Deutschland in der Vergangenheit ein Auslandsver­mögen von EUR 1.200 Mrd. angesammelt. Das ist ein schöner Notgroschen für Zeiten, wenn es einmal nicht so gut geht. Deutschland hatte zum Beispiel nach der Wiedervereinigung ein Leistungsbilanzdefizit von ins­gesamt über EUR 300 Mrd. Eigentlich sollte das Geld auch als kollektive Altersvorsorge dienen, wenn die Deutschen aus demographischen Gründen nicht mehr so viel arbeiten können und dann auf die Erträge aus dem Auslandsvermögen angewiesen sind. Hier sieht es freilich nicht so gut aus.

Nur gut die Hälfte des gesamten Auslandsvermögens ist so investiert, wie man es sich wünschen würde: In Wäh­rungsreserven, in Direktinvestitionen und in Aktien und Schuldverschreibungen, die entsprechende Erträge ge­nerieren. Der Rest sind zum großen Teil Finanzkredite und Einlagen bei ausländischen Finanzinstituten. Dazu gehören auch die EUR 500 Mrd. Target-Forderungen der Bundesbank. Die Zinsen aus diesen Anlagen sind nied­rig. Über ihre Werthaltigkeit kann man streiten. Frü­her gab es beim Auslandsvermögen auch erhebliche Wech­selkursverluste. Insgesamt müsste man aus dem Aus­landsvermögen mehr für die Volkswirtschaft heraus­holen können. Die Anlage ist ineffizient.

Wie aber kann man die Leistungsbilanzüberschüsse ab­bauen? Schließlich stehen dahinter Marktentwicklungen, die man nicht so leicht beeinflussen kann. Früher war das einfach: Die Positivsalden führten zu einer Aufwer­tung der Währung, die die Exporte bremst und die Im­porte stimuliert. Das ist der Weg, in dem die Schweiz und China ihre Überschüsse in den letzten Jahren re­duzierten. In Deutschland geht das durch die Währungs­union nicht mehr. Im Ausland sagt man häufig, Deutsch­land müsse jetzt hohe Lohnsteigerungen zulassen und/oder die öffentlichen Defizite erhöhen, um die Über­schüsse abzubauen. Aber kann es wirklich sinnvoll sein, die eigene Wettbewerbsfähigkeit bewusst zu verschlech­tern? Mit Recht wendet sich die Bundesrepublik dage­gen.

Letztlich gibt es nur zwei Möglichkeiten. Zum einen die Erhöhung der Investitionen, damit die Ersparnis der pri­vaten Haushalte im Inland verwendet und nicht ins Aus­land exportiert wird. Zum anderen die weitere Öffnung der Inlandsmärkte für den globalen Wettbewerb, etwa bei Ausschreibungen. Beides ist sinnvoll, erfordert aber ei­nen langen Atem.

Für den Anleger

Leistungsbilanzüberschüsse sind in erster Linie ein wirt­schaftspolitisches, kein Anlegerproblem. Sie haben aber erhebliche Auswirkungen vor allem auf die Devisen­märkte. Da nicht nur Deutschland, sondern auch der ganze Euroraum inzwischen einen Positivsaldo hat, ist dies ein Argument für einen stärkeren Euro. Innerhalb der Währungsunion führen die deutschen Leistungs­bi­lanzüberschüsse interessanterweise nicht zu größeren Spannungen. Denn gegenüber dem Euroraum hat sich der deutsche Saldo aus Exporten und Importen kaum verändert.

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1 Kommentar

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    Der Leistungsbilanzüberschuss besteht zum Großteil aus Exportüberschüssen. Wie im Artikel richtig beschrieben, bedeutet das, dass wir in Deutschland weniger "konsumieren" als wir produzieren. Würde man größere Lohnsteigerungen zulassen, so würde die Wettbewerbsfähigkeit wohl in der Tat etwas abnehmen. ABER, die Wettbewerbsfähigkeit wurde zum Großteil erst auf Kosten der Erwerbsbevölkerung (stagnierende oder sogar sinkende Reallöhne!) erreicht. D.h. Die Exportunternehmen bzw. deren Aktionäre haben auf Kosten der Erwerbsbevölkerung in Deutschland prächtig verdient. Mich wundert es daher immer extrem, wenn sich sogar der "Normalbürger" über die extrem hohen Exportüberschüsse ("Deutschland ist Exportweltmeister") freut, obwohl gerade dieser mit sinkender Kaufkraft der Leidtragende ist. Schon mal die Gehälter in der Schweiz gesehen?

    Außerdem würde es bei höheren Löhnen vermutlich eher zu einer volkswirtschaftlichen Verschiebung von Exportwirtschaft zu Binnenwirtschaft (Einzelhandel, Dienstleistungssektor, etc.) kommen, was nicht unbedingt schlecht sein muss - im Gegenteil.

    Jetzt kommt sicher das Argument: "Ja, aber dafür haben wir weniger Arbeitslose...". Trotzdem ist der Wohlstand in der Gesamtheit über die vergangenen 10 Jahre nicht gestiegen. Und genau darauf kommt es doch an! Die Wirtschaft sollte der Bevölkerung dienen und deren Wohlstand steigern, sonst läuft irgend etwas mächtig schief.

    16:14 Uhr, 20.05.2015