Kommentar
12:16 Uhr, 08.11.2002

Deka zur US-Zinssenkung

Die gestern erschienenen Sitzungsprotokolle (Minutes) des Offenmarktausschusses (FOMC) der US-Notenbank vom 24. September 2002 zeigen, dass die Fed schon im September prinzipiell zu Zinssenkungen bereit war. Zwar bewertet sie die expansive Geld- und Fiskalpolitik, das Produktivitätswachstum, die niedrigen Hypothekenzinsen und die Steueranreize als positiv. Dem entgegen steht aber die Unsicherheit, die sich aus den geopolitischen Risiken - Stichwort Irakkrieg - ergibt. Die Situation am Arbeitsmarkt wird bislang als wenig hoffnungsvoll angesehen, das Wachstum der Geldmenge M2 wird in erster Linie auf einen Anstieg der Geldnachfrage zurückgeführt, die Investitionen werden durch die Unsicherheit belastet, und das Wachstum der Weltwirtschaft ist enttäuschend. Insbesondere das fehlende Beschäftigungswachstum stellt die Fed vor die Frage, ob dies nicht den Konsum in Zukunft belasten wird. Zwar seien voraussichtlich steigende Einkommen und äußerst niedrige Hypothekenzinsen für den privaten Immobilienmarkt als günstig zu bewerten. Die Nachhaltigkeit des hohen Niveaus der Hauspreise sei aber zu hinterfragen. Wie die positiven Zahlen für die Auftragseingänge zu interpretieren seien, ist der Fed nicht klar. Vieles deute darauf hin, dass ein Großteil der Ausgaben der Unternehmen für Investitionen in Ausrüstung und Software Ersatz- und keine Erweiterungsinvestitionen darstellt.

Die Unterauslastung der Kapazitäten bringt einen Rückgang der Kerninflationsrate mit sich. So deuten auch die Inflationsprognosen der Fed für die nächsten Quartale auf niedrige, wenn nicht sogar sinkende Inflationsraten hin. Sorgen machen der Fed in dieser Hinsicht, dass sich die niedrigeren Inflationsraten in niedrigere Zinsen übersetzen und damit die Möglichkeiten für die Geldpolitik, im Falle eines adversen Schocks expansiv zu wirken, zunehmend begrenzt werden, weil sich die Fed der Nullzinsgrenze annähern würde. Demzufolge votierten die FOMC-Mitglieder Gramlich und McTeer am 24. September für eine sofortige Zinssenkung. Die Mehrheit äußerte sich aber dahingehend, dass man erst noch weitere Daten abwarten müsse, um festzustellen, ob Gefahren für den Aufschwung bestünden. Sollte dies der Fall sein, so würde die Fed schnell reagieren. Die Risiken wurden am 24. September bei der Konjunktur und nicht bei der Inflation gesehen. Der Verweis auf die geopolitisch bedingte Unsicherheit sollte aber nicht dahingehend interpretiert werden, dass Zinssenkungen im Falle eines Kriegsausbruchs auf der Agenda stünden.

Am Mittwoch hat die Fed die Zinsen nun überraschend stark um 50 Basispunkte auf 1,25 % gesenkt. "The Federal Open Market Committee decided today to lower its target for the federal funds rate by 50 basis points to 1 1/4 percent. In a related action, the Board of Governors approved a 50 basis point reduction in the discount rate to 3/4 percent. The Committee continues to believe that an accommodative stance of monetary policy, coupled with still-robust underlying growth in productivity, is providing important ongoing support to economic activity. However, incoming economic data have tended to confirm that greater uncertainty, in part attributable to heightened geopolitical risks, is currently inhibiting spending, production, and employment. Inflation and inflation expectations remain well contained. In these circumstances, the Committee believes that today's additional monetary easing should prove helpful as the economy works its way through this current soft spot. With this action, the Committee believes that, against the background of its long-run goals of price stability and sustainable economic growth and of the information currently available, the risks are balanced with respect to the prospects for both goals in the foreseeable future."

Die Logik der Zinsentscheidung ist rückblickend bestechend. Die schlechten Daten seit Ende September zeigen klar die Gefahren für den Aufschwung auf. Insbesondere der starke Rückgang des Konsumentenvertrauens bereitet Sorgen. Die Fed musste also handeln. Aber wieso senkte sie die Zinsen gleich um 50 Basispunkte und nicht um 25, wie von den Märkten erwartet, und stellte ihre Risikoeinschätzung zugleich wieder auf neutral, also eine Gleichgewichtung der Risiken für und Inflation? Mit dem Schritt um 50 Basispunkte entgeht sie auf weiteres Diskussionen um weitere Zinssenkungen. Mit der neutralen Risikoeinschätzung signalisiert sie den Märkten, dass sie "vor der Kurve ist", also geldpolitisch erst einmal genügend getan hat und der Aufschwung intakt ist. Mit dem Verweis auf den "soft spot", den die Wirtschaft derzeit durchläuft, signalisiert sie, dass der Zinsschritt eine einer Sondersituation geschuldete Maßnahme ist und wir nicht in einer "neuen" Welt von Deflation und Rezession leben. Und die einstimmige Entscheidung des FOMC minimiert das Risiko des Dissenses in den kommenden Monaten.

Die Fed weiß mehr als die Märkte, einfach deswegen, weil sie viel größere Stäbe als die Privaten zur Konjunkturanalyse beschäftigt. Wenn die Fed die Zinsen um 50 Basispunkte senkt, bedeutet dies, dass sie es für dringend notwendig hält, weil Deflationsrisiken und Rezession in 2003 drohen? Der Zinsschritt vom Mittwoch wird sich nämlich frühestens Ende 2003 entfalten. Wollte die Fed den derzeitigen "soft spot" bekämpfen, so hätte sie die Zinsen schon vor einem halben Jahr senken müssen. Und für die Bekämpfung eines "soft spots" ist die Fiskalpolitik, die die Kaufkraft der Konsumenten stärkt, z.B. in Form einer Verlängerung der Arbeitslosenunterstützung für Langzeitarbeitslose oder befristete Steuerfreibeträge für untere und mittlere Einkommen, weitaus besser geeignet als die Geldpolitik. Der Zinsschritt der Fed muss daher entweder als psychologisch motiviert angesehen werden oder es drohen doch Rezessions- und Deflationsgefahren für 2004. Letzteres sehen wir unter der Annahme, dass es zu keinem Krieg kommt, nicht. Deflationsgefahren, d.h. negative Inflationsraten, sehen wir auch nicht, gegeben die Kerninflationsrate von 2,2 %. Disinflation, d.h. sinkende Inflationsraten sind aber sehr gut möglich, gegeben dass sich die Outputlücke aller Voraussicht nach bis Ende 2004 nicht schließen wird. Die Zinssenkung der Fed ist unter den gegebenen Informationen in diesem Sinne als "Versicherungspolitik" zu werten. Ob die Zinsen in den nächsten Monaten erneut gesenkt werden müssen, wird aber von den hereinkommenden Daten abhängen. Zinserhöhungen werden wir frühestens Ende 2003 sehen.

Quelle: Deka

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